Auf einer Reise in die Schweiz las Bischof Ivo Muser einen Satz, der ihn bis heute beschäftig und für unser Land unglaublich aktuell ist. <BR /><BR /><b>Herr Bischof, Weihnachten heizt den Konsum an, sorgt für eine Verkehrslawine, lässt viele Menschen ihre Armut und Einsamkeit spüren. Sollten wir auf dieses Fest nicht besser verzichten?</b><BR />Bischof Ivo Muser: Ich bin fest davon überzeugt, dass Weihnachten nicht ausfallen darf. Aber es stimmt natürlich: Weihnachten ist aus der Kirche ausgewandert. Und die Kirche hat schon lange keine Deutungshoheit mehr über dieses ihr so wichtige Fest. Das ist eine Tatsache. Ich kann nur werben für die wunderbare Botschaft von Weihnachten, die leben hilft, die uns Orientierung gibt, die uns nicht allein sein lässt. Vieles gefällt mir nicht, als Christ und als Bischof. Und gleichzeitig fasziniert es mich. Weihnachten ist zu jenem Fest geworden, das wie kein anderes Fest weltweit Menschen so sehr anspricht und erreicht. Es geht um Werte wie Menschlichkeit, auch das Schenken ist ein wunderbares Zeichen. Oder wenn man auch denkt, dass viele Menschengruppen im Umkreis dieses Festes in die Mitte gerückt werden, vielleicht nur für einige Tage. Aber das hat ja alles auch mit Weihnachten zu tun. <BR /><BR /><b>Diese Botschaft: Worin besteht sie für Sie persönlich? </b><BR />Bischof Muser: Weihnachten sagt: Hier ist ein Gott, der sich nicht heraushält, der nicht im Himmel bleibt, der sich nicht zurückzieht, der sich nicht mit sich selber beschäftigt. Sondern: Er kommt uns so nahe, dass wir ihn aufnehmen, umarmen, erwarten können, aber in letzter Konsequenz auch ablehnen, hinauswerfen, geißeln und kreuzigen können. Weihnachten darf man nicht verkürzen auf einige stimmungsvolle Momente. Der Höhepunkt von Weihnachten ist der Karfreitag. Das ist die letzte Konsequenz von dem, was hier geschehen ist. Er kommt uns nahe, auch in den leidvollen Fragen, in den offenen Fragen. Er hält sich nicht heraus. Das ist das Neue, das Revolutionäre, das Hoffnungsvolle des christlichen Gottesbildes. Und da geht mir schon das Herz auf. Das hilft mir wirklich zu leben.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1110210_image" /></div> <BR /><BR /><b>Viele lässt das aber kalt. Es geht auch ohne Gott, ist eine verbreitete Einstellung. </b><BR />Bischof Muser: Oft ist gerade auch im Umkreis von Weihnachten eine diffuse Sehnsucht zu spüren. Ganz tief drinnen wünschen wir uns alle gelingende Beziehungen, Halt und Sinn, dass wir mit dem Leben zurechtkommen. Und ich glaube, dass auch in unserer reichen und zum Teil überreichen und übersättigten Gesellschaft viele Menschen spüren: Das macht mich nicht glücklich, froh und ausgeglichen. Und da können wir die Botschaft von Weihnachten nur anbieten. Und das ist die Aufgabe der Kirche, und deswegen braucht es auch die Kirche.<BR /><BR /><b>Sie haben unsere Gesellschaft angesprochen. Als Bischof sind Sie viel vor Ort, sprechen mit Menschen. Wo machen Sie sich Sorgen, was müssen wir angehen?</b><BR />Bischof Muser: Ich sage es mit einem Beispiel, mit einem Satz, der mir seit Jahren nachgeht und den ich immer und immer wieder bestätigt finde. Ich bin einmal durch die Schweiz gefahren; auf einem Universitätsgebäude hat wohl eine Studentin, ein Student mit einer Spraydose den Satz hinaufgeschmiert: Ich habe es satt, nur satt zu sein. Dieser Satz geht mir nach, und ich sehe viel Sattheit, sogar Übersättigung. Das hat auch viel zu tun mit einer Ursünde, die uns Menschen begleitet, die Gier immer mehr haben zu wollen. Wir verlieren oft das Maß, und das muss uns als Gesellschaft beschäftigen. Dann sind die vielen Lobbys. Ich sage manchmal, Lobbys sollten wir bilden für jene, die sie wirklich brauchen, wir sollten hinschauen auf die Schwachen, und die gibt es auch und zunehmend. Heute in unserer Gesellschaft von Armut zu reden, ist schwierig geworden, weil wir auf den ersten Blick den Eindruck haben, es geht ja eh allen gut. Und das stimmt nicht.<BR /><BR /><embed id="dtext86-67871266_quote" /><BR /><BR /><b>Das erleben Sie als Bischof?</b><BR />Bischof Muser: Ja, und zwar sehr oft. Ich höre ganz oft, nicht nur über die Caritas, aber auch, weil ich mit Menschen ins Gespräch komme, auch im Umkreis meines Hauses, da rede ich öfters mit Menschen, die vielleicht nicht unbedingt auf der Sonnenseite des Lebens stehen und die auch vom rechten Weg abgekommen sind. <BR /><BR /><b>Ist das ein Mahnruf an die Politik?</b><BR />Bischof Muser: Es ist eine der wichtigsten Aufgaben von Politik überhaupt, soziale Gerechtigkeit, sozialen Ausgleich zu schaffen. Sie muss das Gemeinwohl und weniger die Lobbys bedienen. Mich beschäftigt einfach, dass in unserem Land sehr schnell das Jammern aufkommt, und zwar auf höchstem Niveau. Wenn etwas nicht mehr so gelingt wie im vergangenen Jahr, wenn wir eine bestimmte Konsumsteigerung des vergangenen Jahres nicht erreichen, dann beginnt man zu jammern. Und manchmal kommt mir vor, das ist ein Hohn gegenüber vielen Menschen, die wirklich das Nötigste nicht haben. Und das verschärft wieder unsere Probleme. Auch das Fordern, das ist ganz stark geworden, das Fordern von anderen. Und viel wichtiger wäre es zu fragen, und wo kann ich meinen Beitrag leisten? Was tue ich, dass ein Gemeinwesen leben kann?