<b>„Gegen Armut trotz Arbeit“: Ist der Aufkleber der AGO eine Provokation?</b><BR /><b>Stefano Boragine</b>: Der Slogan ist vor allem ein Zeichen, dass wir genug haben von Löhnen, die real immer weiter sinken. Das wird von Politik und Öffentlichkeit zu wenig wahrgenommen.<BR /><BR /><b>Wie sieht die Realität aus?</b><BR />Boragine: Ich bin sicher nicht einer, für den früher immer alles besser war. Aber es reicht, sich einmal zu vergegenwärtigen, dass früher ein Verdienst ausreichend war, um eine Familie zu ernähren. Heute arbeiten zumeist zwei – und es reicht oft nicht für ein angemessenes Leben. Uns geht der Mittelstand verloren – und das Problem verschärft sich sozusagen mit jedem Tag. <BR /><BR /><b>Wie ist das zu verstehen?</b><BR />Boragine: Gerade dieser Tage ist wieder eine Meldung gekommen, dass die Inflation bei uns die höchste in ganz Italien ist: Der Verbraucherpreisindex ist im Juli in Bozen um zwei und italienweit um 1,5 Prozent gestiegen. Mit Löhnen, die die Inflation nicht zur Gänze ausgleichen, werden wir immer ärmer. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-71144258_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Wie bewerten Sie die Gesetzesänderung, die die Möglichkeit für Nebentätigkeiten für öffentlich Bedienstete erweitert?</b><BR />Boragine: Diese Möglichkeit wurde auch deswegen ausgeweitet, weil die Löhne im öffentlichen Dienst nicht ausreichen. Wer genug verdient, der sucht sich in seiner Freizeit keinen Zweitjob. <BR /><BR /><b>Das Phänomen der zunehmenden Armut ist kein neues. Bereits 2019 kam die Bertelsmann Stiftung in einer Studie zum Ergebnis, ein Teil der Bevölkerung sei „arm trotz Arbeit“ und Europa brasilianisiere sich. Das beschreibt das Phänomen, mit einem Job nicht mehr auszukommen. Kann so eine Gesellschaft auf lange Sicht bestehen?</b><BR />Boragine: Die Politik ist hier kurzsichtig. Das gilt gerade für Südtirol, das umgeben ist von Regionen – Schweiz, Österreich, Deutschland –, in denen besser bezahlt wird. Und auch Arbeitskräfte, die aus dem Süden kommen, bleiben oft nur wenige Monate, weil sie die hohen Lebenshaltungskosten schrecken. Für den öffentlichen Dienst muss das heißen: Diejenigen, die da sind und gute Arbeit leisten, sollten gut bezahlt werden, damit sie bleiben. Schon jetzt steigt jedoch die Tendenz, Dienstleistungen „kostengünstig“ auszulagern. Damit lässt sich die Qualität auf Dauer nicht aufrechterhalten. <BR /> <a href="mailto:redaktino@stol.it" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Haben Sie ein Fehler gefunden? Geben Sie uns bitte Bescheid.</a>