Am 13. Juli wird der Gemeinderat von Natz-Schabs darüber abstimmen, wie das Gelände künftig genutzt werden soll. Wir haben mit Architekt Klaus Ausserhofer, der sich eingehend mit der Geschichte des Areals befasst hat, gesprochen.<BR /><BR /><b>Seit Jahren schon beschäftigen Sie sich mit der Geschichte des ehemaligen Nato-Areals in der Gemeinde Natz-Schabs. Wie ist es dazu gekommen und was fasziniert Sie dabei so? </b><BR />Klaus Ausserhofer (im Bild unten): Begonnen hat es 2013 mit dem Europäischen Denkmaltag. Als Vizedirektor des Amtes für Bau- und Kunstdenkmäler hatte ich Führungen im Site Rigel organisiert, zusammen mit der Gemeinde und Christine Roilo, Direktorin des Landesarchivs, von der die Idee dazu kam. Ein unerwarteter Erfolg mit Besuchern aller Altersstufen, der das Interesse an der Geschichte der geheimnisumwitterten Militäranlage aufzeigte, die in Südtirol einzigartig und das wichtigste Relikt des Kalten Krieges ist. Es war der Auftakt zu weiteren Recherchen, der Sammlung von Dokumenten und Gesprächen mit Zeitzeugen, die am Denkmaltag spontan von ihren Erinnerungen zu erzählen begannen. Eine spannende Geschichte, die mich nicht mehr losgelassen hat.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="787058_image" /></div> <BR /><BR /><b><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />Die Entstehung des Nato-Sonderwaffenlagers in Südtirol reicht in die frühen 1960er Jahren zurück, 1967 ging es in Betrieb (siehe Zeitleiste ganz unten, Anm. der Red.). Damals erreichte der Kalte Krieg mit der Kuba-Krise ihren Höhepunkt. Gleichzeitig wurden auf dem beschaulichen Hochplateau Atomwaffen gebunkert. Weiß man heute, wie viele Atomwaffen sich wirklich auf dem Areal befanden und welche Sprengkraft bzw. Reichweite sie hatten?</b><BR />Ausserhofer: Dass in Natz Atomwaffen gelagert waren, durfte natürlich niemand wissen und wurde auch nie offiziell bestätigt. Daher gibt es nur Vermutungen, wonach es bis zu 44 gewesen sein könnten: nukleare Sprengköpfe für die Kurzstreckenraketen Honest-John, dann Artilleriegranaten für Haubitzen (Reichweite 16,8 km, 1 bis 20 Kilotonnen Sprengkraft). Zum Vergleich: Die Atombombe über Hiroshima hatte eine Sprengkraft von 13 Kilotonnen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="787061_image" /></div> <BR /><BR /><b>Gab es je eine heikle Phase?</b><BR />Ausserhofer: Ja, im September 1972 bei den Olympischen Spielen in München: Ein palästinensisches Terrorkommando überfiel das israelische Team und ermordete 11 Sportler. Damals wurden die Ruazzi-Kaserne und das Sonderwaffenlager in Natz in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt, mit eine Woche Ausgehverbot, wie mir ein damals dort stationierter Soldat erzählte.<BR /><BR /><b>Wie sehr hat diese Zeit Spuren – positive wie negative – in der Gemeinde hinterlassen?</b><BR />Ausserhofer: Anfangs war es sicherlich ein Schock für die Bevölkerung: Enteignungen von Feldern und Wald in Natz und Elvas, jahrelange Bauarbeiten, dann Betrieb mit bis zu 1100 italienischen Soldaten. Ein militärisches Sperrgebiet, rund um die Uhr bewacht, nachts taghell erleuchtet. Die Bauern durften um das Areal nur niedrige Gemüsekulturen halten oder Grünwiesen, hochwachsender Mais war verboten. Die vielen Soldaten – darunter die ersten Farbigen auf dem Hochplateau – brachten aber auch Leben in die Gasthäuser, einen wirtschaftlichen Aufschwung und einen Modernisierungs-Schub mit Coca Cola, Whiskey und Rockmusik. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="787064_image" /></div> <BR /><b><BR />Seit dem Abzug der Amerikaner 1983 und spätestens seitdem das Areal an das Land übergegangen ist, harrt es einer adäquaten Nutzung entgegen, die Meinungen in der Gemeinde gehen auseinander. Sie haben auf die zeitgeschichtliche Bedeutung des Areals – auch in Hinblick auf die aktuelle weltpolitische Lage – verwiesen. Wie könnte die wechselvolle, teils auch schwierige Geschichte ein Gewinn für alle in der Gemeinde werden? </b>Ausserhofer:Site Rigel besitzt ein außergewöhnliches Potential in der Kombination als authentischer Erinnerungsort an den Kalten Krieg, als in der gesamten Region einzigartigen Lernort der Geschichte für künftige Generationen und als offene Naherholungszone. Voraussetzung ist, dass die gesamte Anlage erhalten bleibt, denn nur dann sind die funktionellen Zusammenhänge zwischen „Polveriera Nazionale“ und US-Hochsicherheitstrakt nachvollziehbar – das Zusammenspiel zwischen italienischem Heer und US Army im Rahmen der „Nuklearen Teilhabe“, wobei die Honest-John-Raketen und die Haubitzen für den Einsatz konventioneller und nuklearer Munition konzipiert waren.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="787067_image" /></div> <BR /><BR /><b>Hintergrund 1 – Das Sonderwaffenlager: Eines von 4</b><BR /><BR />Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zeichnete sich für die Amerikaner die Notwendigkeit ab, in verschiedenen Ländern Europas stationiert zu bleiben, um die marktwirtschaftlich orientierten westlichen Demokratien vor der Bedrohung seitens der kommunistischen Ostblockstaaten zu schützen. Aus provisorischen Unterkünften wurden Kasernen, aus temporären Waffenlagern feste, gesicherte Depots. <?Schrift SchriftWeite="100ru"> Für die Aufbewahrung von Sonderwaffen errichteten die Ingenieure der US-Army in verschiedenen europäischen Ländern SAS (Special Ammunition Storages) nach vorgegebenem Bauschema. In Nordost-Italien gab es neben dem SAS Site Rigel in Natz noch weitere 3 baugleiche Sonderwaffenlager: das SAS Site Algol in Palù di Orsago (TV) das SAS Site Aldebaran in Chiarano (TV) und das SAS Site Castor in Fossalta di Portogruaro bzw. Teglio Veneto (TV).<?_Schrift> <BR /><BR /><b>Hintergrund 2 – Die Frage nach der Nutzung</b><BR /><BR />Am 13. Juli tagt der Gemeinderat von Natz-Schabs, um über eine Grundsatzentscheidung betreffend der künftigen Nutzung des Ex-Nato-Areals abzustimmen. Die Frage spaltet die Gemüter in der Gemeinde. Wie berichtet (siehe digitale Ausgabe), möchte das Bodenverbesserungskonsortium BVK Natz auf dem 9,4 Hektar großen Areal ein Speicherbecken für die Landwirtschaft errichten. Dafür bräuchte es einen Teil des Grundstücks. Ein Promotorenkomitee spricht sich dagegen aus und beantragte ein Referendum.<BR /><BR /><BR /><BR />