Italiens TV-Ikone Corrado Augias über seine Meinung zu Südtirol und Sinner.<BR /><BR /><b> Mit Ihrer Kolumne über Jannik Sinner haben Sie ordentlich Staub aufgewirbelt. Wissen Sie über Südtirol und seine Geschichte Bescheid?</b><BR />Corrado Augias: 1959 war ich das erste Mal in Südtirol, in Toblach. Und 1960 war ich wieder dort und habe im Sommerhaus der italienischen Luftwaffe meine spätere Frau kennengelernt. Beide waren wir Offizierskinder. Ich habe Südtirol über Jahrzehnte hindurch beobachtet, ich war als Reporter in den Bombenjahren dort, ich war dort, als man als italienischer Urlaubsgast noch nicht bedient oder nicht verstanden wurde, ich war immer wieder dort. Zuletzt übrigens im Vorjahr, weil ich ein großer Fan von Gustav Mahler bin – und endlich würdigt auch Toblach dieses Genie. Ich kenne das Land also gut.<BR /><b><BR />In Ihrer Kolumne in der Tageszeitung „La Repubblica“ (siehe unten) haben Sie mit Ihren Feststellungen zu Jannik Sinner und Südtirol heftige Debatten ausgelöst. Auch Landeshauptmann Arno Kompatscher hat Ihnen geschrieben. Sie haben aber schon auch ein wenig provoziert, oder?</b><BR />Augias: Natürlich, aber das muss oder soll ein Kolumnist ja auch.<BR /><BR /><b>Kurz zusammengefasst: Sinner ist wie Südtirol – einerseits für Italiener kein echter Italiener und andererseits wollen die Südtiroler das selbst auch gar nicht sein.</b><BR />Augias: Das haben Sie jetzt in knapper Form auf den Punkt gebracht.<BR /><BR /><b>Das war doch die Abmachung – Südtirol darf nicht wieder zurück zu Österreich, aber die Südtiroler dürfen sich selbst verwalten, um ihre Eigenart zu wahren, ihre Sprache, ihre Kultur, und diese sind nun einmal nicht italienisch.</b><BR />Augias: Das stelle ich auch nicht in Frage. Wenn ich die Entwicklung beobachte, gilt das Interesse aber vor allem der touristischen Entwicklung, den üppigen Finanzierungen. Nochmals anders geworden ist es mit der Abschaffung der innereuropäischen Grenzen, auch jener zu Österreich. Die Südtiroler haben jedenfalls mit der Republik Italien nicht viel am Hut; die Verfassung und andere in Italien bedeutsame Dinge sind den Südtirolern irgendwie egal. Das interessiert sie nicht, sie fühlen sich nicht betroffen. Landeshauptmann Kompatscher fragt mich in seiner freundlichen Zuschrift, ob ich mir einen monolithischen Volksstamm wünsche. Natürlich nicht! Aber es ist eine eigenartige Situation.<BR /><BR /><b>Sie haben Sinner kritisiert, weil er nach seinem Sieg bei den Australian Open der Einladung von Staatspräsident Sergio Mattarella in den Quirinal nicht gefolgt ist. Hätten Sie das auch getan, wenn es Matteo Berrettini gewesen wäre?</b><BR />Augias: Auf alle Fälle. Eine Einladung des Staatspräsidenten lehnt man nicht ab. Niemals. Das ist ungebührlich. Da geht man hin, auch wenn man im Rollstuhl sitzt. <BR /><BR /><b>Und es ist noch mal so schlimm, wenn man ein Südtiroler ist, oder?</b><BR />Augias: Das mag durchaus sein. Sinner ist ein großartiger Sportler, auch von seinem Benehmen her. Außergewöhnlich. Aber die Steuern sollte er in Italien zahlen oder besser in Südtirol. Das Land behält ja 90 Prozent des Steueraufkommens. Warum bezahlt er sie nicht in Südtirol? Auch ich genieße einen gewissen Bekanntheitsgrad – natürlich nicht wie Sinner – und wissen Sie, was ich meinem Wirtschaftsberater sage: Bitte kontrolliere ganz genau und verrechne mit dem Fiskus alles bis auf den letzten Cent. Ich habe auch eine Vorbildfunktion und die Leute würden es mir nie verzeihen, wenn ich auch nur 1.000 Euro nicht versteuern würde.<BR /><BR /><b> Das kann man so sehen. Jedenfalls schreiben Sie in einem zweiten Kommentar in „La Repubblica“ – diesmal zum Zwischenfall mit der Trikolore in Meran – dass augenscheinlich ein friedliches Auskommen herrscht, es aber unterschwellig noch Spannungen gibt.</b><BR />Augias: Das ist wohl so, auch das ist ein Teil der Realität.<BR /><BR /><b>Werden Sie auch heuer im Sommer wieder nach Toblach oder nach Südtirol kommen?</b><BR />Augias: Nein, ich mach’s heuer etwas gemütlicher und verbringe die Ferien in Asiago. In Toblach habe ich viele Klettertouren unternommen, das geht in meinem Alter nicht mehr.<BR /><BR /><b> Danke, dass wir dieses Gespräch führen durften, einiges konnten wir ausräumen, einige Fragen bleiben ... offen.</b><BR />Augias: Ich danke Ihnen. Gespräche sind wichtig. Heutzutage redet man nicht, man beschimpft sich über die Sozialen Medien. Was glauben Sie, was ich nach meiner Kolumne über Sinner zu hören bekam – natürlich von der italienischen Rechten.<h3> Der Stein des Anstosses: Corrado Augias' Kolumne „Sinner ist ein Italiener wider Willen“ im Wortlaut</h3>„Jannik Sinner verfügt über außergewöhnliches sportliches Talent – geformt durch hartes, beharrliches Training und große Willenskraft. Noch nie hatte Italien einen Tennisspieler von solcher Klasse; das ganze Land ist stolz, wenn er im Davis Cup das azurblaue Trikot trägt. Und doch bleibt Sinner ein ,Italiener wider Willen‘.<BR /><BR />Einige seiner Entscheidungen stießen auf Unverständnis – etwa als er eine Einladung von Staatspräsident Mattarella in den Quirinal wegen Erschöpfung ausschlug, um am nächsten Tag in den Bergen seiner Heimat Ski zu fahren. Ganz anders reagierte er auf die Einladung von Papst Leo in den Vatikan, obwohl sie auf einen Ruhetag während eines schwierigen Turniers fiel – dieser Einladung kam er nach. ,Zu Hause sprechen wir Deutsch‘, bekannte Sinner, was angesichts seiner Herkunft nachvollziehbar ist. Geboren in Innichen, lebt er – wenn es sein dichtes Programm erlaubt – mit seiner Familie im kleinen Bergdorf Sexten. Jenseits des Gebirgskamms beginnt bereits Österreich. Viele Bewohner dieser Region fühlen sich, mehr als hundert Jahre nach dem Schicksalsjahr 1918, als das südliche Tirol dem Königreich Italien einverleibt wurde, noch immer als Österreicher. Und sie sagen das offen. Sinners Vater spricht übrigens kaum Italienisch, er beherrscht relativ wenige Worte.<BR /><BR />Ein Vorbehalt bleibt – so sehr man auch seine Erfolge anerkennt: Das Wunderkind zahlt keine Steuern in Italien, da es seinen Wohnsitz in Monte Carlo hat, wo nahezu keine Abgaben fällig werden. Zwar heißt es, dass viele Spitzensportler diesen Weg wählen. Doch als Entschuldigung kann das nicht gelten – zumal Jannik Sinner bei zahlreichen Gelegenheiten seine freundliche, herzliche Art bewiesen hat. Er hat sich bei Balljungen entschuldigt, stürzenden Gegnern geholfen, Assistentinnen im Regen einen Schirm gereicht – spontane Gesten, die von großer Empathie zeugen. Doch so sympathisch er auch sein mag – bei der Steuerfrage hilft das wenig. In der Sprache des Tennis heißt das: Monte Carlo schlägt Italien 6:0, 6:0.<BR /><BR />Kurz gesagt: Jannik Sinner ist nur zufällig Italiener – ein Sinnbild für die komplexe Identität der Provinz Bozen, in deren Hauptstadt an diesem Sonntag eine Stichwahl stattfindet. Im ersten Wahlgang lag Juri Andriollo von der Mitte-Links-Koalition mit 27,3 Prozent hinter Claudio Corrarati, dem Kandidaten der Mitte-Rechts-Koalition, der 36,3 Prozent erreichte. Entscheidend wird nun die Haltung der Südtiroler Volkspartei sein, die traditionell mit dem Mitte-Links-Lager verbunden war – auch auf staatlicher Ebene, im Parlament. Doch diesmal überließ sie ihren Wählern die Entscheidung, was de facto eine Unterstützung der Mitte-Rechts-Koalition bedeutet. Auf Landesebene regiert bereits ein Bündnis aus SVP und den Fratelli d’Italia. Der Stellvertreter von Landeshauptmann Arno Kompatscher ist Marco Galateo von den Fratelli d’Italia. Ein Paradoxon: Zwei Parteien mit gegensätzlichen nationalistischen Ausrichtungen regieren gemeinsam diese schwierige Provinz. Doch die Zeiten der Spannungen, Bombenanschläge und Rufe nach Unabhängigkeit sind vorbei. Ein Europa ohne Grenzen ist hier gelebte Realität – ebenso wie eine starke Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten. Dazu tragen auch die üppigen Gelder aus Rom bei, die in der Regel effizient verwaltet werden.<BR /><BR />Die unbeugsame Eva Klotz sagte einst: ,Wer glaubt, dass Italien das Ziel aufgegeben hat, langfristig eine Mehrheit in Südtirol zu erreichen, irrt. Was es mit seinen Vertretern oder durch die vielen Zuwanderer nicht schafft, die sich als Italiener erklären, werden jene Südtiroler übernehmen, die nur ihren eigenen Vorteil im Blick haben.‘ Und damit schließt sich der Kreis zu Jannik Sinner. Natürlich ist er in Südtirol beliebt – aber nicht übermäßig. Geliebt wurde hingegen Gustav Thöni, ein waschechter Südtiroler, könnte man sagen. Sinner dagegen wird vorgeworfen, zu sehr Italiener geworden zu sein – etwa weil er Werbung für Spaghetti macht und seine Wurzeln verleugnet habe. Man könnte es auch andersherum formulieren: Sinner ist ein ziemlich blasser Italiener. So wie seine Heimat eine Region der halben Identitäten ist, scheint auch Sinner zwischen zwei Zugehörigkeiten zu pendeln. Doch eines könnte er tun – Steuern zahlen. Als Zeichen der Wertschätzung gegenüber seinen vielen Fans in ganz Italien.“