Wie sie ihre Kindheit erlebt hat, was sie besonders schmerzte und warum sie die erste Selbshilfegruppe für Messies und deren Angehörige gegründet hat, erzählt sie im Interview.<BR /><BR /><b>Frau Pircher, wie haben Sie als Kind verstanden, dass es bei Ihnen zu Hause anders ist als bei anderen?</b><BR />Berta Pircher: Ich schicke voraus, dass ich nur bruchstückhafte Erinnerungen habe. Bei uns daheim war immer alles vollgepackt. Die Tür zu einem Schlafzimmer ging beispielsweise nur einen Spaltbreit auf, weil es voll gestapelt war mit Kartonschachteln voller Kleidung, Bettwäsche und ganz viel Seife. Mein Schlafzimmer war voll mit Zeug, das nicht meines war. Ich kannte mich nicht aus, war desorientiert. Das Chaos nach außen war Ausdruck, dass im Familiensystem etwas nicht passte. <BR /><BR /><b>Wie äußerte sich das Chaos?</b><BR />Pircher: Ich kann mich nicht an eine g’scheite Routine daheim erinnern. Am Beispiel einer Familienfeier, die gelinde gesagt, nicht gut geplant wurde; man ging davon aus, dass die Information zu den Leuten findet. Vieles war für mich nicht greifbar.<BR /><BR /><b>Was haben Sie als Kind gefühlt?</b><BR />Pircher: Das schlimmste Gefühl war, nichts ausrichten zu können, das Ausgeliefert-sein, das 0-Selbstwirksamkeit haben und das Gefühl: Ich komme hier nicht weg. Die pure Verzweiflung. Das Gefühl von Ohnmacht hat mich sehr begleitet. Als Kind ist man ja kooperationsabhängig von den Eltern. Ich habe unter der emotionalen Unerreichbarkeit gelitten. Dabei braucht man es als Kind so sehr, gesehen und wahrgenommen zu werden. <BR /><BR /><b>Und die Verwandten?</b><BR />Pircher: Sie wollten etwas verändern mit Ratschlägen, was zu tun wäre. Das nützt aber nichts, aber sie wussten es nicht besser.<BR /><BR /><b>Sie haben sich eingängig mit dem Messie-Syndrom befasst. Wie kann man Menschen mit solchen Zwangsstörungen helfen?</b><BR />Pircher: Diese Menschen brauchen eine stützende Hand, sie brauchen Sicherheit, um langsam aus dem Überlebensmodus heraus und zu sich zu kommen. Diese Menschen sind immer angespannt, immer in einer Habtachtstellung. So unter Dauer-Strom, dass sie unfähig sind, Entscheidungen zu treffen. Ich glaube, das Messie-Syndrom ist der Ausdruck der inneren Bilder. Ereignisse in der eigenen Biografie, die das Gefühl von Sicherheit zerschmettert haben. Messie-Haushalt oder Sucht ähneln sich sehr, sie tragen nur eine andere Farbe.<BR /><BR /><b>Wann ist es Ihnen gelungen, sich Ihren Freiraum zu schaffen?</b><BR />Pircher: Das war in der Mittelschule, ich habe mir Farbe gekauft und mein Zimmer ausgemalt. Es war mir so wichtig, meinen eigenen Platz zu erkämpfen. Ich hatte das Bedürfnis, mich selbstwirksam zu erleben nach dem Motto: Da redet mir niemand drein. Ich glaube, die Wut gegen die Ohnmacht hat Kräfte in mir freigesetzt. Ikea hat dann den Rest gemacht. Ich wollte leben, nicht mehr nur überleben. Denn mein Drang nach Entfaltung war in meiner Kindheit gedeckelt worden.<BR /><BR /><b>Sie haben über „family support“ Familien mit Kleinkindern unterstützt. Warum?</b><BR />Pircher: Erst im Nachhinein wurde mir bewusst, dass ich genau das getan habe, was die kleine Berta gebraucht hätte.<BR /><b><BR />Warum jetzt eine Selbsthilfegruppe?</b><BR />Pircher: Damit Menschen wie ich die Erfahrung machen, ich bin nicht allein. Halleluja, ich bin kein Alien und ich bin kein schlechter Mensch. Ich bin nicht schuld an dem, was mir passiert ist, sondern ich habe heute die Verantwortung damit umzugehen. Sonst verharre ich darin, dass ich mit dem Finger darauf zeige. Aber das bringt mich nicht weiter.