Ein Ereignis am anderen Ende der Welt stürzte Tirol nach der Wiedervereinigung mit Österreich in dunkle Zeiten.<BR /><BR />Es hatte schon einige Tage rumort, als am 10. April 1815 um 19 Uhr Ortszeit der indonesische Vulkan Tambora mit riesigen Eruptionen ausbrach. Flammensäulen stiegen aus dem Berg empor und verwandelten das Gebiet in ein Inferno, so Augenzeugen. Sogar 2600 Kilometer entfernt auf der Insel Sumatra hörte man die Explosionen. Britische Militäreinheiten hielten sie zuerst für Kanonenschüsse. <BR /><BR />Der Ausbrach des Tambora war eine der größten Vulkankatastrophen in Jahrtausenden. Lokal gab es in Indonesien große Zerstörungen und geschätzte 71.000 Tote. Doch es blieb nicht bei einem lokalen Ereignis.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="951256_image" /></div> <BR /><BR />Weltweit starben durch den Ausbruch noch weit mehr Menschen, denn das ausgeworfene vulkanische Aschematerial stieg hoch in die Atmosphäre und wurde durch die Jetstreams rund um den Globus verteilt. Dies bewirkte eine globale Klimaveränderung, vor allem in Nordamerika, Asien und Europa. In Teilen der Nordhalbkugel kam es durch Missernten zur schlimmsten Hungersnot des 19. Jahrhunderts.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="951259_image" /></div> <BR /><BR /> Vor allem die Alpenregion mit Tirol im Herzen traf diese ungewöhnliche Kälteperiode, die im Jahr 1816 den Höchststand erreichte, besonders stark. Verstärkt wurde der Effekt des Tambora vermutlich durch den Ausbruch eines anderen Vulkans im Jahr zuvor, dem Mayon auf den Philippinen. Nicht nur in Südtirol bekam das Jahr 1816 durch die Ereignisse und ihre Folgen den Namen „das Jahr ohne Sommer“ verpasst.<h3> Ende April war Bozen noch tief verschneit</h3>Als der ganzjährige Winter 1816 ins Land zog, wuchsen im gesamten Land kaum noch Feldfrüchte. Anfang März trieben riesige Mengen Treibeis den Eisack hinunter. Im April lag in Bozen immer noch der Schnee aus dem Winter. Und es schneite unermüdlich weiter. Ende April war ganz Südtirol noch in winterliches Weiß getaucht. Der Wein blühte erst im August, die Kartoffelernte konnte nicht magerer sein.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="951262_image" /></div> <BR /><BR /> Im Oktober noch ungeerntete Feldfrüchte zerstörte der frühe Frost bei zweistelligen Minusgraden. Die große Hungersnot begann. Die Lebensmittelpreise vervielfachten sich. Es herrschte ein derartiger Mangel, dass von weiten Teilen der Bevölkerung Heu gekocht und gegessen wurde. Gab es kein Heu mehr, kam gekochte Rinde auf den Tisch. Die Ställe waren längst leer, da es kein Futter für die Tiere gab.<h3> Schnee aus 2 Wintern, dann eine Flutkatastrophe</h3>Bevor es besser wurde, wurde es in manchen Landesteilen aber sogar noch schlimmer. 1817 lag auf den Bergen der Schnee aus 2 Wintern, denn jener aus dem Winter 1815/1816 war dort nie abgeschmolzen. Am 27. August 1817 begann es in dem ansonsten eher trockenen Jahr plötzlich heftig zu regnen. Das brachte zusammen mit schon vorher einsetzenden warmen Winden den Schnee auf den Bergen dann doch zum Schmelzen. <BR /><BR />Der Eisack stieg über seine Ufer und der Bozner Talboden wurde in einer Flutkatastrophe komplett überschwemmt. Die Schäden waren riesig. Die Zahl der Todesopfer durch Hunger und Flut war hoch, genaue Zahlen gibt es jedoch keine. Richtung Herbst verbesserte sich die Witterung erstmals ein wenig und es gab zumindest eine kleine Ernte. 1818 hatte der Spuk dann ein Ende. Die Südtiroler durften sich wieder über einen richtigen Sommer, keinerlei Naturkatastrophen und eine reichliche Ernte freuen.<h3> Sonnenlicht wurde ins Weltall reflektiert</h3>Den genauen Grund für dieses immense, mehrjährige Leid deckten später Wissenschaftler auf. Ursache für die extremen klimatischen Veränderungen war der durch den Vulkan Tambora in Massen ausgestoßene Schwefel.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="951265_image" /></div> <BR /><BR /> Er legte sich wie ein Schleier in die Erdatmosphäre und schwächte die Sonneneinstrahlung markant ab, da die aus dem Schwefel entstandene Schwefelsäure zusammen mit Wasser das Sonnenlicht in das Weltall zurückspiegelte. Und da der Vulkan die Aerosole bis in die Stratosphäre pumpte, dauerte die Katastrophe so lange. Denn während Schwebstoffe in tieferen Lagen, sprich der Troposphäre wo sich das Wetter abspielt, schnell ausgewaschen werden, halten sich Teilchen in der Stratosphäre jahrelang.<BR /><BR />Die Ereignisse von 1815 bis 1817 waren keine Eintagsfliege. Bereits 536 nach Christus, 60 Jahre nach dem Ende des römischen Reiches, trug sich Ähnliches zu. Eine weltweite Staubwolke, deren Ursache laut Vermutungen von Wissenschaftlern ebenfalls ein Vulkanausbruch war, diesmal auf Island. Er verdunkelte die Sonne ebenfalls für mehr als ein Jahr und sorgte für eine vergleichbare weltweite Hungersnot.<BR /><BR /> In China sollen damals bis zu dreiviertel der Bevölkerung den Hungertod erlitten haben. In Europa soll es ein Drittel der Bevölkerung gewesen sein. Auch dieses Ereignis hat Südtirol getroffen, nur ist dazu so gut wie nichts überliefert.<BR /><BR />SO SCHILDERT EIN BOZNER CHRONIST DIE EREIGNISSE<BR /><BR /> „… Denn das Jahr 1816, lieber Leser, war ein sehr großes Unglücksjahr, es war ein Hungerjahr.<BR /><BR />Gleichzeitige Historiker haben nicht Worte genug, um das Elend, um die Noth und die Armuth zu schildern, die in diesem Jahre besonders in Bozen herrschten. Die Hauptursache dieses Hungerjahres war die entsetzlich schlechte Witterung, weßhalb nichts wachsen konnte. Es war gewiß ein sehr betrübendes Zeichen, wenn noch am 9. März der Eisack mit Treibeis beladen an der Stadt vorbeirumpelte und am 6. April zum alten Schnee, der noch nie geschmolzen war, sich neuer und frischer in solcher Menge zugesellte, daß er noch Ende April die ganze Gegend wie mit einem Leintuche bedeckt hielt. ...<BR /><BR /> Am 5. August, berichtet P. Dismas Tuzer, sah ich selbst in der Umgebung von Bozen die Trauben erst blühen; … Die Ernte der Früchte – selbst der Erdapfel – war eine so geringe, daß die Armen nichts besaßen, was sie hätten essen können. <BR /><BR />Deshalb entstand eine solche Hungersnoth, daß selbst die Muthigsten verzagt wurden und sich nicht zu helfen wußten. Dazu kam noch, daß das, was an Feldfrüchten übrig war, der im Oktober gefallene Reif vollständig verbrannte und die im November – man bedenke hier in Bozen – bis auf 19 Grad gestiegene Kälte ganz versengte. Ja ein derartiger Mangel herrschte und eine solche Noth trat ein, daß man Heu, wo noch eines vorhanden war, sott und aß. …<BR /><BR />...Das waren traurige Zeiten. In diesem Elende und in dieser Noth verlebte man das Jahr 1816 in der Hoffnung es werde das Jahr 1817 besser werden und durch gesegnetes Wachsthum die Nothlage beseitigen. Allein diese selige Hoffnung schien vollständig getäuscht zu werden, weil die beiden Monate März und April so kalt und frostig waren, daß sich nirgends das Grün der Felder oder die Blüthe der Bäume zeigte. Die Furcht ob der so stark grassierenden und noch immer in Aussicht stehenden Hungersnoth stieg daher von Tag zu Tag und wurde auch dadurch noch vermehrt, weil die Preise der Lebensmittel immer höher stiegen. …<BR /><BR />… Der Jammer und das Elend erreichten endlich den höchsten Stand, als im Monate August eine plötzliche Überschwemmung jene wenigen Früchte noch zu Grunde zu richten drohte, … Obwohl es nämlich nur einen einzigen Tag – den 27. August – tüchtig regnete, stieg doch der Eisack plötzlich aus seinem Bette, überschwemmte nach allen Seiten hin den ganzen Bozner Boden.“<BR /><BR />Aus: Die Stadt Bozen von Professor A. Simeoner, Bozen, Druck und Verlag der Wohlgemuth’schen Buchdruckerei, 1890.<BR /><BR />