Im Interview betont Karl Platter mehrfach, dass er nicht groß in Erscheinung treten möchte. Allerdings weiß der 84-Jährige derart gut und aufschlussreich aus den Pionierzeiten der Freiwilligen zu erzählen, dass man passend zum Jubiläum getrost eine Ausnahme machen sollte.<BR /><BR /><b>Herr Platter, wie sind Sie als junger Weinbauer im Jahre 1966 zum Weißen Kreuz gekommen?</b><BR />Karl Platter: Wir waren drei Kollegen und sind im August 1966 zum Schwimmen auf den Fennberg gefahren. Beim gemütlichen Plaudern erzählte einer, dass er Freiwilliger beim Weißen Kreuz sei. Wir hatten davon noch nie gehört. Er meinte, es würde noch Freiwillige für die Nachtdienste brauchen und nach Rücksprache mit meinem Vater habe ich gedacht: Ja, warum denn nicht, probieren kann man es ja mal. <BR /><BR /><b>Wo war das erste Treffen?</b><BR />Platter: Das Weiße Kreuz war 1966 in einem Gebäude in der Fagenstraße gegenüber vom Kulturheim in Gries untergebracht. Die Räume waren eng und nur notdürftig eingerichtet, an einer Wand hing ein Telefon mit direkter Linie zur Polizei, dann gab es noch ein Telefon mit zwei Linien. Erreichbar war das Weiße Kreuz unter einer normalen Telefonnummer: 37294. Wir haben also die Nachtdienste eingeteilt und zurechtzukommen versucht. <BR /><BR /><b>Welche Art von Einweisung habt ihr bekommen?</b><BR />Platter: Wir wussten nichts, waren uns unserer Verantwortung auch nicht bewusst. Man hat uns gezeigt, wie man Kranke auf eine Trage hebt und sie transportiert. Und wie man Wunden verbindet und einen Fuß schient, das war’s aber auch schon. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1199055_image" /></div> <b>Erinnern Sie sich an Ihren ersten Freiwilligendienst beim Weißen Kreuz?</b><BR />Platter: Und wie, denn es war ein denkwürdiger Dienst. Zunächst mussten wir zur Kaserne in die Trieststraße fahren, wo Flüchtlinge aus Süditalien untergebracht waren. In derselben Nacht kam ein dringender Anruf, und wir mussten für einen Notfall ausrücken. Die Rettungswagen hatten einen schwachen Motor, in den Steigungen kamen wir kaum voran, sobald wir Blaulicht und Sirene aktivierten. Als wir ankamen, mussten wir mit folgender Situation zurechtkommen: Weinende Kinder, ein betender Pfarrer und mittendrin ein bewusstloser Patient. Er war in Unterzucker. Auf dem gesamten Weg ins Bozner Krankenhaus betete der Pfarrer und ich mit ihm. Es half, der Mann überlebte den Notfall. Wie so oft in den Folgejahren stand uns der Schutzengel bei. <BR /><BR /><b>Wenigstens musstet ihr nicht selbst fahren …</b><BR />Platter: Das änderte sich schnell. Denn bald schon kam Direktor Karl Detomaso mit dem Wunsch auf uns zu, dass es dringend Fahrer brauche. Er selbst übernahm die Schulung. Erneut wurde mir erst hinterher die Verantwortung bewusst, die man als Fahrer für den Transport mit dem Kranken bzw. Verletzten und den Mitfahrenden übernahm. Aber langsam ist man hineingewachsen, und wir wurden auch schnell von der Bevölkerung akzeptiert. Wir waren als die „deutschen Buben“ bekannt. Die Anfangsjahre waren schon sehr abenteuerlich, außerdem war nie kein Geld da. Irgendwann hatten wir Freiwillige die Idee, einen Ball zu organisieren. <BR /><BR /><b>Tatsächlich? Einen Ball, um den Dienst finanzieren zu können?</b><BR />Platter: Ja, so war es. Toni Puff, der Sonnenwirt in Gries, unterstützte uns dabei nach Kräften, wir sammelten für den Glückstopf, und so ging der erste Weiß-Kreuz-Ball Mitte der Sechziger Jahre in der alten Bozner Messehalle über die Bühne. Wir konnten mehr als 1.000 Gäste begrüßen. Wir Freiwillige baten wir die ältesten Frauen im Saal zum Eröffnungstanz, die Resonanz war riesig. Ich durfte mit Sophia Magnago tanzen. Die Einnahmen kamen klarerweise dem Verein zugute, sie entsprachen dem Wert einer neuen Ambulanz. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1199058_image" /></div> <BR /><BR /><b>Heute nicht mehr vorstellbare war wohl auch die Art der Kommunikation. Es gab schließlich noch keine Handys …</b><BR />Platter: In den Anfangszeiten hatten wir nicht mal einen Funk, aber ein sehr großes Gebiet von Salurn bis Mölten und vom Überetsch bis zum Schlerngebiet, Ritten und Sarntal abzudecken. Mitten in der Nacht waren natürlich auch die Gasthäuser geschlossen, somit waren Carabinieri-Stationen oft die einzige Möglichkeit für Telefonate. Oder im Spital, sobald wir unseren Transport durchgeführt hatten, erkundigten wir uns nach dem nächsten Einsatz. So waren wir oft nächtelang unterwegs. Nach etwa zwei Jahren erreichte uns mitten in der Nacht ein Anruf des Senators Friedls Volgger aus Rom: Die Funkfrequenz war bewilligt worden. Das war eine riesige Freude, der Funk erleichterte unsere Tätigkeit enorm. Allerdings galt es zunächst einmal ein Netz aufzubauen. Dafür mussten wir an geeigneten Orten Umsetzer anbringen und in den entlegensten Winkeln schauen, ob das Netz auch funktioniert.<BR /><BR /><b>Es hat fast den Anschein, als wärt ihr ohne Schlaf ausgekommen …</b><BR />Platter: Geschlafen haben wir vom Nachtdienst tatsächlich wenig bis gar nicht. Direkt nach dem Dienst hieß es, daheim anpacken, die Arbeit macht sich nicht von allein. Klar, am darauffolgenden Abend ist man schon übermüdet ins Bett gefallen. <BR /><BR /><b>Im Rettungsdienst kommt man unweigerlich mit dem Sterben und dem Tod in Berührung. Wie seid ihr damit umgegangen?</b><BR />Platter: Was das betrifft, gab es schon schlimme Momente. Oft ist mitten in der Nacht ein Anruf vom alten Bozner Spital gekommen, wo damals italienische Klosterfrauen das Sagen hatten. Sie waren uns vom Weißen Kreuz nicht wohlgesonnen. „Urgente, urgente“, haben sie ins Telefon gerufen und ordentlich Druck gemacht, damit wir die todgeweihten Patienten abholen und sie nach Hause fahren. Während des Transportes sind manche gestorben, wir mussten den Verlust der Familie beibringen. Das war wirklich hart. Wir hatten keine Nachbetreuung und mussten damit umzugehen lernen. Wir merkten aber bald, wie gut es tut, darüber zu sprechen und uns gegenseitig zu unterstützen. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1199061_image" /></div> <BR /><b>Wer meldete sich eigentlich für die Freiwilligendienste?</b><BR />Platter: Alle möglichen Leute, jedoch fast niemand aus der Stadt. Da waren Studenten, angehende Ärzte, Landhausangestellte und auch Männer von der Berufsfeuerwehr. Das war besonders wertvoll, denn so hat sich die Zusammenarbeit mit der Feuerwehr ergeben. Bis dahin haben wir an den Unfallstellen alles selbst tun müssen, die Verunfallten aus den Autos bergen und das ganze Drumherum abwickeln. Heute dagegen ist der Einsatz der Feuerwehr bei Unfällen völlig normal. Ich weiß auch noch, wie ich als Gruppenleiter in den Anfangszeiten entscheiden musste, ob der Einsatz eines Helikopters gerechtfertigt war. Sonst war in der Nacht keiner dafür da. <BR /><BR /><b>Und schließlich, nach 30 Jahren Freiwilligendienst, sagten Sie dem Weißen Kreuz Servus.</b><BR />Platter: Ja, irgendwann ist genug. Außerdem waren drei von meinen vier Kindern beim Weißen Kreuz, mein Sohn Armin hat dort sogar 16 Jahre als Angestellter gearbeitet. Es gab sonst noch allerhand zu tun – am Hof, bei Genossenschaften, in Vereinen und nach dem Weißen Kreuz auch als Freiwilliger beim Zivilschutz.<BR /><BR /><b>Zusammen mit wenigen Gleichgesinnten habt ihr vor 60 Jahren begonnen, heute ist das Weiße Kreuz zu einem der größten Vereine mit 4.100 Freiwilligen und 142.000 Fördermitgliedern angewachsen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?</b><BR />Platter: Ja, diese riesige Entwicklung macht mir viel Freude. Ganz generell darf man froh sein, wenn sich viele Menschen mit großem Eifer für das Weiße Kreuz engagieren, denn das kommt allen zugute.