Doch von vorn. <BR /><BR />An einem kühlen Septembermorgen im Jahr 2008 verließ die 63-jährige Agneta Westlund ihr gemütliches rotes Holzhaus in der Nähe von Loftahammar, einer idyllischen Ortschaft an der schwedischen Ostküste. <BR /><BR />Sie nahm ihren Hund an die Leine, zog die Jacke enger und verschwand zwischen Birken und Kiefern in den dichten Wäldern, die ihr Zuhause umgaben. Es war ein alltäglicher Spaziergang – ein Ritual, das sie oft und gern alleine unternahm. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1188510_image" /></div> <BR />Doch an diesem Tag kam Agneta nicht zurück. Stunden vergingen. Als die Sonne sank, wurde ihr Ehemann Ingemar Westlund unruhig. Er rief ihren Namen, suchte in der Dämmerung – bis er sie schließlich am Rand eines kleinen Sees fand. Leblos. Blutverschmiert. Die Spuren deuteten auf einen brutalen Angriff hin.<h3> Ein Dorf unter Schock – ein Verdacht, der alles zerstörte</h3>Die Polizei rückte an. Ingemar, der sichtlich unter Schock stand, wurde befragt – immer wieder, stundenlang. Bald war klar: Im Umkreis gab es keine anderen Zeugen. Keine Einbruchsspuren. Keine fremden Fußabdrücke. Kein verdächtiges Auto. Wer außer dem Ehemann hätte wissen können, wo sie war?<BR /><BR />Die Ermittler waren sich bald sicher: Der Mörder musste jemand sein, der Agneta sehr nahegestanden hatte. Ingemar wurde festgenommen. Zehn Tage verbrachte er in Untersuchungshaft, während die Nachricht sich wie ein Lauffeuer durch das Dorf fraß.<BR /><BR />Freunde, Nachbarn – alle tuschelten. Manche hielten sich von ihm fern, andere warfen ihm giftige Blicke zu. Selbst bei Agnetas Beerdigung, zu der 300 Menschen kamen, stand Ingemar allein da. Der Verlust seiner Frau, die Trauer, das Entsetzen – all das wurde überschattet von einem Verdacht, der sich an ihm festbiss wie ein wildgewordener Terrier.<h3> Ein Spürhund, ein Labor – und die Wende</h3>Monate vergingen. Der Fall schien klar, doch es fehlte ein Beweis: Keine Waffe, kein Motiv, kein Geständnis. Schließlich forderten die Ermittler forensische Analysen an. Reichlich spät. Aber dass die schwedische Polizei öfters mal schläft, kommt häufiger vor. Die Kleidung von Agneta, ihre Wunden, die Umgebung – alles wurde noch einmal akribisch untersucht.<BR /><BR />Was sie fanden, ließ die Experten stutzen: In den Wunden und an der Kleidung fanden sich Haare und Speichelreste – doch sie stammten nicht von Agnetas Ehemann und auch nicht von einem anderen Menschen, sondern von einem Tier. Genauer gesagt: von einem Elch.<h3>Der wahre „Täter“: ein betrunkener Riese</h3>Wie war das möglich? Elche sind in Schweden allgegenwärtig. Normalerweise meiden sie Menschen. Doch im Herbst fressen sie gern vergorene Äpfel, die von Bäumen fallen – und können davon tatsächlich „betrunken“ werden.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1188513_image" /></div> <BR /><BR />An jenem Tag muss Agneta einem dieser Tiere begegnet sein. Vielleicht war ihr Hund vorausgelaufen, hat den Elch erschreckt oder gereizt. Vielleicht fühlte sich das mächtige Tier bedroht – ein Bulle im Rausch, mehrere hundert Kilo schwer, mit messerscharfen Hufen.<BR /><BR />Die tödliche Begegnung war kurz, brutal – und völlig unvorstellbar für alle, die einen Mord hinter Agnetas Tod vermuteten. Agneta war der erste Mensch in Europa, der von einem Elch getötet worden war.<h3> Ein Mann, der zum Opfer eines Justizirrtums wurde</h3>Als die Polizei mit den spektakulären Elch-News vor die Presse trat, betonte die Staatsanwältin, dass keine Ermittlungsfehler gemacht worden seien. Vielmehr hätten die aufwendigen und komplexen Untersuchungen Zeit gebraucht, bis schließlich der Elch als Verursacher ins Visier rückte. Sogar internationale Fachleute wurden hinzugezogen, darunter ein deutscher Experte für Wildschweine. Ein Polizeitechniker erklärte, dass die Elchhaare zunächst für Hundehaare gehalten wurden und man erst im Juni — neun Monate nach der Tat — darauf kam, dass ein Elch der Täter gewesen sein könnte. Der Witwer Ingemar Westlund war zu dieser Pressekonferenz nicht eingeladen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1188516_image" /></div> <BR /><BR />Erst Monate nach der Tragödie stellten die Behörden also die Ermittlungen gegen Ingemar offiziell ein. Doch niemand informierte ihn darüber. Jahrelang blieb er in den Augen vieler der Mann, der seine Frau getötet hatte. Erst als der Fall durch die Medien ging, erfuhr die Öffentlichkeit von der wahren Geschichte – und Ingemar von seiner offiziellen Entlastung.<BR /><BR />Er verklagte später den schwedischen Staat wegen der falschen Verdächtigungen und der seelischen Qualen, die er durch die Ermittlungen erlitten hatte. Doch der Makel blieb – in einem kleinen Dorf, das nie vergessen konnte, wie schnell es einen Unschuldigen zum Mörder erklärt hatte.<h3> Ein Tod, der Schweden bis heute beschäftigt</h3>Der Fall Agneta Westlund bleibt einer der bizarrsten Kriminalfälle des Landes. Ein Waldspaziergang, ein betrunkener Elch, ein tragischer Tod – und ein Justizirrtum, der das Leben eines Mannes zerstörte.