„Die ganze Gesellschaft steht, bedingt durch die über lange Zeit anhaltende Ausnahmesituation, derzeit unter großem psychischen Druck“, sagt der neue Sanitätsdirektor. <BR /><BR /><BR /><BR /><b>Sie übernehmen mitten in der Pandemie das Amt des Sanitätsdirektors. Mit welchem Gefühl?</b><BR />Dr. Josef Widmann: Mit gemischten Gefühlen. Einerseits freue ich mich auf die neue Aufgabe, weil sie eine sehr interessante Herausforderung darstellt. Andererseits kommen mitten in der Pandemie Problematiken dazu, die man sich bei so einer Amtsübernahme nicht wirklich wünschen würde. <BR /><BR /><b>Dabei hätte die Sanität auch ohne Corona einige riesige Baustellen, wie Personalmangel oder lange Wartezeiten. Wo wollen Sie als erstes Hand anlegen?</b><BR />Dr. Widmann: Das sind altbekannte, kritische Punkte, die durch die Pandemie nur noch verschlimmert werden. Ich bin kein Zauberer und kann keine Lösung herbeizaubern. Wenn man allein den Bereich Mangel an Fachpersonal anschaut, sind das Probleme, die nicht nur uns betreffen, sondern viele andere Länder auch und die man nicht von heute auf morgen lösen kann. Da sind jetzt mehrere gute Initiativen gestartet, die mittel- oder langfristig dieses Problem doch lösen helfen.<BR /><BR /><embed id="dtext86-50870117_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Hängen die Probleme alle zusammen?</b><BR />Dr. Widmann: Der Betrieb ist eine so komplexe Struktur. An jedem Rädchen, an dem man dreht, drehen sich in der Folge 5 andere mit. Deshalb muss man sich sehr gut überlegen, wo man ansetzt, weil dann verzögert Konsequenzen entstehen können, die vorher gar nicht abschätzbar sind. Natürlich hängen Personalstände direkt mit Leistungen und Wartezeiten zusammen. Das haben wir in der Pandemie ja perfekt demonstriert bekommen. <BR /><BR /><b>Wurde in Vergangenheit vielleicht das eine oder andere Rädchen falsch gedreht?</b><BR />Dr. Widmann: Ich würde sagen, dass die Gesundheitsversorgung der Südtiroler Bevölkerung in den vergangenen 30 Jahren Riesenschritte gemacht hat hin zu einer guten Gesundheitsversorgung. Man findet sicher Realitäten, wo Teilaspekte noch besser organisiert sind. Aber insgesamt denke ich, können wir doch sehr zufrieden sein mit der Versorgung, wie wir sie heute in Südtirol haben. Kritische Punkte wie lange Wartezeiten sind und bleiben immerwährende Herausforderungen, die es zu verbessern gilt. Aber überall, wo Menschen arbeiten, werden Fehler gemacht. Auch ich bin nicht fehlerfrei. Ich hoffe aber, dass ich so wenig Fehler wie möglich mache – als Chirurg hofft man das ja sowieso. <BR /><BR /><b>Sie sind Verfechter des öffentlichen Gesundheitswesens...</b><BR />Dr. Widmann: Ich denke, wir haben einen sehr sehr guten Sanitätsbetrieb, in dem man versucht, Ressourcen so zu nützen, dass man private Strukturen nur in begrenztem Umfang und über einen begrenzten Zeitraum braucht. Man muss aber den Tatsachen ins Auge sehen und sich eingestehen, dass in gewissen Bereichen die in den privaten Sektor ausgelagerten Leistungen auch eine große Hilfe sind.<BR /><BR /><embed id="dtext86-50870119_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Es scheint aber schon so, dass die Privatmedizin Defizite des Sanitätsbetriebs ausgleicht.</b><BR />Dr. Widmann: Ich sehe das als Herausforderung, dass man in einer Art Konkurrenzsituation versucht, die Leistungen im öffentlichen Gesundheitswesen so zu optimieren, dass sich möglichst wenige Bürger zusätzlich versichern müssen, um an ihre Gesundheitsversorgung zu kommen. Das ist ein Anspruch, den ich habe.<BR /><BR /><b>Also keine 2- oder gar 3-Klassen-Medizin?</b><BR />Dr. Widmann: Sicher nicht. Ich glaube, dass wir als Gesundheitsbetrieb sehr gut finanziert, infrastrukturell gut aufgestellt sind und, abgesehen von den genannten Fakten, auch personell nicht schlecht dastehen. Im Vergleich zum restlichen Staatsgebiet ist die private Medizin bei uns nur ein kleiner Prozentsatz. In dem Sinne ist die Privatmedizin nicht ein Konkurrent. <BR /><BR /><b>Zurück in den Sanitätsbetrieb. Viele Mitarbeiter sind frustriert. Wie wollen Sie Ihr mehr als 10.000 Köpfe umfassendes Team wieder flott bekommen?</b><BR />Dr. Widmann: Diese Frustration und Demotivation geht durch alle Berufsklassen und Gesellschaftsschichten. Die ganze Gesellschaft steht, bedingt durch die über lange Zeit anhaltende Ausnahmesituation, derzeit unter großem psychischen Druck. Die Basis eines guten Teams ist Vertrauen. Das Vertrauen in den Betrieb muss gefördert werden. Eines hat uns die Pandemie nämlich gelehrt: Dass man alleine nicht weit kommt, sondern dass man ein starkes Team braucht, um eine solche Krise zu meistern – aber auch andere Herausforderungen, die nach Corona im Routinebetrieb auf uns warten. <BR /><BR /><b>Was schwebt Ihnen als vertrauensbildende Maßnahme vor?</b><BR />Dr. Widmann: Die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Fachrichtungen muss bezirksübergreifend intensiviert werden. Gleichzeitig ist wichtig, dass die verschiedenen Ebenen und Teilbereiche der Spitäler und des Gesundheitssystems ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln, mit dem Ausblick, zu einem Gesamtergebnis beizutragen. Es gibt einen Betrieb und der hat für die Gesundheit der Südtiroler Bevölkerung zu sorgen, unabhängig von lokalen Interessen. Das Zusammenwachsen der einzelnen Bezirke ist im Fluss aber noch lange nicht abgeschlossen. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-50875440_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Wie würden Sie ihren Führungsstil beschreiben?</b><BR />Dr. Widmann: Ich komme aus dem Handballsport. Interessanterweise hat da jede Mannschaft 7 Spieler, so viele wie der Sanitätsbetrieb Spitäler hat. Man kann nur zusammen eine Partie angehen. Jeder für sich kann nicht funktionieren. Es gibt allgemeine Regeln, an die man sich halten muss, es gibt Individuen, die durch einen Geniestreich für das Team einen entscheidenden Beitrag leisten. Ich würde sagen, mein Führungsstil ist ein inkludierender mit dem Ziel, Teamgeist zu entwickeln. Aber auf der anderen Seite muss jemand die letzte Entscheidung treffen. Wird kein Konsens gefunden, muss der Trainer entscheiden. Aber der ist ja nicht allein. Da gibt es im Hintergrund Sportdirektor, Vereinsvorstand, Sponsoren, usw.<BR /><BR /><b>Mit 1,4 Milliarden Euro ist die Sanität im Landeshaushalt der dickste Brocken. Wird das Geld richtig ausgegeben?</b><BR />Dr. Widmann: Es werden große Anstrengungen unternommen, das Geld sinnvoll zu verwenden. Das steht außer Zweifel. Wenn es um Effizienz oder Effektivität geht, gibt es immer Möglichkeiten, wie man Geld anders verwenden, wo man Geld einsparen könnte. Dass man aber grundsätzlich mit der Idee startet, in der Sanität Sparpolitik zu betreiben, ist sehr riskant. Das haben wir im Zuge der Corona-Pandemie gesehen.<BR /><BR /><b>Sie sind in Ihrer Freizeit begeisterter Musiker. Klingt Ihr neuer Job eher nach Mozart oder nach Rolling Stones?</b><BR />Dr. Widmann: Das werde ich noch draufkommen (lacht). Wohl beides. Es gibt bei Mozart Fortissimi und bei den Rolling Stones wunderbare Piani. Ich hoffe, dass mir überhaupt noch die Zeit bleibt, selbst Musik zu machen. <BR /><BR /><BR />ZUR PERSON<BR /><BR />Dr. Josef Widmann, 1960 in Bozen geboren, leitete zuletzt mehr als 10 Jahre lang als Primar die Geschicke der Chirurgie am Krankenhaus Brixen. Nach dem Studienabschluss in Innsbruck und anschließenden Stationen in Mainz und an der Berliner Charité war Widmann vor seinem Eintritt in den öffentlichen Gesundheitsdienst auch als Privatarzt in der Marienklinik Bozen tätig.<BR />