Im Interview mit s+ erklärt der Wissenschaftler, warum es in diesem Sommer zu einem Massenbefall durch den Borkenkäfer gekommen ist, wie die Insekten dafür sorgen, dass gesunde Bäume absterben und welche neuen Erkenntnisse er sich von seiner Forschungsarbeit verspricht.<BR /><BR /><b>Die Lage in Südtirols Wäldern ist dramatisch. Diesen Satz hat man in den vergangenen Tagen häufig zu hören bekommen. Teilen Sie diese Auffassung?</b><BR />Hannes Schuler: Auf jeden Fall. Man muss nur einen Spaziergang unternehmen, um festzustellen, dass es in Teilen unserer Wälder nicht gut aussieht. Die extreme Trockenheit und der Borkenkäfer haben der Vegetation arg zugesetzt. Durch die warmen Temperaturen und die geringen Niederschläge im heurigen Sommer sind die Bäume gestresst und somit haben die Käfer ideale Bedingungen vorgefunden, um sich zu vermehren. Das hat zu dem Massenbefall geführt, den wir momentan beobachten können.<BR /><b><BR />Seit mehreren Jahren beschäftigen Sie sich intensiv mit dem Borkenkäfer. Wie wurde er zu einem so großen Problem für den Südtiroler Wald?</b><BR />Schuler: 2018 hat der Sturm Vaja starke Schäden vor allem im Latemargebiet, aber auch im Pustertal und anderen Gebieten verursacht. Schon damals haben Forscherkollegen und auch ich einen starken Borkenkäferbefall in den betroffenen Wäldern befürchtet. Aus mehreren Gründen ist dieser aber ausgeblieben: Die Temperaturen waren im Sommer 2019 relativ niedrig, weshalb sich die Käferpopulation nur sehr langsam entwickelt hat. Außerdem wurde sehr viel von dem toten Holz aus dem Wald entfernt, bevor sich die Käfer massenhaft ausbreiten konnten. Leider hat der Südtiroler Wald dann auch in den folgenden Jahren die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren bekommen: 2020 und 2021 kam es zu Problemen mit starkem Schneedruck. Vor allem im Pustertal sind dabei zahlreiche Bäume umgestürzt. Während von den Windwürfen große Fläche betroffen waren, die leichter aufzuarbeiten waren, sind durch den Schneedruck viele kleinere Baumgruppen umgestürzt, die sich nicht so leicht aus dem Wald entfernen ließen. Diese liegenden Bäume haben den Käfern einen idealen Lebensraum geboten und dafür gesorgt, dass die Population stark ansteigen konnte. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="802517_image" /></div> <BR /><BR /><b>Diese Entwicklung gipfelt nun im Sommer 2022…</b><BR />Schuler: Zu dem Massenbefall, den wir in diesem Jahr haben, hat die bereits hohe Anzahl an Käfern aus den vergangenen Jahren sicherlich beigetragen. Das heiße und trockene Wetter hat das Fass schließlich zum Überlaufen gebracht: Die Fichtenbestände in Südtirols Wäldern waren bereits durch die Witterungsbedingungen geschwächt. Das hat es den Borkenkäfern – wir sprechen dabei immer vom Buchdrucker – ermöglicht, nicht nur liegendes Holz, sondern auch stehende Bäume zu befallen und so große Schäden anzurichten.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="802520_image" /></div> <BR /><BR /><b>Wurde zu wenig unternommen, um das Borkenkäfer-Problem in Südtirol zu verhindern?</b><BR />Schuler: Im Gegenteil: Während in anderen Provinzen noch darüber diskutiert wurde, was mit dem liegenden Holz nach den Sturmschäden durch Vaja passieren sollte, hatte man in Südtirol bereits den Großteil davon aus dem Wald geholt. Von den Schäden, die durch den Schneedruck und die Hitze verursacht wurden, waren nicht ganze Hänge betroffen, die man hätte roden können, sondern meist nur kleinere Waldgebiete, die oft auch kaum zu erreichen waren. Das hat es deutlich erschwert, umgefallene Bäume aus dem Wald zu entfernen.<BR /><BR /><b>Unter welchen Voraussetzungen wird ein Baum vom Borkenkäfer befallen?</b><BR />Schuler: Borkenkäfer sind Sekundärschädlinge. Das bedeutet, dass sie in der Regel einen vorgeschädigten oder schwachen Baum befallen. Der Baum muss aber noch im Saft stehen, das ist beispielsweise bei einem Windwurf – wenn der Baum gerade umgefallen ist und eventuell die Wurzeln sogar noch mit dem Boden verbunden sind – der Fall. Ein solcher Baum kann sich nicht mehr aktiv gegen die Insekten wehren und daher ideal besiedelt werden. Gesunde Bäume schützen sich vor dem Befall durch Harzbildung, durch die die Käfer abgetötet werden, sobald sie beginnen, sich in das Holz einzubohren. Fällt dieser Schutzmechanismus weg oder werden gesunde Bäume von zu vielen Käfern attackiert, ist der Baum ein gefundenes Fressen.<BR /><BR /><b>Wie sorgen Borkenkäfer dafür, dass gesunde Bäume absterben?</b><BR />Schuler: Das Männchen bohrt sich unter die Rinde und frisst dort eine Brutkammer aus. Mit Botenstoffen lockert er dann 2 bis 3 Weibchen an, die vom Männchen befruchtet werden. Jedes dieser Weibchen bohrt weitere Gänge, in die es 50 bis 60 Eier legt. Sobald die Larven schlüpfen, fangen sie damit an, im Bast unter der Rinde zu fressen. Dort verlaufen auch die Saftleitbahnen des Baumes. Ein einzelner Käfer bzw. eine einzelne Brutanlage verursachen noch keinen Schaden, werden aber dutzende oder gar hunderte Bruten angelegt, wird die Energieversorgung des Baumes unterbrochen und er stirbt ab. Sobald sich die Larven zu Käfern entwickelt haben, fliegen diese aus und befallen wiederum neue Bäume. Meist legen Weibchen mehr als eine Brut ab, weshalb in nur einer Generation 100 bis 150 neue Käfer pro Weibchen entstehen können. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="802523_image" /></div> <BR /><BR /><b>Welche Szenarien zeichnen Sie für den Südtiroler Wald in den kommenden Jahren: Ist der Borkenkäfer-Befall noch in den Griff zu bekommen?</b><BR />Schuler: Das hängt davon ab, wie sich die bestehenden Populationen weiterentwickeln. Der entscheidende Faktor ist dabei das Wetter. In den kommenden Wochen gilt es abzuwarten, ob die Temperaturen weiter hoch bleiben und wann es ergiebige Niederschläge geben wird. Dann sollten wir auf einen kalten Winter hoffen, weil die Mortalität bei der Käferpopulation mit niedrigen Temperaturen zunimmt. Im nächsten Jahr werden die Karten dann wieder neu gemischt: Wird es im Frühling früh wieder warm und ist der Wald weiterhin gestresst, schaut es natürlich düster aus. Wenn sich aber die Bäume gut erholen können und die Käferpopulation geschwächt ist, dann wird sich auch der Wald in Südtirol erholen. In den vergangenen Jahren hat der Klimawandel den Wald in Südtirol in allen Facetten geschädigt. Diese Probleme werden uns auch in Zukunft weiterhin begleiten und dazu führen, dass die Bäume gestresster und damit auch anfälliger für Schädlinge sind. Ein bewährtes Mittel, um den Borkenkäfer-Befall unter Kontrolle zu bekommen, ist, bruttaugliches Material aus dem Wald zu entfernen, was aufgrund des Geländes in weiten Teilen Südtirols schwierig ist. Trotzdem muss auch weiterhin alles unternommen werden, bruttaugliche und befallene Bäume zu entfernen, um die Ausgangspopulation im nächsten Jahr gering zu halten. Bei kleinen Populationen kann man auch mit Fallen arbeiten, um die Tiere einzufangen. In der aktuellen Situation ist daran aber nicht zu denken. <BR /><BR /><b>Sie arbeiten derzeit an einem Forschungsprojekt zum Borkenkäfer. Was möchten Sie bei dieser Arbeit herausfinden?</b><BR />Schuler: Das Projekt habe ich bereits vor 2 Jahren mit Kollegen der BOKU Wien und der Universität Padua gestartet. Nun befinden wir uns auf der Zielgeraden. Es geht in erster Linie um Grundlagenforschung. Um mehr Wissen und Werkzeuge zur Bekämpfung dieser aktuellen Bedrohung entwickeln zu können, sammeln wir Borkenkäfer und analysieren sie genetisch. Dadurch wollen wir ihre Verbreitungsdynamik in den von Sturm und Schnee geschädigten Wäldern besser verstehen. Der Fokus liegt dabei auf Pilzen und Bakterien, die mit dem Borkenkäfer-Befall in Zusammenhang stehen. Borkenkäfer werden mit Bläuepilzen in Verbindung gebracht, die von ihnen in das Holz eingebracht werden. Wir gehen davon aus, dass diese Pilze dem Käfer dabei behilflich sind, gesunde Bäume zu befallen, weil sie deren Abwehrmechanismen unterbinden können. Zudem weiß man, dass Bakterien für viele Insekten eine wichtige Rolle spielen, wenn es um Nährstoffe oder Resistenzen geht. In Bezug auf den Borkenkäfer gibt es noch relativ wenig Forschung dazu. Wir möchten nun herausfinden, welche Rolle Bakterien für die Ausbreitung der Borkenkäfer spielen. Je mehr wir über die Biologie der Insekten wissen, desto besser können wir uns auch gegen sie wappnen und unsere Wälder schützen. Momentan sind wir in der heißen Phase der Datenaufbereitung und hoffen die Ergebnisse Ende September präsentieren zu können.<BR />