Im Interview sprechen die beiden Frauen über den brutalen Tod ihrer Tochter und Schwester Alexandra, den vielen Raum für den Täter, darüber, was sie wütend macht und wie es den beiden Töchtern Alexandras geht.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="836030_image" /></div> <BR /><BR /><b>Frau Riffeser, seit dem gewaltsamen Tod Ihrer Tochter Alexandra sind über 4 Jahre vergangen. Wie haben Sie wieder festen Boden unter den Füßen gefunden?</b><BR />Margit Riffeser: 4 Jahre, 2 Monate und einen Tag ist es her. Was soll ich sagen. Alexandra hat uns 2 aufgeweckte kleine Mädchen hinterlassen, für die das Leben weitergehen musste und weitergeht. Von einer Minute auf die andere wurde unsere Welt auf den Kopf gestellt. Da bleibt keine Zeit zum Trauern. Isabelle und ich mussten vom ersten Schock an funktionieren, das Leben der Mädchen und unser Leben neu organisieren. Ich kümmerte mich um Schule, Hausaufgaben, achtete darauf, dass die Mädchen gut betreut sind und das Sozialamt ja nichts auszusetzen hatte. Isabelle hat sich um den Betrieb gekümmert, denn mein Mann konnte den Tod von „Ali“ nicht verwinden. Er hat sich komplett zurückgezogen und eine Mauer um sich herum gebaut. Dass wir zu zweit sind und uns die Aufgaben teilen, hilft uns beiden sehr. Alleine diese Lebensaufgabe zu tragen, wäre sehr schlimm.<BR /><BR />Isabelle Riffeser: Man lernt gezwungenermaßen, damit umzugehen. Es gibt Tage, da ist man abgelenkt, dann gibt es wieder Tage, an denen man seelisch am Boden ist. Das ist jetzt immer noch so.<BR /><BR />Margit Riffeser: Besonders schlimm sind Tage wie Weihnachten oder Geburtstage, die wir immer sehr gern und ausgiebig gefeiert haben.<BR /><BR /><b>Und jetzt?</b><BR />Margit Riffeser: Wir gehen mit den Mädchen oft zum Grab. Sie schreiben Briefe und lassen sie dort. Die beiden sind 2 fröhliche Kinder und haben eine blühende Phantasie. Weil Alexandra ein Fan von Lady Di war, stellen sie sich die Mami mit Lady Di vor, wie sie auf einer Wolke sitzen und feiern. Lady Di auch deswegen, weil sie selbst Opfer eines schlimmen Schicksalsschlags wurde. Oder sie erzählen der Mami beispielsweise, dass sie gute Noten bekommen haben, damit Alexandra stolz auf sie ist. Dass ihnen die Mami von oben hilft, daran glauben sie fest. <BR /><BR />Isabelle Riffeser: Wir reden viel über sie. Alexandra ist jeden Tag präsent.<BR /><BR />Margit Riffeser: Manchmal hat man das Gefühl, dass sie geradezu die Finger im Spiel hat.<BR /><BR /><b>Und zwar?</b><BR />Margit Riffeser: Ein Beispiel: Wir haben den Zubau, wo sie wohnten, abreißen lassen. Weil uns der Bauunternehmer den Zeitpunkt des Abrisses nicht genau sagen konnte, wussten wir auch nicht, wann es soweit ist. Am 12. Februar 2020 war der erste Prozesstag, am 14. Februar fiel bereits das Urteil. Und gerade in dem Augenblick, als der Anruf unseres Anwalts kam, um uns mitzuteilen, dass das Urteil 30 Jahre Haft lautete, wurde die letzte Wand niedergerissen. Das war mehr als ein Zufall. <BR /><BR /><b>Das heißt, Alexandra ist Tag für Tag da?</b><BR />Margit Riffeser: Ja, sie lebt mit uns mit. Das Haus ist voller Fotos. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht von ihr reden. Und manchmal, wenn meine Enkelinnen Angst haben, die Stimme der Mami zu vergessen, dann schauen sie DVDs von früher, damit sie wieder ihre Stimme hören. Als sie mit Tante Isi und Onkel Julian nach Mallorca fliegen durften, sagten sie zu mir vor der Abreise: „Ami – so nennen sie mich –, wenn wir ganz hoch oben sind im Himmel, dann sehen wir vielleicht die Mami auf einer Wolke sitzen, dann nehmen wir sie mit heim.“ Alexandra ist immer da und wird immer da sein. Sie gibt uns Kraft.<BR /><BR /><b>Ihre Enkelinnen nennen Sie Ami und nicht Omi?</b><BR />Margit Riffeser: Ja, aber immer schon, als Alexandra noch lebte. Und jetzt sagen sie: Ami ist fast wie Mami, aber eigentlich bist du ja unsere Mami.<BR /><BR /><b>Wie sagt man 2 kleinen Mädchen – sie waren damals erst 7 und 9 Jahre alt –, dass die Mami nicht mehr wiederkommt?</b><BR />Isabelle Riffeser: Wie genau ich es ihnen gesagt habe, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Es war aber noch am selben Nachmittag. Als ich es ihnen gesagt habe, haben sie geweint, geschrien vor lauter Schmerz.<BR /><BR />Margit Riffeser: Eine Freundin von Alexandra ist Schulpsychologin. Sie hat uns geraten, den Kindern die Wahrheit zu sagen. Ihnen etwas zu verheimlichen, wäre auch gar nicht möglich. Das war ja alles in den Zeitungen zu lesen. Die Psychologin sagte uns, dass die Mädchen die Dinge erfahren sollen, wenn sie fragen.<BR /><BR /><b>Stellen sie Fragen?</b><BR />Margit Riffeser: Ja, sie fragten mich zum Beispiel, welchen Gesichtsausdruck die Mami hatte, als ich sie gefunden habe, ob ihr Gesicht wegen der Schmerzen verzerrt gewesen sei. Ich antwortete ihnen, dass die Mami ausgesehen habe, als würde sie schlafen. Das hat sie dann beruhigt. Um sie zu beruhigen, musste ich auch nachts aufzustehen und an ihren Betten sitzen, bis sie wieder schlafen konnten. <BR /><BR /><b>Was hat Sie in den 4 Jahren seit dem Verbrechen besonders gestört?</b><BR />Margit Riffeser: Schlimm war, wenn wir lesen mussten, wie verletzt und traurig der Arme war, dass er verlassen wurde. Warum Alexandra ihn verlassen hat, interessierte niemanden. Dauernd war von dem Intimfoto die Rede und Alexandra konnte sich nicht verteidigen, nicht wehren. Sie hätten vorher gestritten, bevor er zum Messer gegriffen hat: Das ist falsch. Sie hatten gar keine Zeit zum Streiten, denn er hat sie sofort angegriffen. Er wollte Alexandra auch nicht ins Krankenhaus bringen, die Richtung der Blutspuren widerlegen das. Er hat sie an den Haaren wieder zurück in die Wohnung gezogen. Und mit ihrem Anruf an mich, als sie bereits schwerverletzt war, hat sie die Kinder gerettet. Nicht auszudenken, was den Kindern hätte passieren können, die von der Schule auf dem Weg nach Hause waren und die wir so haben rechtzeitig abfangen können.<BR /><BR />Isabelle Riffeser: Immer wieder kommt folgendes Bild zum Tragen: Bringt ein Mann seine Frau um, dann ist er das Opfer. Bringt eine Frau den Mann um, ist sie die psychisch Gestörte. <BR /><BR /><b>Haben die Mädchen beim Heimkommen bereits etwas mitbekommen?</b><BR />Margit Riffeser: Nein, sie haben nur mich gesehen mit meinen Händen voller Blut. Anfangs dachten meine Enkelinnen, ich sei über die Treppe gestürzt und hätte mich verletzt.<BR /><BR /><b>Sie sagen, dem Täter wird viel mehr Raum gegeben als dem Opfer. Was hat Ihnen besonders zugesetzt?</b><BR />Margit Riffeser: Wir fanden und finden es schlimm, dass man sich verteidigen muss. Er ist der Täter und dann werden vor Gericht von der Staatsanwaltschaft noch Zweifel am Tatbestand der Grausamkeit aufgeworfen. Wenn man weiß, dass er auf meine Tochter, die vom Blutverlust bereits so entkräftet am Boden lag, von hinten noch eingestochen hat, dann versteht man die Welt nicht mehr, wo da ein Zweifel an der Grausamkeit auftauchen kann. Stattdessen wird das Bild von einem armen Ehemann gezeichnet, der seine Familie geliebt hat und wegen des Verlassen-Werdens verletzt gewesen sei. Das macht wütend. Immer noch. Aber jetzt, 4 Jahre und 4 Tage nach dem Verbrechen, hat das Kassationsgericht die 30 Jahre Haft bestätigt und wir können hoffentlich zur Ruhe kommen.<BR /><BR /><b>Haben Sie Kontakt zur Familie Ihres Ex-Schwiegersohns?</b><BR />Margit Riffeser: Nein. Nachdem man mir gesagt hatte, dass meine Tochter Schuld am Unglück des Sohnes sei, haben wir keinerlei Kontakt mehr. Diese Aussage war für mich unerträglich. Der Vater der Kinder hat das Elternrecht verloren und wir haben recht schnell die Vormundschaft bekommen.<BR /><BR /><b>Hatte Alexandra geahnt, dass sie in Gefahr sein könnte?</b><BR />Margit Riffeser: Nein. Als ich sie in den paar Tagen zuvor gewarnt und gemeint habe, dass mir sein Blick nicht gefalle, dass ich Angst hätte, dass er ihr oder den Kindern oder allen etwas antun könnte, sagte sie noch: Mami, was denkst du denn?! Mach Dir keine Sorgen, das mach ich schon. Er hätte an jedem Tag gar nicht da sein sollen. Noch am Sonntag sagte ich zu Alexandra, mir gefällt das nicht, dass er da ist, wie er herumschleicht. Und einem Freund gegenüber sagte er etwa 2 Wochen vor der Tat: Es wird bald alles ein Ende haben. Aber wer denkt dabei an so eine Tat.<BR /><BR /><b>Welchen Eindruck hatten sie von ihrem Schwiegersohn bzw. Schwager in all den Jahren?</b><BR />Isabelle Riffeser: Man wurde nicht warm mit ihm. Er hatte ein überfreundliches, aufdringliches Getue. Ich habe meine Schwester erst wieder glücklich gesehen, als sie ihm gesagt hat, dass sie nicht mehr will. Dass sie eine Nachdenkpause brauche. Von Donnerstag bis Montag, als er da war, war sie angespannt, gestresst. Er hat versucht, einen Keil hineinzutreiben und sie vom Rest der Familie zu isolieren. Er hat sie als sein Eigentum betrachtet. Sie war wie in einem Spinnennetz gefangen.<BR /><BR />Margit Riffeser: Und als sie die Courage hatte, sich von ihm zu trennen, musste sie das mit ihrem Leben bezahlen. Er war ein Narzisst, es ging immer nur um ihn, selbst als eines der Mädchen schwerkrank war.<BR /><BR /><b>Welchen Rat geben Sie ihren Enkelinnen und Nichten fürs Leben mit?</b><BR />Margit und Isabelle Riffeser: Dass sie sich nie unterkriegen lassen sollen. Und dass sie mit Vorsicht ins Leben gehen sollen besonders was Freunde betrifft – im Sinne, dass sie nicht jedem gleich vertrauen.<BR /><b><BR />Heute wird wieder der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen begangen. Haben sie einen Zugang zu diesem Tag?</b><BR />Margit und Isabelle Riffeser: Nicht wirklich, aber als nach dem Mord an Alexandra beim Fackelzug in Meran, an dem auch Bürgermeister Rösch teilgenommen hat, an Alexandra erinnert wurde, als wir die Empathie der Leute gemerkt haben, hat uns das schon sehr berührt.<BR />