Die radioaktive Verseuchung ist auch 35 Jahre später noch messbar, betont Luca Verdi, Amtsdirektor des Labors für Luftanalysen und Strahlenschutz in Bozen.<BR /><BR /><BR /><i>Von Rupert Bertagnolli</i><BR /><BR /><BR />Bedienungsfehler und Konstruktionsmängel lösten am 26. April 1986 die bis dahin größte Katastrophe in der zivilen Nutzung der Kernenergie aus. Eine gewaltige Explosion zerriss den Reaktor und die ihn umgebende Schutzhülle. Große Mengen radioaktiver Materie wurden durch die extreme Hitze in den Himmel geschleudert und verteilten sich auf die Region nordöstlich von Tschernobyl (damals Sowjetunion, heute Ukraine).<BR /><BR />Messstationen in Nordeuropa hatten längst Strahlenalarm gegeben, als die ahnungslosen Sowjetbürger am 1. Mai noch zu Kundgebungen marschierten und der Nachwuchs in den Sandkästen buddelte. Viel zu spät kam der Evakuierungsbefehl. Allein in Weißrussland mussten 480 Siedlungen aufgegeben werden. 137.000 Menschen wurden umgesiedelt. Rund 50 Menschen dürften unmittelbar nach der Katastrophe ihr Leben verloren haben, die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass es weltweit rund 4000 Todesopfer vor allem durch Krebserkrankungen gegeben hat. <BR /><BR /><b>Regen bringt Radioaktivität</b><BR /><BR /> 3 bis 4 Tage nach der Explosion in Tschernobyl erreichte die radioaktive Wolke auch Österreich, Südtirol und Nord-Ost-Italien und sie entlud ihre gefährliche Strahlung. „Für die Verteilung der Radioaktivität war damals der Niederschlag entscheidend. Dort wo es in Südtirol stark geregnet hat, war die Radioaktivität im Boden deutlich höher. Das kann man heute noch messen“, erklärt Luca Verdi, Amtsdirektor im Amtsdirektor im Landeslabor für Luftanalysen und Strahlenschutz in Bozen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="636452_image" /></div> <BR />Betroffen gewesen seien vor allem Prettau im Ahrntal, das Gebiet am Brenner, Teile des Pflerschertals, des Naturparks Fanes und der Seiser Alm, der Kronplatz, das Gebiet Obereggen, die Stadt Leifers, ein Gebiet nördlich von Rasen-Antholz und nördlich von St. Felix. „Überall dort kann man die allerdings geringen Spuren von Tschernobyl in Bodenproben, in Pilzen und in verschiedenen Waldfrüchten immer noch messen“, betont Verdi. Denn noch heute werden einige Nahrungsmittel vom Landeslabor für Luftanalysen und Strahlenschutz regelmäßig auf Radioaktivität überprüft. So schreibt es das Gesetz vor. Man dürfe ja nicht vergessen, dass um Südtirol immer noch verschiedene Kernkraftwerke aktiv sind. <BR /><BR /><b>„Klar unter Grenzwerten“</b><BR /><BR /> „Auch Bodenproben werden gemacht, um Cäsium 137 zu messen. Deshalb gibt es eine umfassende Datenbank, in der die Entwicklung nachvollziehbar ist. Nudeln, Milch, Gemüse usw. weisen bei uns extrem geringe Spuren von Radioaktivität auf. Manchmal sind die Werte nicht einmal messbar. Bei Erdbeeren gab es in Südtirol nie Spuren, bei Himbeeren manchmal, aber selten. Nur in gewissen Pilzen, bei Preiselbeeren und Heidelbeeren messen wir noch Radioaktivität. Die Werte liegen aber immer klar unter den gesetzlich festgelegten Grenzwerten. Diese sind sehr hoch angelegt. Konkret gesagt sind sie für einen Verzehr von 2 Kilogramm pro Tag und Person gedacht. Eine solche Menge isst niemand. Und auch wenn man an einem Tag 2 Kilo essen würde, wäre das kein Problem, da man nicht jeden Tag 2 Kilogramm zu sich nimmt“, beruhigt der Amtsdirektor.<BR /><BR />Für die Strahlenexposition in Mitteleuropa ist hauptsächlich Cäsium 137 von Bedeutung. „Das radioaktive Element hat eine Halbwertszeit von ca. 30 Jahren. Das bedeutet: Nach 3 Jahrzehnten gibt es nur mehr halb so viel Cäsium wie Ende April 1986“, erklärt Verdi. <BR /><BR /><b>In Pilzen noch nachweisbar</b><BR /><BR />Abgelagert ist Cäsium 137 vor allem in unbearbeiteten Waldböden. Tiere, die dort Pilze, Trüffel und Beeren essen, speichern das Cäsium in ihrem Körper. Während in Bayern und in italienischen Regionen, etwa im Piemont, noch immer erhöhte radioaktive Werte bei Wildschweinen gemessen werden, „können wir in Südtirol bei Hirschen, Rehen usw. höhere radioaktive Werte feststellen als bei Kühen oder Schafen. Sie liegen aber immer klar unter den Grenzwerten“, so Luca Verdi. In Südtirol seien nur gewisse Pilzarten leicht kontaminiert. „Bei Steinpilzen, Pfifferlingen und Herrennagele sind immer noch radioaktive Werte messbar“, ebenfalls innerhalb der Grenzwerte.<BR /><BR /><embed id="dtext86-48747353_quote" /><BR /><BR />„Die radioaktive Zusatzbelastung durch Tschernobyl in Südtirol ist in der gleichen Größenordnung wie die natürliche Radioaktivität, die man über ein Jahr hinweg bei uns absorbiert. Anders gesagt: Die Summe der Dosis an Radioaktivität durch Tschernobyl ist gleich mit der Dosis, die wir in einem Jahr an natürlicher Radioaktivität bei uns absorbieren.“ Die Menge an Radioaktivität aus Tschernobyl, die über Südtirol niedergegangen ist, „war insgesamt gering und zudem nicht gleichmäßig verteilt“, so Verdi. <BR /><BR />Auch ein anderer Jahrtag ist inzwischen zu berücksichtigen. Vor 10 Jahren, am 11. März 2011, wurde bei der Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima ebenfalls eine große Menge radioaktiver Strahlung freigesetzt. Verdi: „Die Kontamination war räumlich deutlich begrenzter als bei Tschernobyl: Trotzdem waren Spuren auch bei uns messbar. Die Folgen solcher Unfälle kennen keine Grenzen.“<BR />