Wann versteckte Videoüberwachung am Arbeitsplatz zulässig ist, was es mit der „Verhältnismäßigkeit“ auf sich hat, wann eine Kündigung möglich ist und was das alles für Südtirol bedeutet, lesen Sie hier. <BR /><BR /><BR />Im Prinzip kann heute jeder Arbeitgeber seine Angestellten überwachen. „Verhältnismäßigkeit, lautete zuletzt immer ein wichtiges Schlagwort in Sachen Mitarbeiterüberwachung“, erklärt Rechtsanwalt Janis Noel Tappeiner von der Kanzlei Baur & Tappeiner (mit Standorten in Lana, Schlanders/Vetzan und Auer). <BR /><BR />Um die Causa „Mitarbeiterüberwachung“ zu verstehen, muss man einige Jahre zurückgehen. Es war Ende des Jahres 2019, einige Monate vor Beginn der Corona-Krise, als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ein in dieser Hinsicht bedeutendes Urteil gefällt hat. Es ist ein Urteil, welches nun, wenn sich die Corona-Pandemie dem Ende zuneigt und die Arbeitskräfte größtenteils an ihre Arbeitsplätze zurückkehren, wieder überaus aktuell wird – und auch in Italien Anwendung finden kann. <BR /><BR />„Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat 2019 entschieden, dass eine Kündigung nach einer verdeckten Videoüberwachung zulässig ist“, bringt es Tappeiner auf den Punkt. In den vergangenen Jahren versuchte der Datenschutzgarant in Italien das Urteil abzuschwächen. Bereits kurz nach Erlass des Urteils wurde seitens diesem in einer Pressemitteilung ausdrücklich betont, dass bei der Anbringung versteckter Kameras nach wie vor das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gelte. <BR /><BR /><embed id="dtext86-56254251_quote" /><BR /><BR />Die Gerichte in Italien orientieren sich jedenfalls mittlerweile am Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wie ein Beispiel von einem Fall, der sich in der Region Latium ereignet hatte, zeigt. „Bereits Anfang des Jahres 2021 wurde dabei vom Kassationsgericht in einem Strafverfahren gegen einen Arbeitgeber, der ebenfalls eine versteckte Videokamera installiert hatte, um eine Straftat in seinem Betrieb aufzudecken, festgehalten, dass diese Art der Videoüberwachung rechtmäßig war“, klärt Rechtsanwalt Janis Noel Tappeiner auf. <h3> Stichwort „Verhältnismäßigkeit“</h3>Aber: Nach wie vor ist, wie auch im Urteil 2019 hingewiesen wurde, die „Verhältnismäßigkeit“ ein springender Punkt – „und eine wesentliche Voraussetzung für eine potenzielle Überwachung“, betont Tappeiner. So dürfe die versteckte Videoüberwachung am Arbeitsplatz nicht zur Standardpraxis werden. <BR /><BR />Das Urteil rechtfertigt somit einerseits versteckte Kameras, andererseits muss es schwerwiegende Verdachtsmomente geben. Hier dürfte es kompliziert werden, denn: Was sind schwerwiegende Verdachtsmomente, mögen sich so manche Betriebe fragen. „Ein schwerwiegendes Verdachtsmoment liegt zum Beispiel dann vor, wenn es zu unaufgeklärten Straftaten, wie Diebstählen, kommt. Nehmen wir an, in einem Geschäft fehlt über längere Zeit Geld aus der Kasse“, erklärt der Anwalt. Dann wäre eine Videoüberwachung seitens des Arbeitgebers korrekt. <h3> Kündigung problemlos möglich</h3>Wird der Mitarbeiter im Rahmen der Überwachung bei betriebsschädigenden Taten bzw. Straftaten erwischt, ist auch eine Kündigung problemlos möglich. Dann nütze der gesamte Arbeitnehmerschutz nichts mehr. „Immer wieder sind Betriebe in Italien massiv von Straftaten betroffen, durch diese Möglichkeiten kann man sich dagegen schützen. Es geht nicht darum unliebsame Arbeiter einfacher loszuwerden oder deren Arbeitsweise zu beobachten, sondern Straftaten aufzudecken und bewusst betriebsschädigendes Verhalten zu verhindern“, betont Rechtsanwalt Tappeiner.<h3> Generelle Überwachung „nicht zielführend“</h3>Fakt ist, die Mitarbeiterüberwachung wird zu einem legitimen Mittel, auch wenn Gewerkschaften europaweit in den vergangenen Jahren davor warnten. Aber, ist so eine Überwachung überhaupt sinnvoll oder stört sie das Verhältnis zwischen Betrieb und Mitarbeiter? „Wie die Gerichte festgehalten haben, gibt es durchaus Fälle, wo eine versteckte Überwachung sinnvoll ist, eben um Straftaten zu verhindern. Nicht zielführend wäre eine generell erlaubte versteckte Überwachung, die nur darauf abzielt, die Arbeitsweise der eigenen Mitarbeiter zu beobachten. In solchen Fällen wäre nämlich das Vertrauensverhältnis zwischen Betrieb und Mitarbeiter gestört und es würde sich negativ auf das Betriebsklima auswirken“, meint Tappeiner.<h3> In diesen Fällen ist die Überwachung eine Straftat</h3>Zudem stellt sich die Frage, wann eine Überwachung unbegründet ist. „In der Regel, also unabhängig von den Fällen zur Aufdeckung einer Straftat, ist eine Videoüberwachung laut italienischem Arbeitnehmerstatut und den Datenschutzbestimmungen nur für Organisations- und Produktionszwecke, aus Arbeitssicherheitsgründen und zum Schutz des Betriebsvermögens zulässig“, informiert Rechtsanwalt Tappeiner. <BR /><BR />Gibt es keine „schwerwiegenden Verdachtsmomente“ sei jedenfalls ein Einvernehmen mit den Gewerkschaften oder die Ermächtigung des Arbeitsinspektorats nötig; die Mitarbeiter müssten informiert werden. „Ohne diese Voraussetzungen begeht der Betriebsinhaber eine Straftat und die Aufzeichnungen können nicht gegen den Arbeitnehmer, z.B. bei einer Kündigung, verwendet werden“, erklärt der Anwalt. <h3> Überwachung in Südtirol?</h3>Ob nun auch in Südtirol, wo es größtenteils Familienbetriebe gibt, eine solche Überwachung künftig häufiger vorkommt, ist fraglich. „In Familienbetrieben mit wenigen Mitarbeitern, wo das Arbeitsverhältnis mehr auf Vertrauen zwischen Betrieb und Mitarbeitern aufbaut, wohl weniger. Aber in großen Produktionsbetrieben und vor allem, wenn der Verdacht auf eine Straftat vorliegt, ist es durchaus möglich, dass auch in Südtirols Betrieben auf eine versteckte Videoüberwachung zurückgegriffen wird“, so Tappeiner. <h3> So wird überwacht</h3>Einfach hergehen und versteckte Kameras in Betrieben anbringen, selbst wenn seitens der Firma Verdachtsmomente vorliegen, sei laut Rechtsanwalt Tappeiner nicht zielführend. Einerseits sei dies für einen Betrieb schwierig zu stemmen, andererseits gelte es genauestens abzuklären, ob überhaupt aus juridischer Sicht eine Begründung für die Maßnahme vorliegt. „Da gilt es schon aufzupassen und erst die Zusammenarbeit mit einer Rechtsberatung und auch mit Privatdetektiven zu suchen“, weiß der Anwalt. <BR />