Im Experteninterview mit Dr. Markus Haller geht es um die Risiken der Kernkraft und wie sich die Situation in Südtirol aktuell gestaltet.<BR /><BR /><BR />Kernkraftwerke werden vor allem zur Erzeugung von Strom durch Wärme verwendet. Sie gehören wie beispielsweise Kohlekraftwerke zu der Kategorie der Wärmekraftwerke. Der große Vorteil der Kernkraft ist, dass bei der Wärmeproduktion weder Luftschadstoffe noch Treibhausgase erzeugt werden.<BR /><BR /><b>Wie erfolgt die Stromerzeugung?</b><BR /><BR />Bei der Spaltung von Atomkernen wird Energie freigesetzt, diese wird anschließend unter hohem Wasserdruck aufgeheizt. Der heiße Dampf, der dabei entsteht, setzt eine Dampfturbine in Kraft, die mit einem Generator verbunden ist. Dieser Generator beginnt dank der Bewegungen der Turbine mit der Stromerzeugung. Über das Stromnetz gelangt die Elektrizität schließlich zu den Konsumenten.<BR /><BR /><b>Kernkraft in Europa</b><BR /><BR />In Europa gibt es derzeit 105 Kernkraftwerke. Die Grafik unten zeigt, wo sie sich befinden.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="708908_image" /></div> <BR />Das allererste europäische Kernkraftwerk wurde am 26. Juni 1954 in Obninsk, einer Wissenschaftsstadt in der Ukraine, in Betrieb genommen. Am 29. April 2002 wurde es stillgelegt.<BR /><BR />Das Leistungsstärkste befindet sich ebenfalls in der Ukraine, nämlich nahe der Stadt Enerhodar und versorgt fast den ganzen Süden der Ukraine mit Strom. Die Leichtwasserreaktoren kommen zusammengerechnet auf eine Leistungsfähigkeit von rund 5700 Megawatt netto. Das Kernkraftwerk ist im Übrigen am Fluss Dnepr errichtet worden, da es Unmengen von Kühlwasser benötigt, um die fast 20 gigawattstarke Anlage vor Überhitzung zu schützen.<BR /><BR />Der älteste sich noch in Betrieb befindende Reaktor ist der Block 2 in Bugey, Frankreich. Er ist seit Mai 1978 ununterbrochen in Betrieb. In Bugey stellte man eine erhöhte Zahl von Missbildungen bei Neugeborenen fest.<BR /><BR /><b>Kernkraft in Italien</b><BR /><BR />In Italien gibt es aktuell keine Reaktoren, denn im Jahr 1987 wurde per Volksentscheid beschlossen, dass die Italienische Republik aus der Kernkraft aussteigt. Auch ein potenzieller Wiedereinstieg Italiens im Jahre 2011 wurde durch ein Referendum für nichtig erklärt.<BR /><BR /><b>Die Gefahren der Kernenergie</b><BR /><BR />Bereits der Normalbetrieb eines KKW birgt Gefahren, denn die Radioaktivität, welche beispielsweise durch die Lagerung des Atommülls entsteht, ist krebsfördernd und auch das Erbgut des Menschen kann durch die radioaktive Strahlung angegriffen und in Mitleidenschaft gezogen werden. Auch der Uranabbau ist ein Problem, denn dort wird neben dem hohen Ressourcenverbrauch auch noch die Umwelt geschädigt.<BR /><BR /><b>Die Lage in Südtirol</b><BR /><BR />Die aus Südtiroler Sicht am nächsten gelegenen aktiven KKW befinden sich in der Schweiz. Obwohl das Land flächenmäßig klein ist, gibt es dort 4 Reaktorblöcke in 3 Orten: Beznau (2.Blöcke), Gösgen und Leibstadt (jeweils 1.Block).<BR /><BR />Um genauere Informationen einzuholen, hat s+ einen Experten um ein Interview gebeten: Dr. Markus Haller, Medizinphysiker und Strahlenschutzexperte.<BR /><BR /><b>Welche Gefahren birgt ein Kernkraftwerk?</b><BR /><BR />Dr. Markus Haller: Radioaktivität an sich, also radioaktive Stoffe, radioaktives Wasser welches nach außen dringt und natürlich in erster Linie, birgt es Gefahren für die Arbeiter im Kernkraftwerk selbst. Deshalb sind in einem KKW sämtliche Arbeiter mit einem sogenannten Dosimeter ausgestattet. Das Dosimeter ist ein Messgerät, welches die Strahlendosis misst und somit Ausschluss über die Menge an radioaktiver Strahlung gibt, die ein Arbeiter im Laufe seines Aufenthalts im KKW abkriegt. Die gemessene Einheit nennt sich Sievert (benannt nach dem schwedischen Mediziner Rolf Sievert; Anm. d. Redaktion). Es gibt gesetzliche Regelungen in Bezug auf die Dosis. Demnach darf eine Person den Wert von 20 Millisievert pro Jahr nicht überschreiten, da dies gesundheitliche Folgen mit sich bringen würde. Die Strahlung außerhalb eines KKW sollte 0 betragen, denn dies würde bedeuten, dass das Kraftwerk absolut funktionsfähig ist. Richtig gefährlich wird es natürlich durch Naturkatastrophen wie in Fukushima.<BR /><BR /><b>Wie werden solche Kraftwerke eigentlich überprüft?</b><BR /><BR />Dr. Haller: Dort gibt es generell ganz genaue Vorschriften. In Italien haben wir zwar aktuell keine KKW, jedoch wurde im August 2020 das 101 Gesetz verabschiedet. Dieses umfasst rund 400 Seiten und behandelt die ganze Strahlenproblematik. Wichtig ist vor allem, dass in einem KKW genügend Experten für diverse Sicherheitskontrollen zur Verfügung stehen um z.B. die genaue Ermittlung der Ortsdosis zu betreiben, damit kein Arbeiter das Dosislimit von 20 Millisievert pro Jahr überschreitet. Diese Limits wurden durch Erfahrungen aus den vergangenen Atomkatastrophen genauestens bewertet und anschließend gesetzlich eingeführt.<BR /><BR /><b>Kann man Atommüll komplett entsorgen?</b><BR /><BR />Dr. Haller: Atommüll kann nicht komplett entsorgt werden. Er wird in den sogenannten Wasserbädern eines Kraftwerks aufbewahrt und gekühlt und bei Gebrauch wiederverwendet. Sobald der Atommüll ausgebrannt ist und nicht mehr wiederverwendet werden kann, kommt es zur Auslagerung. Dabei ist es enorm wichtig, einen Ort zu finden mit dem Menschen kaum in Kontakt geraten. Das größte Problem hierbei sind zum einen das Finden solcher Orte und zum anderen das Weitergeben der Lagerungsinformationen, denn Atommüll kann sogar über 1000 Jahre lang weiterstrahlen und wie soll man solche Daten dann an die x-te Generation weitergeben? Diese Frage gilt wohl als die größte Problematik.<BR /><BR /><b>Wann wird Radioaktivität gefährlich?</b><BR /><BR />Dr. Haller: Radioaktivität an sich ist nicht gefährlich. Gefährlich ist nur eine Überdosis an Bestrahlung, die man als Mensch abkriegen kann, wenn man sich in unmittelbarer Nähe von Radioaktivität aufhält. Durch die Hintergrundstrahlung vom Universum, von der Sonne und vom Boden, bekommen wir Menschen jährlich circa 1-2 Millisievert ab, das ist nicht vermeidbar. Solch eine Dosis ist nicht gefährlich.<BR /><BR /><b>Muss man in Südtirol Angst haben?</b><BR /><BR />Dr. Haller: Momentan muss man in Südtirol keine Angst haben. Denn auch falls es in der Nähe, z.B. in der Schweiz, zu einem Reaktorunfall kommen würde, wäre es äußerst unwahrscheinlich, hier in Südtirol direkt davon betroffen zu sein. Damals waren wir durch die Katastrophe von Tschernobyl auch leicht betroffen. Man sollte zu der Zeit vermeiden Pilze zu sammeln, man musste aufpassen, was man trinkt bzw. von wo das Wasser stammt und man sollte Früchte usw. vor dem Verzehr gut abwaschen. Zu diesen Umständen kam es lediglich, weil die Wetterlage zum Zeitpunkt der Nuklearkatastrophe sehr ungünstig war und durch die Windverfrachtung ein wenig Radioaktivität zu uns gelangen konnte.<BR />