In ihrem schrillen Mini-Cooper tingelt Martina von „iMolDos“ durch Südtirol und bringt nicht nur Wände, Treppenhäuser oder Hauseingänge zum Strahlen, sondern auch die Menschen, denen sie begegnet.<BR /><BR />Behutsam gleitet der Pinsel über die raue Betonwand und färbt sie in tiefes Grün. Es ist die zwölfte Tanne, welche die selbstständige Künstlerin heute an die Wand einer Hotelgarage pinselt. <BR /><BR />Eigentlich hatte sich Martina Peintner ihr Leben anders ausgemalt – studiert, Religion unterrichtet, wollte die Stammrolle, Kinder und irgendwann ein Haus. Jetzt weiß die 30-Jährige, dass es nicht ihr Wille, sondern der ihres Umfeldes war. Eine Einsicht, welche der jungen Frau beinahe das Leben gekostet hat. <h3> Druck war stärker als die Alarmsignale</h3>Begonnen hat alles vor 10 Jahren. Martina, aufgewachsen mit zwei jüngeren Brüdern in Bruneck, war ein Lebemensch, hatte viele Freunde und noch mehr Hobbys. Nach der Matura entschied sie sich für ein Studium der Philosophie und Theologie in Brixen. Die begnadete Hobbymalerin sollte einen sicheren Job bekommen. <BR /><BR />„Wie es die Gesellschaft verlangt, wollte ich das Studium in kürzester Zeit abschließen und dann schnellstmöglich die Karriereleiter emporsteigen. Ich gab also das Maximum, setzte mich unter Druck, wollte es allen recht machen und niemanden enttäuschen“, erinnert sich Martina zurück. <BR /><BR />Selbst als ihre Hände immer öfter kribbelten, sie die Füße nicht mehr spürte und ihr oft schwarz vor Augen wurde, gönnte sie sich keine Pause. „Ich war gefangen, wusste keinen Ausweg und gab mir die Schuld zu schwach für diese Herausforderung zu sein.“<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="819296_image" /></div> <BR /><BR />Den Grund für die körperlichen Alarmsignale der sonst fitten Frau, suchte man beim niederen Blutdruck, beim Kreislauf. „Du musst mehr essen, du bist doch magersüchtig“, hörte sie immer wieder, dabei aß Martina bereits „wie ein Mähdrescher und mehr als jeder Mann“. <BR /><BR />Doch anstatt zuzunehmen, zeigte die Waage bei einer Körpergröße von 174 Zentimetern irgendwann nur noch 48 Kilogramm an. An schlechten Tagen schaffte sie es nicht mehr, eine Treppe zu steigen, musste sich immer wieder hinlegen, hatte Herzrasen und Atemnot. Manchmal war die junge Frau so erschöpft, dass sie mehrere Stunden am Tag ihr Augenlicht verlor. Ein normales Leben wurde undenkbar. <BR /><BR />Martina zählte 22 Lebensjahre, als ihre fürsorglichen Eltern an einem Frühlingstag im Jahr 2014 nur noch verzweifelt die Hände und Füße der Tochter hochrissen. Ihr Mädchen war zusammengebrochen. Die Blutproben im Brunecker Krankenhaus brachten einen fatalen Gesundheitszustand zum Vorschein. „Hinter jedem Wert standen nur Sternchen. Der Arzt meinte, ich müsse froh sein, dass ich noch lebe.“ <h3> Diagnose mit unaussprechlichem Namen</h3>Die Kämpfernatur ließ sich von diesen Parolen nicht großartig beeindrucken. „Ich mag nicht, wenn mir jemand Angst macht, ich bilde mir lieber meine eigene Meinung. Als der Doktor mir jedoch sagte, dass ich keinesfalls schwanger werden dürfte, da dies für mich, das Kind oder beide tödlich enden könnte, war das dann doch ein Schock“, gesteht Martina, die damals zum ersten Mal von ihrer Diagnose mit dem unaussprechlichen Namen „Hashimoto-Thyreoiditis“ hörte. <BR /><BR />Hinter dieser chronischen Autoimmunerkrankung steckt eine Störung des Immunsystems, die zu einer Schilddrüsen-Unterfunktion führt. „Bei mir war der Körper dabei, die Schilddrüse zu zerstören und somit fehlten mir lebenswichtige Hormone“, zitiert die Schabserin aus ihrer Krankenakte. <h3> Die Achterbahn der Hormone</h3>Hormontabletten mit dem „Euthyrox“-Wirkstoff sollten ihrem Körper fortan neuen Schwung geben und ihn zurück in alte Bahnen lenken. Doch für Martina fühlte es sich eher an wie ein Unfall, bei dem ihr eigenes „Ich“ Fahrerflucht beging. Die junge Frau wurde depressiv, isolierte sich zusehends, hatte keine Lust mehr auf Sport, Reisen und die Malerei. „Ich weinte, wenn eine Biene starb und fand das Leben grausam“, veranschaulicht sie ihre sinnlosen Heulattacken und die Ohnmacht, die sie immer öfter übermannte. Ihre Motivation zum Leben war verloren gegangen. „In mir drinnen aber wusste ich immer: Das bin nicht ich, das sind die Tabletten, die mehr zerstören als helfen und mir den Boden unter den Füßen wegreißen.“<h3> Der steinige Weg zurück ins Leben</h3>In der Luft baumelt Martina zwar heute noch, doch sie hat großen Spaß dabei. Seit 1,5 Jahren ist die begeisterte Paragleiterin mit ihrem Gleitschirm in luftigen Höhen unterwegs und saugt mit jedem Atemzug die frische Brise ihres neuen Lebens ein. Ein Leben ohne körperliche Beschwerden, Medikamente und – vor allem ohne Stress. <BR /><BR />Am Anfang ihres langen Genesungsweges stand ein Traum. „Ich wollte Ende 2017 in das warme Südafrika reisen – und das ganz ohne Tabletten.“ Aus ärztlicher Sicht eine Absurdität, doch Martina war deren Meinung egal. „Sie sagten mir nie, woher die Krankheit kommt, nur dass ich sie mit Pillen behandeln muss. Das war mir zu wenig.“ <BR /><BR />Die Philosophiestudentin begann also selbst zu recherchieren und fand heraus, so erzählt sie, dass diesem Krankheitsbild Stress, Druck und Frustration vorausgeht. Und genau diese Faktoren wollte sie in ihrem Leben eliminieren. Sie fing an, auf ihre Bedürfnisse zu hören und nicht auf Erwartungen der Leute, stellte die Ernährung um, entfernte sich von Menschen, die ihr nicht guttaten und begann auf eigene Faust täglich ein Viertel der Tablette wegzulassen. <BR /><BR />„Es war anfangs ein Horror, ich fühlte mich wie auf Drogenentzug“, schildert sie die Gier ihres Körpers nach den Hormonen. Ihr war übel, sie erbrach, wurde tieftraurig. Auf das Blutbild aber hatten diese Schwankungen wenig Auswirkung. Es war gut, trotz Rationierung der Dosis. Unterstützt von Tropfen aus einer Essenz der Bachkresse, zwackte die damals 22-Jährige der Tablette also immer wieder ein paar Brösel ab. <BR /><BR />Nach drei Jahren waren ihre Blutwerte so gut, dass Martina tatsächlich die Pillen gegen den Reisepass eintauschen konnte. „Als ich in Südafrika aus dem Flieger stieg, weinte ich vor Freude“, erinnert sie sich gern an den Moment zurück, der für sie einen Neuanfang bedeutete, ein Neuanfang in kleinen Schritten – körperlich aber vor allem seelisch. <h3> Befreiung aus dem gesellschaftlichen Korsett</h3>Den gesellschaftlichen Normen zu entfliehen, ist in dem leistungsgeprägten Südtirol nicht einfach. Die Meinung anderer wiegt gern schwerer als der eigene Wille. Martina, die heute mit zwei Katzen und einem Hund in Schabs wohnt, pfiff darauf. Trotz Kritik und harschem Gegenwind, hängte sie den Lehrerberuf, der ihren Tag ausfüllte aber nicht ihr Leben, an den Nagel und machte sich 2019 selbstständig. Seitdem lebt die Autodidaktin von der „brotlosen“ Kunst. <BR /><BR />„Es gab viele Leute, die den Schritt nicht nachvollziehen konnten. Aber ein Studium ist nie umsonst und alles im Leben ist für eine gewisse Zeit gut, Routine aber macht nicht glücklich“, glaubt die 30-jährige Frohnatur und fügt hinzu: „Und wenn ich morgen nicht mehr Malen will, widme ich mich etwas Neuem. Es gibt tausende Wege zum Glück, aber nur einen, um zu scheitern. Ich bin überzeugt, dass man mit positivem Denken sehr, sehr viel schaffen kann.“ <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="819299_image" /></div> <BR />Noch aber ist die Lust auf Pinsel und Farbe groß. In ihrem schrillen Mini-Cooper tingelt Martina von „iMolDos“ durch Südtirol und bringt nicht nur Wände, Treppenhäuser oder Hauseingänge zum Strahlen, sondern auch die Menschen, denen sie begegnet. Ihr beeindruckendes Können und die positive Lebenseinstellung füllen die Herzen der Kunden und ihre Auftragsbücher. Jugendprojekte auf öffentlichen Flächen, abstrakte Kunst für Betriebe, Märchenmotive fürs Kinderzimmer oder wie heute ein Nadelwald für die Tiefgarage – Martina malt so ziemlich alles, nur nicht den Teufel an die Wand. <BR /><BR />„Viele einstige Kritiker sind heute neidisch, dass ich meinen Tag frei einteilen kann, Spaß an der Arbeit habe und trotzdem Zeit und Geld für Reisen, die Freizeit und für mich.“ Diese Selbstbestimmtheit ist für Martina extrem wichtig, denn nur so könne sie langfristig vermeiden, erneut zu erkranken. Aber das werde sie garantiert nicht mehr, ist sie überzeugt. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="819302_image" /></div> <BR /><BR />„Alles im Leben passiert aus einem Grund. Ich bin dankbar, dass mich die Krankheit zu dem gemacht hat, was ich heute bin“, erzählt sie. Der Rest sei für die Künstlerin Geschichte. <BR /><BR />Auf Blutproben und Kontrollen verzichtet Martina seit 2017. Sie wolle sich nicht von Zahlen abhängig machen, sagt sie, außerdem gehe es ihr ausgezeichnet. „Auf andere zu hören hat mich noch nie weitergebracht. Es ist wichtig, dass ich auf mich selbst höre, denn ich wusste von Anfang an, dass ich die Einzige bin, die mir helfen kann.“<BR />