„Ich habe immer wieder Lust, aufzuhören. Ich finde aber immer wieder auch neue Geschichten, die ich erzählen möchte“, sagt Andrea Pizzini im Interview mit s+. <BR /><BR /><b>Herr Pizzini, vor einem Jahr haben Sie Ihr erstes Video mit Intensivarzt Bernd Andergassen geführt, das schnell viral wurde. Wie erinnern Sie sich an die Anfänge?</b><BR />Andrea Pizzini: Angefangen hat alles mit einer Mail am 5. November an den Sanitätsbetrieb. Es hatte im Vorfeld Fake News gegeben. Eine Freundin und Intensivpflegerin aus Meran hat mich ermuntert, die Wahrheit zu erzählen. Mitte November habe ich das Okay vom Sanitätsbetrieb bekommen, dann hat alles angefangen. Zum ersten Mal richtig in der Intensivstation in Bozen war ich um den 6. Dezember – da lag ein 22-jähriger Patient in sehr kritischem Zustand. Am 6. Jänner habe ich dann das Interview mit Dr. Andergassen gemacht. Eigentlich war es mehr er, der spontan in die Kamera erzählt hat, ich habe kaum Fragen gestellt. <BR /><BR /><b>Das Video haben Sie dann auf Facebook veröffentlicht...sind Social Media die richtige Plattform für solche Videos?</b><BR />Pizzini: Das kann ich auch heute noch nicht ganz beantworten. Jedenfalls gab es viele Diskussionen darüber, was mit dem Material passieren sollte. Ich wollte ja einen Dokumentarfilm machen – „Oxygen“, aber im Zuge der Filmarbeiten dachte ich mir immer wieder, warum so lange warten mit der Veröffentlichung der Geschichten? Sobald ich das Okay von Primar und Sanitätsbetrieb hatte, habe ich es online gestellt. Und es wurde schnell viral. <BR /><BR /><b>Es gab und gibt nicht viele Filmemacher, die solche Dokumentationen machen.</b><BR />Pizzini: In Belgien gibt es einige gute Projekte. In Italien habe ich eigentlich kaum etwas gesehen, wo der Filmemacher direkt in der Intensivstation war. Meistens sah man Ärzte mit sauberem Kittel vor der Intensivstation. Ich redete während der Arbeit mit dem Arzt, es kam so authentisch herüber. <BR /><BR /><b>Und das war nur eines von vielen. Wie viele Videos haben Sie inzwischen veröffentlicht?</b><BR />Pizzini: Es werden so 40 Wellenbrecher-Videos sein, gedreht und geschnitten habe ich sehr viel mehr. Einige habe ich bei meinen Aufführungen gezeigt, andere baue ich vielleicht in meinen Film ein, andere bleiben einfach so da als Dokument. Manchmal bin ich echt stuff, ich denke, ich mag nicht mehr. Aber eigentlich finde ich immer noch Geschichten, die ich erzählen möchte. <BR /><BR /><b>Als Sie angefangen haben, sind Sie wohl auch nicht davon ausgegangen, dass Ihr neues Projekt ein Jahr dauern würde, oder?</b><BR />Pizzini: Nein, gar nicht. Ich habe mich in die Sache hineingestürzt und wollte einen Dokumentarfilm drehen. Eigentlich habe ich „Oxygen“ seit Oktober fertig. Da gab es noch keine No-Vax-Diskussionen, es ist einfach eine Erzählung vom Alltag in Zeiten von Covid. Bevor ich den Film veröffentliche, möchte ich von den Ärzten hören: „Ja, genau so war es“. <BR /><BR /><b>Aber Sie haben im Oktober weitergemacht. Und haben durchaus Szenen eingefangen, aus denen man einen Kinofilm drehen könnte.</b><BR />Pizzini: Vorerst ist das jetzt Filmmaterial, das als Zeitdokument zur Verfügung steht. Vielleicht mache ich ein 15-minütiges Extra draus. Natürlich sind die vielen auch harten Diskussionen mit den Patienten, die Konflikte spannendes Filmmaterial – aber wenn ich sie festhalten wollte, müsste ich immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Das ist zu aufwändig. <BR /><BR /><b>Wollen Sie aufhören?</b><BR />Pizzini: Ich muss es mir überlegen. Immer wieder habe ich Lust, aufzuhören. Ich bekomme nach meinen Videos immer viele Reaktionen, viele Inputs. Aber ich habe auch Angst davor, das auch noch in Angriff zu nehmen. Ich weiß nicht, ob und wie lange ich weitermachen werde. Ich habe auch Lust, zu meinem Vollzeitjob zurückzukehren. <BR /><BR /><b>Woran erinnern Sie sich gern, welches waren schlechte Erfahrungen?</b><BR />Pizzini: Jedes Mal, wenn ich in die Intensivstation gehe, fühle ich mich zu Hause. Alle sind nett und offen, ich spüre den Teamgeist, den Willen, gemeinsam an Zielen zu arbeiten. Das bewundere ich, und ich staune immer wieder, was man alles schaffen kann, wenn man nur will. Negativ empfinde ich immer noch, wenn ich darüber nachdenke, was wir falsch machen, dass so ein Misstrauen der Wissenschaft gegenüber herrscht. Es frustriert mich, dass ich immer wieder zeige, wie es in den Krankenhäusern zugeht und die Leute kapieren es einfach nicht. Ich versuche, Brücken zu schlagen, die Leute glauben immer noch irgendwelchen Predigern auf Telegram. Mir machen die sozialen Netzwerke Angst, ich befürchte, dass sie die große Gefahr des nächsten Jahrzehnts werden, dass die virtuelle Welt stärker wird als die reale. <BR /><BR /><b>Sie sind Ihr Projekt von Anfang an als Wellenbrecher angegangen, es gibt keinen Zweifel daran, auf welcher Seite Sie stehen. Hatten Sie nie Zweifel?</b><BR />Pizzini: Zum Entspannen lese ich Physikbücher, Bücher über Quantenphysik, ich mag die Wissenschaft. Ich weiß, sie macht Fehler, sie ist keine Religion. Auch an der Impfung hatte ich am Anfang Zweifel – eine normale, ruhige, vernünftige Skepsis. Ich folge aber dem wissenschaftlichen Konsens. Es gibt natürlich immer einen Wissenschaftler, der das genaue Gegenteil der Mehrheit sagt – das ist aber eben normal, weil die Wissenschaft nicht perfekt ist. Ich habe am Anfang versucht, einen dritten Weg zu finden, also eine Alternative zu „an Corona erkranken oder impfen“. Die gibt es aber nicht. <BR /><b><BR />Wenn Sie zurück könnten, würden Sie erneut das Projekt anfangen?</b><BR />Pizzini: Ja. Ich würde versuchen, einige Fehler zu vermeiden, vor allem in der Kommunikation. Aber ich bin überrascht, wie gut es gelaufen ist, es gab keine Zwischenfälle beim Filmen, keine Pannen, keine Schäden, keine verletzte Privacy. <BR /><BR /><b>Kommen Sie gut zurecht damit, auch in der Öffentlichkeit der Wellenbrecher und nicht Andrea zu sein?</b><BR />Pizzini: Das ist meine Rolle, aber ich bin überzeugt, dass ich in Südtirol bald nach Abschluss meines Projekts nicht mehr auf der Straße wiedererkannt und angesprochen werde. Ich muss aber sagen, dass die Feiertage in Antwerpen sehr angenehm waren. Ich war zu 100 Prozent Andrea, Corona war kein Thema und ich bin ausgegangen wie früher. <BR /><BR /> <a href="https://www.stol.it/suche/Wellenbrecher" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Hier geht's zu den Wellenbrecher-Videos.</a><BR />