Zur <a href="https://www.stol.it/artikel/politik/eigene-energiebehoerde-fuer-suedtirol-landtag-heute-unter-strom" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Anhörung am heutigen 17. Juli zum Thema</a> im 2. Gesetzgebungsausschuss im Landtag sind die beiden allerdings nicht eingeladen; da stehen nur die Rechtsexperten Giuseppe Caia und Fulvio Cortese Rede und Antwort, die im Auftrag des Landes ein Gegengutachten erstellt haben. Was Prof. Hilpold dazu sagt.<BR /><BR /><b>Im März 2022 wurde der II. Gesetzgebungskommission Ihr Gutachten zur Machbarkeit einer autonomen Südtiroler Strom-Regulierungsbehörde vorgelegt. Fazit: Es geht. Welche Reaktion hatten Sie sich darauf erwartet?</b><BR />Peter Hilpold: Die Reaktion darauf war im Ganzen sehr positiv. Uns war bewusst, dass eine autonomiepolitische Wende in der Energiepolitik, die bislang Regulierung und Aufsicht völlig Rom überlassen hat, nicht von heute auf morgen zu erreichen sein würde. Wir können, so glaube ich, für uns in Anspruch nehmen, mit dazu beigetragen zu haben, einen längst überfälligen Diskussionsprozess in Gang gesetzt zu haben. Solche Diskussionen brauchen Zeit. Es ist mühevolle Überzeugungsarbeit zu leisten. Unser Part war dabei allein der rechtsberatende, primär im Bereich des EU-Rechts. Was die konkreten wirtschaftlichen und technischen Gestaltungsvorschläge anbelangt, so verfügt Südtirol glücklicherweise über sehr kompetente und weitsichtige Unternehmer und Experten, wie etwa Herrn Rudi Rienzner. Man hat den Eindruck, diese Fachleute haben es sich zur Lebensaufgabe gemacht, darauf hinzuwirken, dass Südtirol seine energiepolitischen Kompetenzen endlich wahrnimmt. Der wesentliche Anstoß für einen Fortgang der Diskussion kommt von dieser Seite.<BR /><BR /><BR /><b>Hat es Sie überrascht, dass man – stattdessen – ein zweites Gutachten in Auftrag gegeben hat?</b><BR />Hilpold: Das bleibt der Politik natürlich unbenommen. Zumal wir nun vor der Option eines Paradigmenwechsels stehen. In diesem Zusammenhang wird von der Bevölkerung auch die Politik der Vergangenheit hinterfragt. Nichts untergräbt die Vertrauensbasis der Politik mehr, als der Eindruck, erratisch zu handeln, zugeben zu müssen, dass schon lange bestehende Möglichkeiten nicht genutzt wurden. Es ist legitim, dass sich die Politik mehrfach absichert und nach einer Sprachregelung sucht, die eine eventuelle Haltungsänderung im Lichte eines Kontinuums darstellt. <BR /><BR /><b>Im Prinzip kommt Prof. Caia aber zum gleichen Ergebnis: Es geht! Warum wird es dennoch als „Gegengutachten“ wahrgenommen? Wo liegt denn die Schwierigkeit, wenn doch sowohl EU-Recht als auch italienisches Recht bzw. Autonomie- Statut eine eigene Regulierung nicht ausschließen?</b><BR />Hilpold: Was letztlich zählt, ist das Ergebnis. Ich glaube, wer primär an einer Stärkung der Autonomie auch im Bereich der Energie interessiert ist, zum politischen und wirtschaftlichen Wohle des Landes, wird es nicht darauf anlegen, der Politik Versäumnisse nachzuweisen, sondern wird konstruktiv nach vorne blicken. Dass ein Ausbau der energiepolitischen Kompetenzen möglich und sinnvoll ist, daran dürfte wohl kein Zweifel mehr bestehen. Nun geht es darum, der Politik die Möglichkeiten aufzuzeigen, gesichtswahrend diese Kehrtwende vorzunehmen.<BR /><BR /><embed id="dtext86-60428683_quote" /><BR /><BR /><b><BR />Wie würde der Weg zu einer eigenen Regulierungsbehörde aussehen? Auf welcher Grundlage und mit welchen konkreten Schritten könnte das erfolgen und in welchem Zeitraum? Was müsste der erste Schritt sein?</b><BR />Hilpold: Die beste rechtliche Basis wäre wohl eine Durchführungsbestimmung, die mit Trient gemeinsam angestrebt werden sollte. Auch wenn sich die Verabschiedung nicht mehr in dieser Legislaturperiode ausgehen wird, so könnten zweifelsohne jetzt schon konkrete Schritte dazu in die Wege geleitet werden. Ich schätze, dass die Umsetzung einer solchen Durchführungsbestimmung einen wesentlichen Teil der nächsten Legislaturperiode in Anspruch nehmen würde. Dieser Umstand verdeutlicht aber erneut die Dringlichkeit eines konkreten Aktivwerdens. Wir stehen vor gewaltigen Umbrüchen in der europäischen Energiepolitik. Sowohl in Brüssel als auch in Rom wird an völlig neuen Weichenstellungen gearbeitet. Wir dürfen in Südtirol in diesem Zusammenhang nicht länger abseits stehen. Die Energiepolitik der EU war in der Vergangenheit relativ starr, aber das hat sich nun grundlegend geändert. Der Ukrainekrieg hat die Vulnerabilität der internationalen Energieversorgung aufgezeigt. Auf der Grundlage des REPowerEU-Plans aus 2022 soll die schon 2019 beschlossene Energiewende noch weiter beschleunigt werden. Gerade bei diesen grundlegenden Neuorientierungen muss Südtirol seine viel beschworene Europa-Orientierung unter Beweis bestellen.<BR /><BR /><b>Dabei spielt die Tatsache, dass der Südtiroler Anteil am italienischen Stromverbrauch weniger als 3 Prozent beträgt, Südtirol ebenso in die Karten wie die vielen kleinen Stromverteiler. Die italienische Richtlinie von 700.000 Anschlusspunkten ist von der Südtiroler Realität ja meilenweit entfernt… Könnte man auch in Sachen Stromverteilung noch autonomer werden?</b><BR />Hilpold: Richtig: Die Verbrauchsschwelle von 3 Prozent, die in Südtirol nicht erreicht wird, würde genau die Voraussetzungen schaffen, damit Südtirol in Einklang mit dem EU-Recht eine autonome Regulierungsbehörde schaffen könnte. Die autonome Stromverteilung wäre ein Punkt, der Gegenstand von Verhandlungen zwischen Bozen und Rom sein könnte. Ich würde allerdings dafür plädieren, zuerst eine Rahmenregelung zu schaffen, die autonomiepolitischen Kompetenzen Südtirol vorab grundlegend abzustecken.<BR /><BR /><b>Welche Rolle könnte das Argument des besonderen Südtiroler Energie-Mixes – der meiste Strom stammt ja aus der Wasserkraft – spielen? Derzeit zahlt der Südtiroler Stromkunde ja Preise, die auch vom Gaszukauf abhängen – und das in einem Ausmaß, wie er hier ja gar nicht benötigt wird.</b><BR />Hilpold: Dieser Kalkulationsmodus hat in Südtirol in der Vergangenheit für die Energieunternehmen ein bequemes Polster geschaffen, das natürlich auch für Infrastrukturinvestitionen sehr wertvoll und nützlich war. Die Kostenexplosion bei den fossilen Energieträgern hat die Relationen nun aber völlig verschoben und zu Übergewinnen geführt, die nicht mehr zu rechtfertigen sind. Insbesondere nicht gegenüber den Verbrauchern in Südtirol, die Kosten zu tragen haben, die in keiner Relation mehr stehen zu den Energieerzeugungskosten im Lande. Aber auch für die Energieerzeuger ist diese Situation keineswegs so positiv, wie allgemein angenommen. Für die Energieunternehmen mögen solche Preise bequem sein. Sie nehmen aber gleichzeitig jeglichen Druck zum kosteneffizienten Arbeiten von den Unternehmen. Auf Dauer schadet dies den Unternehmen mehr als es ihnen nützt.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="918322_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><b>Welche Möglichkeiten der autonomen Preisgestaltung hätte man mit einer eigenen Behörde?</b><BR />Hilpold: Die Regulierungsbehörden haben laut Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie 2019 in erster Linie so etwas wie „Wettbewerbssicherung auf der Infrastrukturebene“ zu leisten. Das schlägt sich auch auf der Preisebene nieder, aber nicht zentral. Darüber hinaus wird damit aber ganz maßgeblich energierechtliche und energiepolitische Expertise geschaffen, die es in Südtirol, wie erwähnt, vereinzelt gibt, aber eben nicht institutionell. Darüber hinaus würde die Schaffung von Kostentransparenz und Wettbewerbsförderung zusätzlichen politischen Handlungsdruck aufbauen und Argumentationshilfen in den Verhandlungen mit Rom bereitstellen. Das starre Preisregulierungsmodell der Vergangenheit ist beim Aufbrechen, da es sich staatsweit als untragbar erwiesen hat. Die Neuregelung der Energiegenossenschaften kann eine völlig neue Wettbewerbssituation schaffen. All diesen Entwicklungen muss Südtirol mangels eigener Expertise und eigener technischer Institutionen weitgehend tatenlos zusehen. Dabei wäre gerade die einzigartige Südtiroler Produktionssituation mit einer überragenden Wasserkraftausstattung das beste Argument, um sich in diese Diskussion zentral einzubringen und für Südtirol situationsadäquate Regelungen zu verhandeln.<BR /><BR /><b>Wäre es damit möglich, echte – und in Südtirol sind dies niedrige – Kosten der Energieerzeugung als echte Preise an den Kunden weiterzugeben? Würde der Strom billiger?</b><BR />Hilpold: Das muss mittel- und langfristig das Ziel sein. Wie gesagt: Die energietechnischen und auch die grundlegenden autonomiepolitischen Voraussetzungen dafür wären gegeben. Es bedarf aber noch der Wahrnehmung dieser Kompetenz gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Reformbemühungen auf gesamtstaatlicher Ebene und auf der EU-Ebene.<BR /><BR /><b>Wie sieht es mit den Systemkosten aus? Und – Sie sind auch Steuerrechtler – wie beurteilen Sie generell deren Vorhandensein auf der Stromrechnung?</b><b>Roland Benedikter sagte vor kurzem, hier sei eine Reform notwendig. Schließlich werden damit u.a. staatliche Zielsetzungen finanziert, die nur im weitesten Sinne mit dem Thema Energie, aber nicht mit den Kosten der Energieproduktion und -verteilung in Zusammenhang stehen. Steuerfinanziert wären diese Kosten sozial gestaffelt. So sind sie pro KWh für – fast – jeden Bürger gleich, ob arm, ob reich…</b><BR />Hilpold: Auch das wäre ein möglicher Ansatzpunkt, das ist zutreffend. Diese Diskussion ist allerdings unabhängig von der energierechtlichen im engeren Sinne zu führen. Dies allein schon deshalb, weil die Kompetenzen des Landes im steuerrechtlichen Bereich weit schwächer ausgeprägt sind als im Bereich der Energie. Die soziale Staffelung der Energiekosten ist eine schwierige Frage, über die europaweit diskutiert wird. Wahrscheinlich wären entsprechende Zuwendungen für die ärmsten Haushalte die kostengünstigste und gerechteste Lösung.<BR /><BR /><embed id="dtext86-60428685_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Die Entwicklung der neuen Möglichkeiten von Eigenversorgung, sowohl in einem Kondominium als auch in einer Energiegemeinschaft, wird innerhalb 2023 durch Förderung unterstützt“: Das steht im Entwurf des 2. Teils des Südtiroler Klimaplanes, der derzeit in Ausarbeitung ist. Sehen Sie durch eine eigene Regulierungsbehörde hier Vorteile bei der Umsetzung?</b><BR />Hilpold: Diese Formulierung ist leider noch sehr vage gehalten, wie wohl der Klimaplan insgesamt. Die relevanten Festlegungen sind somit erst zu treffen. Eine autonome Regulierungsbehörde könnte bei der Umsetzung eines solchen Vorhabens sicherlich wertvolle Expertise zur Verfügung stellen.<BR /><BR /><b>Überhaupt Stichwort Bürgerenergie: Die Klimakrise ist nur mit einer Energiewende in den Griff zu bekommen, darin sind sich alle Experten einig. Wie dringend wäre vor diesem Hintergrund zum einen eine möglichst große Beteiligung der Bürger an der – auch zusätzlichen – Produktion von Energie und gleichzeitig eine finanzielle Entlastung durch niedrigere Preise für Strom aus alternativen Energiequellen – um andere Belastungen, die erwartbar sind, besser stemmen zu können?</b><BR />Hilpold: Man könnte sagen, dass das Konzept der Energiegenossenschaft unmittelbar eine Umsetzung der Idee der Bürgerbeteiligung darstellt. Ganz generell ist zur laufenden energiepolitischen Diskussion festzuhalten, dass ein maßgeblicher Anstoß dazu von den Bürgern auszugehen scheint. Wenn man bedenkt, wie schwer es ist, Bürgerinteressen gebündelt über die politische Wahrnehmungsschwelle zu bringen, so verdeutlich diese von der breiteren Bevölkerung ausgehende politische Dynamik doch, dass die Politik dieses Anliegen nun ernst nehmen muss, wenn sie selbst ernst genommen werden will.<BR /><BR /><b>Und nun die Gretchenfrage: Was hindert die Landesregierung tatsächlich daran, die Südtiroler Autonomie im Strombereich – und auch in der Wärme – voll auszureizen und stattdessen nach römischem Vorbild auf Zentralisierung zu setzen? Spült das unterm Strich mehr Geld in die Landeskasse?</b><BR />Hilpold: Wie im Rahmen dieses Gesprächs deutlich geworden ist, befinden wir uns gegenwärtig in einer Zeit des Übergangs. Die Energiepolitik auf gesamtstaatlicher Ebene und auch auf EU-Ebene basiert im Wesentlichen noch auf Vorstellungen des vorigen Jahrhunderts. Das bahnbrechende Konzept der Energiewende des Jahres 2019 wurde aufgrund der kurz danach ausgebrochenen Corona-Epidemie nicht richtig wahrgenommen. Zwei Jahre später folgte der Ukraine-Krieg, der die Liefer- und Versorgungsketten auf internationaler Ebene völlig zerrüttete. Die Wahrnehmung der energiepolitischen Kompetenzen durch Südtirol hatte vor diesen Krisen keine Priorität. Von der Dimension dieser Krise wurden alle überrascht. Es haben sich nun die Prioritäten verschoben. Die enorme Inflation, die in Südtirol, anders als Österreich, aufgrund der äußerst zurückhaltenden Lohnpolitik auch mit großen Reallohnverlusten verbunden ist, erhöht die Spürbarkeit von Energiepreissteigerungen weiter, so dass vielfach eine Armutsgefährdung droht. Der Politik Versäumnisse vorzuwerfen, bringt uns nicht weiter, sondern es geht darum, die überfällige Umsetzung der energiepolitischen Kompetenzen unverzüglich in die Wege zu leiten. Weiter auf die Vereinnahmung von Übergewinnen durch die öffentlichen Haushalte zu setzen, wäre sehr kurzsichtig: Denn dann besteht die Gefahr, dass genau diese Gelder – und mehr – in Zukunft für die Bekämpfung der wachsenden Armut im Lande Verwendung finden müssen.<BR /><BR /><BR />DER HINTERGRUND<BR /><BR />Peter Hilpold ist Professor für Völkerrecht, Europarecht und Vergleichendes Öffentliches Recht an der Universität Innsbruck, wo er auch italienisches Steuerrecht lehrt. Er hat zusammen mit Paolo Piva, Professor für EU-Recht an der Uni Padua, im Auftrag der Handelskammer und des Südtiroler Energieverbandes ein Rechtsgutachten in Sachen Stromautonomie erstellt. <BR />Dieses wurde am 24. März 2022 im Landtag vorgestellt. Ihr Fazit: Die Landesregierung könne und müsse eine autonome Regulierungsbehörde aufbauen. Weder italienisches noch EU-Recht sprechen dagegen.<BR /> Am Montag werden im 2. Gesetzgebungsausschuss im Landtag aber nur die Rechtsexperten Prof. Giuseppe Caia (Universität Bologna) und Fulvio Cortese (Universität Trient) angehört, die vom Land mit einem „Gegengutachten“ zu jenem von Hilpold und Piva beauftragt worden waren. Letztere sind zur Anhörung nicht eingeladen.<BR />