Montag, 29. April 2024

Diese Neuheit aus Wien bringt die Atomkern-Uhr näher

Atomkerne mit Laserstrahlen von einem Zustand zum anderen wechseln zu lassen, schien lange unmöglich, da die Energie der Photonen dafür nicht ausreicht. Bei Thorium-229 kann das klappen, wenn das Isotop präzise mit der richtigen Lichtfrequenz bestrahlt wird. Nach langjähriger Suche ist es einem österreichisch-deutschen Forscherteam nun gelungen, erstmals einen Atomkern gezielt mittels Laser anzuregen. Das könnte neue Anwendungen, wie eine Atomkern-Uhr, ermöglichen.

Eine Visualisierung des Kristalls mit den Thorium-Atomen. - Foto: © APA/TU Wien / TU Wien

Atome oder Moleküle mit Lasern von einem Zustand in einen anderen wechseln lassen, ist bei der richtigen Wahl der Wellenlänge des Lasers möglich. Bei Atomkernen ist aber mindestens das Tausendfache der Energien notwendig, wofür die Photonen-Energie normalerweise nicht ausreicht, erklärte Thorsten Schumm vom Atominstitut der Technischen Universität (TU) Wien. Er hat zusammen mit Kollegen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Braunschweig die Ergebnisse im Fachmagazin „Physical Review Letters“ veröffentlicht.

Atomkerne würden Messungen mit bisher unerreichter Genauigkeit erlauben, da sie weniger anfällig für elektromagnetische oder andere Störungen von außen sind.

Die Kerne des Thorium-Isotops 229 können Energiezustände einnehmen, die sehr nahe beisammen liegen – so eng benachbart, dass ein Laser im Prinzip ausreichen sollte, um den Zustand des Atomkerns zu verändern. Das dürfte ein Alleinstellungsmerkmal sein. Der exakte Energiewert des knapp über dem Grundzustand – also dem Zustand mit der kleinstmöglichen Energie – liegenden weiteren Kernzustands war bisher unbekannt. „Das Problem ist, dass man die Energie des Übergangs extrem genau kennen muss, um den Übergang mit einem Laserstrahl herbeiführen zu können“, so Schumm in einer Aussendung der TU.

Nur wenn man die Thorium-Kerne mit einem Laserstrahl der exakt richtigen Frequenz bestrahlt, wechseln sie vom Zustand niedrigster Energie in den nächsthöheren Energiezustand. Die Frequenz beziehungsweise wie viel Energie man dafür braucht, ist seit Jahrzehnten gesucht worden. Schließlich geht es dabei um eine Präzision im Bereich von Millionstel eines Elektronenvolts, was ein mehr oder weniger einfaches „Durchprobieren“ aller denkbaren Energiewerte unmöglich macht.

Nun gelang es erstmals, einen Atomkern gezielt mit einem Laser in einen Zustand höherer Energie zu versetzen und dann seine Rückkehr in den ursprünglichen Zustand zu verfolgen. „Es hat etwas gebraucht, alle Kinderkrankheiten des Experiments zu beseitigen und die exakte Wellenlänge zu treffen. Letztlich verhält es sich aber so, wie es seit 30 Jahren theoretisch vorhergesagt und erträumt wurde“, sagte Schumm im Gespräch mit der APA. Der Erfolg beruhe im Wesentlichen auf zwei Komponenten: „Über viele Jahre wurde der Energie- oder Wellenlängenbereich in Vor-Experimenten immer weiter eingegrenzt. Dadurch konnte man ein sehr spezifisches Lasersystem bauen, das diese Wellenlänge in ausreichender Leistung produziert“, erklärte der Physiker.

Zweitens haben es die über viele Jahre „in unserem Keller entwickelten“ speziellen thoriumhaltigen Kristalle ermöglicht, gleichzeitig eine große Zahl von Thorium-Kernen zu untersuchen. In Ionenfallen kann man hingegen nur eine recht kleine Zahl von Atomen gefangen halten. Konkret wurden vom Team der TU Wien so viele Thorium-Atome in Kristalle eingebaut, dass rund hundert Billiarden Kerne gleichzeitig mit dem Laser getroffen werden können. Das hat die Wahrscheinlichkeit, den gesuchten Energie-Übergang zu finden, deutlich erhöht. Am 21. November 2023 wurde schließlich die Energie des gesuchten Thorium-Übergangs exakt getroffen, der Zustand der Thorium-Kerne tatsächlich umgeschaltet.

Diese Technik könne in weiterer Folge für Präzisionsmessungen genutzt werden. „Von Anfang an war der Bau einer Atomkern-Uhr ein wichtiges Fernziel“, sagte der Forscher, der schon viele Jahre unter anderem mit einem bis zu zehn Millionen Euro schweren Förderpreis des Europäischen Forschungsrates (ERC) unter dem Projekttitel „ThoriumNuclearClock“ auf diesen Schritt hingearbeitet hat. Die Schwingung des Lichts, das den Thorium-Übergang anregt, diene dabei als Zeitgeber für eine neuartige Uhr, die deutlich genauer wäre als die besten heutigen Atomuhren. „Mit einer Atomkern-Uhr wäre beispielsweise eine satellitenbasierte Navigation mit einer Genauigkeit von wenigen Millimetern denkbar. Das ändert dann viele Dinge“, so Schumm.

Man habe gezeigt, dass das physikalische Prinzip funktioniere. Nun brauche es viel Technologie, um die Apparate zu miniaturisieren und die Laser stabiler zu bauen. „Davon hängt es ab, ob es eine Massentechnologie wird, beziehungsweise sich andere Anwendungen daraus ergeben, oder ob es eine wissenschaftliche Anekdote bleibt“, sagte der Studienleiter. Möglich wäre auch eine so exakte Analyse des Gravitationsfelds der Erde, dass sich daraus Hinweise auf Bodenschätze oder Erdbeben ergeben könnten. Zudem rücke damit eine Untersuchung, ob Naturkonstanten tatsächlich konstant sind oder sich in Raum und Zeit verändern, näher.

(S E R V I C E - Die Studie geht laut „PNAS“-Angaben im Volltext im Laufe des Montags online; Link zur Kurzfassung (Abstract): https://go.apa.at/vCMhskEQ)

apa

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