Südtirol Online: Ab Herbst soll es in Bozen den ersten, verpackungsfreien Lebensmittelmarkt geben: Worauf wird dabei ganz konkret verzichtet?Maria Lobis, Initiatorin und Hebamme: Ganz konkret wollen wir auf Plastik verzichten.Plastikverpackungen belasten nicht nur unsere Umwelt erheblich, sondern durch Plastikverpackungen gelangen auch sämtliche Schadstoffe in unsere Nahrungskette - direkt oder indirekt - durch Plastikgeschirr oder beschädigte Plastikverpackungen.STOL: Das Konzept ist nicht neu, warum wollen gerade Sie es in Bozen salonfähig machen?Lobis: Das Konzept "verpackungsfrei" ist in der Tat nicht neu. Abgesehen davon, dass vor ein paar Generationen noch fast alles verpackungsfrei war, gibt es weltweit mehrere Läden, die dieses Konzept wiederbeleben.STOL: Gibt es in Südtirol bereits andere Läden nach dem Konzept?Lobis: So weit wir wissen nicht. Es gibt sicher einige Geschäfte welche vereinzelt Produkte lose anbieten.STOL: Worin liegt die Hauptherausforderung?Lobis: Vielfach ist das Sortiment in solchen „verpackungsfreien“ Läden einfach zu spärlich und zu alternativ. Der Kunde will nicht unbedingt in 5 verschiedene Geschäfte laufen, um seine täglichen Lebensmittel zu besorgen. Wir sind mit dem Sortiment so weit gekommen, dass man das Wichtigste erhält.Leider müssen auch wir Kompromisse machen, da es zur Zeit noch nicht das komplette Sortiment plastikfrei gibt, aber wir hoffen, dass wir von momentan beinah plastikfrei, in Zukunft durch eine gute Zusammenarbeit mit Lieferanten und der Unterstützung von zahlreichen Kunden auf 100% plastikfrei kommen können.STOL: Welche Lebensmittel werden völlig verpackungsfrei erhältlich sein?Lobis: Total ohne Verpackung im Sortiment - sprich lose in eigenen dafür vorgesehenen Dispensern - wird es geben: Nudeln, Reis, Hülsenfrüchte, Getreide, Mehle, Samen, Flocken, Trockenfrüchte, Nüsse, Salze, Gewürze, Zucker, Kaffee, Tee, Obst, Gemüse, Brot, Wurst- und Käsewaren. Für das Unverpackte stehen wiederbefüllbare Behälter zur Verfügung - sowohl zur Aufbewahrung im Geschäft, als auch zurm Transport nach Hause. - Foto: shutterstockIm Non-Food-Bereich gibt es lose, natürliche Putz-und Waschmittel, natürliche Körperhygiene und einige andere Bio-Kosmetikartikel.Plastikfrei von Anfang an stellt sich unsere Mutter-Kind-Ecke dar, in der von Schwangerschaft bis Babypflege alle Artikel natürlich, schadstofffrei oder biologisch erhältlich sind.STOL: Durch Ihre Ansprüche wird die Auswahl automatisch begrenzt sein?Lobis: Das Sortiment ist begrenzt, weil wir im Vorfeld schon die für uns besten Produkte auswählen, indem wir Inhaltsstoffe und Geschmack/Leistung genau testen. Dadurch hat der Kunde nicht mehr die Qual der Wahl in jedem Punkt zwischen 5 bis 20 verschiedenen Marken zu wählen.Man könnte auch sagen: Bei uns bekommen die Kunden alles, was Sie brauchen. Das heißt: Was sie bei uns nicht bekommen, brauchen Sie auch nicht.STOL: Wie liefern die Kunden die Produkte heim: In mitgebrachten Flaschen, Taschen oder Dosen?Lobis: Kunden können ihre wiederbefüllbaren Behälter selbst mitbringen. Außerdem kann man bei uns im Geschäft schöne, passend befüllbare Behälter kaufen, die man dann zu Hause direkt in den Schrank oder ins Regal stellen kann. Sobald sie leer sind nimmt man sie dann wieder ins Geschäft mit, um sie aufzufüllen. Wir bieten auch eine Reihe von Stofftaschen und Körbe an. Für diejenigen, die ihre Behälter zu Hause vergessen haben oder nur mal schnell etwas kaufen, haben wir auch Papiertüte für die verschiedenen Lebensmittel. Bevorzugt werden kompostierbare oder plastikfreie Verpackungen. So weit es geht, fällt das komplette Verpackungsmaterial weg. - Foto: shutterstockSTOL: Klingt alles irgendwie nach: Einkaufen wie es früher einmal war…Lobis: Ja genau, Einkaufen wie zu Omas Zeiten..STOL: Woher beziehen Sie Ihre Produkte, um möglichst ohne Verpackung auszukommen?Lobis: Vieles regional und in Großverpackungen zu 10-20-25 Kilogramm. Dadurch fällt für uns zwar Verpackung an, jedoch reduzieren wir diese immer noch um mindestens 70-80 Prozent, im Vergleich zu Produkten, die zu 500 Gramm oder 1 Kilo verpackt sind. Plastik wird auch bei der Anlieferung soweit es geht vermieden. Das meiste wird in Papierverpackung angeliefert. Bei einigen Lieferanten, so zum Beispiel bei den Putz- und Waschmitteln, werden unsere Behälter wiederzurückgegeben und gefüllt.STOL: Wie muss eine „sinnvolle“ Verpackung für Sie sein?Lobis: Wiederverwendbar und sofern es keine wiederverwendbare gibt, dann eben einfach, nicht dreifach und aus kompostierbaren Materialien.STOL: Wie stehen Sie zu Verpackungen generell – wo liegt das Problem – was spricht dagegen?Lobis: Das primäre Problem liegt bei Plastikverpackungen. Außerdem kauft der Kunde nicht nur das Lebensmittel, sondern zahlt die Verpackung mit, welche er unmittelbar nach Konsum wieder wegwirft und dadurch entstehen neben erhöhten Müllkosten auch erhebliche Müllberge.Manchmal sind Verpackungen auch nötig, jedoch niemals aus Plastik. Meist wird Plastik nur aus Kostengründen verwendet. Es gibt heute zahlreiche kompostierbare Verpackungsmaterialien, die denselben „Verpackungseffekt“ wie Plastik erzielen können, jedoch werden diese wegen der etwas höheren Kosten kaum verwendet – leider auch kaum bei Bioprodukten.Prinzipiell sind Lebensmittel nur so stark verpackt, um Markenprodukte schnell wiederzuerkennen und den Einkauf schnell zu gestalten. Dies wirft für große Supermarktketten und große Marken höhere Gewinne ab und spart dem Kunden Zeit beim Einkauf.STOL: Das Plastik der Verpackung schadet doch auch dem Menschen, oder?Lobis: Kaum ist das Plastik ein bisschen zerkratzt, lösen sich die Schadstoffe aus den hinteren Schichten und können so in das Lebensmittel und somit direkt in den Körper gelangen. So lösen sich BPA (Bisphenol A) oder andere Schadstoffe bei Plastikgeschirr, Plastikspielzeug, Plastiktrinkflaschen, Plastikverpackungen usw.Selbst „BPA freies“-Plastik ist meist nur in der äußersten Schicht frei von BPA. Oder es wird durch andere, ähnliche Stoffe ersetzt, die noch nicht so in Verruf sind, wie das BPA.Indirekt verspeisen wir Mikropartikel aus Plastik, die in den Weltmeeren schwimmen und von Fischen aufgenommen werden. Durch deren Verzehr wiederum gelangt das Plastik in unseren Körper.Erschreckend ist die Studie welche besagt, dass bis 2050 mehr Plastik als Fische in den Weltmeeren schwimmen soll.STOL: Wird es nur regionale und biologische Produkte geben?Lobis: Es wird vor allem regionale und biologische Produkte geben, aber nicht nur. Wichtig ist für uns die Natürlichkeit und Nachhaltigkeit des Produktes vom Inhalt bis zur Verpackung. Die Kunden des neuen Ladens sind laut den Initiatoren alle, die Wert auf Ihre Ernährung und eine bewusste Lebensweise legen und einen Beitrag für eine bessere Umwelt leisten wollen.- Foto: LobisSTOL: Was hat es konkret mit der speziellen Kinder-Abteilung auf sich: Was soll da zu finden sein?Lobis: Im Mutter-Kind-Bereich findet man natürliche Körperpflege und Öle für Mutter und Baby, naturbelassene Babykleidung und Stoffwindelsets sowie eine bescheidene Auswahl - d.h. nur das wirklich Brauchbare - an einer natürlichen Babyausstattung von Lammfell, Tragetüchern, unbedenklichen Babyflaschen bis hin zu schadstofffreien Babyspielen.Da ich, als eine der beiden Geschäftsgründern, Hebamme bin, ist die Auswahl gut gewählt und erleichtert den Eltern die Entscheidung auf dem mittlerweile überschütteten Markt für die Babyausstattung.STOL: Gibt es noch zusätzlichen Service - etwa beim Kaffee?Lobis: Wir malen den Kaffee direkt frisch in die Tüte oder den mitgebrachten Behälter. Und: Es wird auch die Möglichkeit geben, eine Einkaufsliste abzugeben. Damit können wir dem Kunden auf Wunsch die „Arbeit“ abnehmen. Und auch eine wöchentliche Rezeptbox soll es geben.STOL: Wie interessiert schätzen Sie die Kunden an diesem Konzept ein?Lobis: Das Interesse ist groß. Es bleibt abzuwarten, ob es dann auch so angenommen wird oder ob die Bequemlichkeit siegt..STOL: Wie überzeugen Sie den bequemen Supermarktkäufer, der mit dem Auto bis vor die Tür fährt und Markenprodukte im Großeinkauf einpackt, von Ihrem Konzept – geht das überhaupt?Lobis: Natürlich haben wir in erster Linie eine bestimmte, schon bewusster lebende Zielgruppe. Wir hoffen jedoch auch, dass es immer mehr Menschen gibt, denen es wichtig wird, für das eigene und familiäre Wohlbefinden und eine nachhaltige Lebensweise, das Einkaufen bewusst zu gestalten.STOL: Wer sind also Ihre Kunden?Lobis: Alle, die Wert auf Ihre Ernährung und eine bewusste Lebensweise legen und einen Beitrag für eine bessere Umwelt leisten wollen.STOL: Gibt Ihr Kunde von heute auch mehr Geld aus?Lobis: Regionale und vor allem biologische Produkte sind generell etwas teurer. Jedoch kann der Kunde bei uns seine Menge genau festlegen und somit kauft er nicht überflüssig ein. Unterm Strich wird er also sparen, da er weniger wegwirft.Preislich sind wir natürlich mit keinem Discounter vergleichbar, dafür können wir aber Qualität und langfristigen Wohlfühlfaktor bieten.Interview: Petra Kerschbaumer____________________________________Um das Interesse und die Wünsche der Kunden zu erheben, habe die Initiatoren auch eine Umfrage lanciert, an der jedermann teilnehmen kann.