<b>von Rolf Steininger</b><BR /><BR />Am 2. Mai 1945 schwiegen die Waffen in Italien. Die wenige Tage zuvor unterzeichnete Kapitulation der deutschen Streitkräfte trat in Kraft. Am 3. Mai übergaben die Amerikaner dem antifaschistische Comitato di Liberazione Nazionale (CLN) die Verwaltung des Landes bis zum Brenner. Italien hatte wieder die Regierungsgewalt in Südtirol. Die CLN-Politik war klar: Verbleib Südtirols bei Italien. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1166880_image" /></div> <BR /><BR />Hatten die Nationalsozialisten von 1943 bis Kriegsende das deutsche Element in Südtirol betont und eine Politik verfolgt, die auf die Wiedervereinigung Tirols abzielte, so betonten die Italiener jetzt das italienische Element in Südtirol. Das wurde ihnen dadurch erleichtert, dass sie in diesen Tagen die einzigen Gesprächspartner der Amerikaner waren. Eine Vertretung der Südtiroler gab es nicht.<BR /><BR />In dieser Situation übernahm <b>Erich Amonn</b> am 8. Mai die Initiative und gründete gemeinsam mit 18 Vertrauensleuten in der Villa Malfér in Gries bei Bozen die Südtiroler Volkspartei. Die Partei sollte und musste die Partei aller Südtiroler – Dableiber und Optanten – sein. Die Gründungsversammlung verabschiedete einvernehmlich drei programmatische Punkte, die allerdings erst am 19. Mai einer breiten Öffentlichkeit mitgeteilt werden konnten, und zwar in den „Dolomiten“, die an diesem Tag zum ersten Mal seit 1943 wieder erschienen. <BR /><BR />Seit dem 9. September 1943 hatte es die „Dolomiten“ nicht mehr gegeben. Als die Wehrmacht Italien besetzte, waren die Nazis sofort gezielt gegen die Presse vorgegangen. Der Athesia-Verlag war beschlagnahmt und von ihnen übernommen worden, die „Dolomiten“, die bei der Athesia erschienen und bis 1943 NS-kritische Kommentare veröffentlicht hatten, waren verboten und sofort eingestellt worden. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1166883_image" /></div> <BR />Chefredakteur <b>Rudolf Posch</b> war verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau deportiert worden. Kanonikus <b>Michael Gamper</b> war zum Volksfeind Nummer eins erklärt worden – und hatte flüchten können.<BR /><BR />Als einzige Tageszeitung gab es von da an nur noch das neugegründete, von den Nazis herausgegebene „Bozner Tagblatt“, das es seit dem 3. Mai 1945 auch nicht mehr gab. Und dann gab es am 19. Mai die Sensation: Nach Tagen des Chaos und der Ungewissheit erschienen an jenem Tag erstmals die „Dolomiten“ wieder. Dieser 19. Mai wurde einer der wichtigsten Tage in der Geschichte Südtirols: Von nun an gab es wieder eine freie Presse, Grundlage einer jeden Demokratie. <BR /><BR />Und es gab eine Partei mit einer Zukunftsvision. Viele haben das damals auch so empfunden, wie die Reaktion bei der Ausgabe der Zeitung deutlich macht. In einer von der Parteileitung der SVP 1985 herausgegebenen Erinnerungsschrift wurde das Ereignis so beschrieben:<BR /><BR /><i>„Es kam in den Straßen von Bozen zu stürmischen Auseinandersetzungen. Italienische Partisanen rissen den Lesern auf der Straße die Zeitung aus den Händen. Die italienische Quästur wollte die Beschlagnahme der Zeitung veranlassen. Da griff die Alliierte Militärregierung ganz energisch durch. Der Verkauf der 'Dolomiten' musste sofort freigegeben werden. Bei der Südtiroler Bevölkerung fand dieser Aufruf einen außergewöhnlichen Widerhall. Nach so vielen Jahren erzwungenen Schweigens und der Unterdrückung freier Meinungsäußerungen konnten erstmals wieder freie und offene Worte gesagt werden. Die drei Punkte der SVP lösten im ganzen Land ein außerordentlich starkes, freudiges Echo auf.“ </i><BR /><BR />In der zweiten Ausgabe der Dolomiten am 22. Mai hieß es dazu: <BR /><i>„Man sieht im Programm der Partei nicht nur die vollständige Loslösung unseres Volkes von der langen Unterdrückung durch das faschistische und nationalsozialistische Regime, sondern ebenso einen klaren Weg in die Zukunft, einen Weg der Ruhe und Ordnung und des Aufbaues auf demokratischer Grundlage. Das gleichzeitige Wiedererscheinen der im Volke so tief verankerten 'Dolomiten' hat die freudige Zuversicht auf eine nunmehr endgültige Wendung der Dinge noch mehr verstärkt und alle jenen amerikanischen Stellen gegenüber zu Dank verpflichtet, die diese wahrhaft demokratische Lösung ermöglicht haben.“</i>Anschließend wurden einige Reaktionen zu diesem „<i>wichtigen, zukunftsgestaltenden Ereignis“</i> abgedruckt.<BR /><BR />In einem Leserbrief aus Bozen hieß es u.a.: <i>„Man spricht von Versöhnung, jedes Wort von Vergeltung und Rache ist gestrichen, man spricht nur von Aufbau, von Recht und Gerechtigkeit. Und wahrhaft, das ist auch die Sprache unseres Volkes, dass unter das Vergangene einen dicken Strich gezogen haben will, um energisch an den Neuaufbau seiner Zukunft arbeiten zu können.“ </i><BR /><BR />Einige Montaner waren davon überzeugt, dass die im Programm genannten demokratischen Grundsätze <i>„durch die anglo-amerikanischen Mächte auch verwirklicht werden. Dass unsere alte liebe Zeitung, die 'Dolomiten', wieder erscheinen konnten, halten wir für das erste Anzeichen einer besseren Zukunft.“</i><BR /><BR />Wie sehr dieses Thema emotional besetzt war, wurde besonders deutlich bei der Reaktion der Niederdorfer im Pustertal. Da hieß es:<BR /><i>„Dass unsere 'Dolomiten' wieder erschienen sind, das war wohl die freudigste Pfingstüberraschung, die wir uns hätten wünschen können. Wir haben sie wie einen alten Freund aufgenommen, der nach langen Jahren aus der Verbannung wieder heimkehren durfte. Und – er kam nicht mit leeren Händen, sondern brachte uns ein ganz ausgezeichnetes Geschenk: Die Südtiroler Volkspartei, in der sich die ganze Bevölkerung in ihrem politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Wollen vereinigen kann, um – nicht mit faschistischen oder nationalsozialistischen Methoden – ihre volkhaften Ziele auf wahrhaft demokratische Grundlage im Einvernehmen mit den alliierten Mächten zu vertreten. Wenn im Programm von einer Zusammenarbeit mit dem italienischen Teil der Bevölkerung die Rede ist, so können wir nur sagen, dass es immer dem Südtiroler Geiste entsprach: Gebt dem Italiener, was des Italieners ist, und dem Südtiroler, was des Südtirolers ist.“</i>Das waren schöne Worte. Ähnlich klang es auch bei Chefredakteur <b>Anton Heiß</b>, der in der Ausgabe vom 19. Mai 1945 den Aufruf der Partei mit einem ausführlichen Beitrag <i>„Zum Geleite“</i> ergänzt hatte. Die Realität sah anders aus. <BR /><BR />Ein Leser aus Brixen erwähnte den entscheidenden 3. Punkt des SVP-Programms, Anspruch des Südtiroler Volkes auf Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes, in der Hoffnung, dass das auf demokratischem Wege durchzusetzen sei. Alle kompetenten Stellen könnten die ruhige Gewissheit haben, <i>„dass die bodenständige Bevölkerung illegale Methoden heute und in Zukunft ebenso ablehnen wird, wie sie es in der Vergangenheit getan hat.“</i><BR /><BR />Die Italiener sahen das anders. Inzwischen wurden fast alle deutschsprachigen Beamten aus ihren Ämtern entlassen; man versuchte ihnen durchwegs Nationalsozialismus vorzuwerfen und ging auf jede Art und Weise gegen die Optanten vor. Alle amtlichen Verlautbarungen erschienen nur noch in italienischer Sprache; Südtiroler waren gezwungen, in den Ämtern Italienisch zu sprechen. Alle Stationsnamen an Bahnhöfen wurden wieder italianisiert, alle Straßennamen wurden wieder italienisch, und die Post erstellte Briefe mit deutschen Orts- und Straßenbezeichnungen ganz einfach nicht zu. Die Stoßrichtung ihrer Politik richtete sich gegen den 3. Punkt des Programms. Sie wollten die SVP überhaupt erst als Partei anerkennen, wenn dieser Punkt entfernt würde. Als die SVP ablehnte, bezeichnete man sie als illegal und versuchte, eine italienfreundliche Partei auf die Beine zu stellen. Das allerdings gelang am Ende nicht.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1166886_image" /></div> <BR />Nur die wenigsten ahnten an jenem 19. Mai 1945, mit welchen Schwierigkeiten der Neuanfang der „Dolomiten“ verbunden gewesen war. Nach dem Vortrag über die Ereignisse im September 1943 durch <b>Erich Amonn</b> hatte die amerikanische Militärverwaltung die Genehmigung zum Wiedererscheinen erteilt. Im Impressum wurde als Erscheinungsort Brixen genannt, als verantwortlicher Direktor zeichnete <b>Johannes Tschurtschentaler</b>, Monsignore und treuer Gefährte von Kanonikus Michael Gamper in guten wie in schlechten Zeiten. Chefredakteur war kurzzeitig Anton Heiß. Die Herstellung der „Dolomiten“ erfolgte mit der ersten Nummer in der Druckerei der Verlagsanstalt Athesia zu Zinggen in Brixen. In der Bombenzeit 1944 hatte nämlich der NS-Verlag des Bozner Tagblatts den gesamten Druckereibetrieb nach Brixen verlegt, weil er sich dort doch sicherer glaubte als in Bozen. Tatsächlich wurde auch die Druckerei in Bozen von den Bomben schwer heimgesucht, während in Zinggen bei Brixen keine Bomben fielen.<BR /><BR />Die Redaktion der Dolomiten bestand anfangs aus Frau <b>Corradini</b> und dem Journalisten Anton Heiß. Die Arbeit gestaltete sich äußerst schwierig. Es fehlte jeder regelmäßige Postverkehr. Nur die eine oder andere italienische Zeitung war zu bekommen. Bei internationalen Ereignissen verließ man sich auf die BBC. Dabei musste man immer mit Blick auf den amerikanischen Zensor schreiben, der allerdings eher nachsichtig war. Eine große Schwierigkeit bereitete der Zeitungsversand, wie sich Johannes Tschurtschenthaler erinnerte:<BR /><i>„Wir hatten ein eigenes Lieferauto, das aber nicht genügen konnte, um die Zeitung tagtäglich auch nur an die wichtigsten Zentren des Landes bringen zu können. Privatautos waren damals aber noch sehr rar. Überdies war damals die Zeit der großen Reifennot und der Reifendiebstähle. Autos lagen auf den sogenannten Autofriedhöfen in Unmengen herum, aber keine Reifen, die hatte man samt und sonders gestohlen. Auch von unserem Athesia-Lieferwagen sind in einer Nacht aus der wohlverschlossenen Holzhütte im Brixner Priesterseminar sämtliche vier Reifen gestohlen worden.“ </i><BR /><BR />Am 15. Juni stieß der aus dem KZ-Dachau entlassenen <b>Rudolf Posch</b> in seiner Funktion als Direktor zur Redaktion. Im August wurden Verwaltung und Expedition nach Bozen verlegt, die Zeitung aber weiter in Brixen/Neustift gedruckt. Im November war auch die Druckerei Athesia in Bozen wenigstens soweit wieder hergestellt, dass dort die Rotationsmaschine aus Neustift aufgestellt werden konnte. Die Redaktion übersiedelte ebenfalls nach Bozen. Im Dezember kam dann der Kanonikus aus Rom zurück. Unter seiner Führung als Präsident der Athesia wurde diese Zeitung so etwas wie ein Anker für viele Südtiroler in einer Zeit großer Ungewissheit und wieder das, was sie immer gewesen war – und bis heute geblieben ist: das Tagblatt der Südtiroler.<BR /><BR /><b>Zur Person</b><BR />Rolf Steininger, von 1984 bis 2010 Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität InnsbruckBuchtipp: Rolf Steininger, „Südtirol. Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart“, Haymon Verlag 2019, 224 Seiten<BR />Bestellen: <a href="http://www.athesiabuch.it/" target="_blank" class="external-link-new-window" title=""> www.athesiabuch.it</a>