<b>von Thomas Hörmann</b><BR /><BR />Heinz Klocker kommt regelmäßig. Zwei- bis dreimal die Woche besucht der Pensionist den Innsbrucker Westfriedhof. Dort kümmert sich der 74-Jährige ehrenamtlich um das Grab einer Frau, zu der er keinen Bezug hat, die er nicht einmal kannte, die starb, noch ehe er geboren wurde. Helen Anne Munro, born at Oxford, died near Innsbruck 1st July 1950, lautet die karge Inschrift auf dem Grabstein. Dass die Tochter eines Oxford-Professors am Patscherkofel ein grausames Schicksal erlitt, bleibt unerwähnt.<BR /><BR />Helen Munro war das letzte Mordopfer des einst berüchtigten Serientäters Guido Zingerle. Heuer jährte sich der Todestag der 42-jährigen Engländerin zum 75. Mal. Klocker ist wohl der Einzige, der das Grab der Britin regelmäßig besucht.<h3> Reise in den Tod</h3>Munro, Leiterin eines Kunstinstituts in London, reiste Ende Juni 1950 mit ihrer Mutter nach Innsbruck. Als die damals 42-Jährige am 1. Juli einen Spaziergang am Patscherkofel unternahm, war sie allein unterwegs. Ein tödlicher Fehler.<BR /><BR />Da die Tochter am Abend nicht zurückkehrte, schlug die Mutter Alarm. Noch in der Nacht suchten Bergretter und Gendarmen den Patscherkofel ab, konnten die Britin aber nicht finden. Das änderte sich am nächsten Tag. Ein Suchhund blieb vor einer kleinen Höhle stehen. Dort fanden die Einsatzkräfte wenig später unter Steinen die übel zugerichtete Leiche der Vermissten. Wie die Obduktion ergab, ist Munro vergewaltigt, misshandelt und durch einen Messerstich in den Nacken getötet worden. Vom bereits amtsbekannten Guido Zingerle, wie die Polizei nach einem Zeugenhinweis vermutete. Doch es vergingen fünf Wochen, ehe Carabinieri den in Innsbruck wohnhaften 47-Jährigen in einer Südtiroler Almhütte festnehmen konnten.<h3> Mindestens zwei, möglicherweise vier Morde</h3>Der aus dem Vinschgau stammende ehemalige Fremdenlegionär gestand nicht nur die Ermordung Munros. Er gab auch zu, vier Jahre zuvor eine Südtiroler Lehrerin missbraucht und lebend unter Steinen begraben zu haben. Tagelang beobachtete Zingerle den Todeskampf der Frau. Einem 15-jährigen Mädchen erging es ähnlich. Die Jugendliche wurde bei Bozen vergewaltigt und in einer Höhle eingemauert, konnte sich aber befreien. 1947 missbrauchte der später als „Ungeheuer von Tirol“ bezeichnete Mann zwei Frauen in Zillertaler Höhlen. Zwei weitere Frauenmorde konnten Zingerle nie nachgewiesen werden. Sowohl in Innsbruck als auch in Bozen wurde Zingerle zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. 1962 erlag er in einem süditalienischen Gefängnis seiner Krebserkrankung.<BR /><BR />Auch in Klockers Leben spielte das Ungeheuer von Tirol eine Rolle. „Die Eltern drohten, dass uns der Zingerle holt, wenn wir was anstellen.“ Warum Helen Munro fern von Heimat und Familie in Innsbruck begraben ist, weiß der Pensionist nicht. Ivo Rungg, britischer Honorarkonsul in Tirol, kann die Frage ebenfalls nicht beantworten. „Ich weiß nur, dass das Konsulat die Grabkosten bezahlt.“<BR /><BR />Und wie kam Klocker zu seiner ungewöhnlichen Aufgabe? „Ich hab’ vor 30 Jahren in der Tiroler Tageszeitung (TT) gelesen, dass der damalige Grabbetreuer – er war über 90 – einen Nachfolger sucht. Da hab’ ich mich gemeldet.“ Munro ist nicht die einzige Verstorbene, um die sich Klocker kümmert. Er besucht auch regelmäßig die Gräber von Verwandten und Freunden.