Nach wochenlanger Suche hat die Etsch den leblosen Körper von Laura Perselli freigegeben. Peter Neumair ist noch immer verschollen. Gibt es noch Hoffnung, ihn zu finden? Und kann ein Gerichtsmediziner nach so langer Zeit noch feststellen, was zum Tod geführt haben könnte? Wir haben den renommierten Pathologen Prof. Oliver Peschel aus München gefragt.<BR /><BR /><BR /><BR /><b>Wovon hängt ab, ob und wann ein toter Körper an die Wasseroberfläche kommt?</b><BR />Prof. Oliver Peschel: Eine Möglichkeit ist, dass eine Leiche durch die Bildung von Fäulnisgasen nach oben treibt. Das gilt aber hauptsächlich für ruhige oder langsam fließende Gewässer. Die zweite Möglichkeit ist, dass Strömungseffekte sie nach oben bringen. <BR /><BR /><b>Laura Perselli hat man erst gefunden, als man den Pegel der Etsch gesenkt hat: Sie sagen also, das ist typisch für solche Fälle?</b><BR />Prof. Peschel: Es ist durchaus nicht ungewöhnlich. Die Etsch hat flachere Bereiche mit Ufertaschen, wo größere Steine liegen, aber auch tiefere Bereiche, die mit Gumpen durchsetzt sind. Da ist es zum Teil Zufall, ob die Leiche in einem einsehbaren Bereich liegt. Die Etsch hat auch Stellen, an denen man keine Chance hat, jemanden zu erkennen, wenn 30 Zentimeter Wasser darüber sind.<BR /><BR /><b>Also ist es möglich, dass Peter Neumairs Körper noch in der Etsch ist – auch wenn er bisher nicht gefunden werden konnte?</b><BR />Prof. Peschel: Das halte ich für plausibel. Mehrere Faktoren haben Einfluss auf den Körper, etwa die Bekleidung, die Strömungen, Strömungsgeschwindigkeiten und das Flussrelief. Grundsätzlich kann man sagen: Im kalten Wasser wird die Wahrscheinlichkeit geringer, dass eine Leiche aufgrund von Fäulnisgasbildung obenauf schwimmt.<BR /><BR /><embed id="dtext86-47799901_quote" /><BR /><BR /><b>Wie verändert Wasser einen leblosen Körper?</b><BR />Prof. Peschel: Wasser an sich verursacht keine großen Veränderungen: Wenn eine Leiche in großer Tiefe liegt, fehlt die Sonneneinstrahlung, es gibt keine sauerstoffabhängigen oxidativen Prozesse, aber hohen Druck. Unter solchen Bedingungen kann es passieren, dass Leichen konserviert werden. Man spricht dann von Fettwachsbildung: also einer chemischen Umwandlung von Körpergewebe. Fettgewebe verwandelt sich in einen schützenden Panzer, von der Konsistenz vergleichbar mit Gips, sodass der Körper dann zum Teil relativ gut erhalten bleibt. Wenn die Wassertemperatur hingegen höher ist, näher an der Oberfläche, gibt es meist auch Flora und Fauna im Gewässer. Pflanzen und Pilze beginnen damit, eine Leiche zu zersetzen. <BR /><BR /><b>Womit ist in der Etsch um diese Jahreszeit zu rechnen?</b><BR />Prof. Peschel: Der Erhaltungszustand wird tendenziell eher gut sein. Das kalte Wasser wirkt eher konservierend als zerstörend. Natürlich kommt es zu einer Aufschwemmung der Haut. Das kennt jeder: Wenn man zu lange in der Badewanne sitzt, kriegt man ganz runzlige Haut an den Händen und an den Fußsohlen. Bei einer Leiche nennt man das Waschhautbildung. Die Haut an den Händen und den Füßen kann man dann nahezu vollständig abziehen. <BR /><BR /><b>Zersetzungvorgänge finden also auch im kalten Wasser statt?</b><BR />Prof. Peschel: Ja, aber die sind nicht so ausgeprägt, als wenn die Leiche an der Luft und an Land liegen würde. Am Boden käme es selbst im Winter relativ schnell zu Tierfraßveränderungen – durch Bodenorganismen, Kleinstlebewesen, Insekten, Ameisen und so weiter. Wenn eine Leiche im Schnee liegt, dauert es nicht lange und der Körper entwickelt sich in Richtung Ötzi. Aber wenn eine Leiche im Wald liegt, können Fuchs, Dachs oder Raubvögel an der Leiche Gewebe zerstören. Raubtiere unterscheiden nicht, ob sie Aas fressen, etwa eine tote Gämse, oder einen toten Menschen. Im Wasser ist das weniger der Fall.<BR /><BR /><b>Gibt es in der Etsch keine Raubfische?</b><BR />Prof. Peschel: Ich bin in der Fischerei Südtirols nicht ausreichend bewandert, um diese Frage zu beantworten: Aber grundsätzlich gilt – auch Fische fressen an Leichen. Wenn in einem Fluss viele Raubfische sind – zum Beispiel Forellen – dann werden die sich schon an einer Leiche gütlich tun. Auch im Winter. Aber das kommt sehr auf die biologische Charakteristik des Gewässers an.<BR /><BR /><b>Von der Autopsie versprechen sich die Ermittler Hinweise auf ein mögliches Verbrechen. Kann man davon ausgehen, dass noch brauchbare Ergebnisse gefunden werden?</b><BR />Prof. Peschel: Niedrige Temperatur plus Wasser mit geringer Fließgeschwindigkeit – also wenige Treibverletzungen – plus wenig Sonneneinstrahlung plus vielleicht Schutz der Hautoberfläche durch Bekleidung: Die Befunderhebung wird natürlich schwieriger sein als bei einer frischen Leiche, aber noch sehr gut möglich. Gäbe es hypothetisch andere Faktoren – eine unbekleidete Leiche mit groben äußeren Verletzungen, Wärme, Sonneneinstrahlung, viele Mikroorganismen, Fische, Krebse, die sich von Eiweiß ernähren – dann kann es nach 4 Wochen schon ganz schön schwierig werden. Die Bandbreite ist also extrem variabel.<BR /><BR /><b>Wie geht ein Gerichtsmediziner bei einer Autopsie vor? Wonach sucht er zuerst?</b><BR />Prof. Peschel: Zuerst erfolgt die kriminalistische Beurteilung: Man schaut sich den Fundort an, die Auffindungssituation, die Bekleidung der Leiche. Das ist etwas, das häufig die Polizei übernimmt. Der Rechtsmediziner sieht sich die Leiche äußerlich an: Welche Veränderungen finde ich an der Haut, an der Körperoberfläche? Man sucht Schuss- und Stichverletzungen, Verletzungen durch stumpfe Gewalt – also Schläge auf den Körper oder den Kopf. Findet man keine solchen, öffnet man die Leiche: die Schädelhöhle, die Brusthöhle, die Bauchhöhle. Dann werden die Organe entnommen und gezielt im Hinblick darauf angeschaut, ob Residuen da sind, die dafürsprechen, dass es zu Verletzungen gekommen ist: beim Stich wäre es eine Organverletzung der Leber oder der Lunge mit einer Blutung in die Bauchhöhle oder in die Brusthöhle. Bei stumpfer Gewalt auf den Schädel wäre es eine Schädelfraktur und eine Verletzung des Gehirns oder der weichen Häute des Gehirns. Untersuchungen gehen bis in den Bereich der Toxikologie: zum Giftnachweis. Wenn eine Leiche nicht über mehrere Wasserfälle gestürzt ist und traumatische Veränderungen erlitten hat, dann würde ich nicht davon ausgehen, dass die Befunderhebung durch die längerzeitige Lagerung im Wasser extrem beeinträchtigt ist. Besser wird es natürlich nicht: An einer frischen Leiche ist es immer einfacher, Befunde zu erheben. Aber den wesentlichen Teil an Befunden findet man.<BR /><BR /><b>Könnte man nach 4 Wochen im Wasser noch erkennen, ob ein Toter ertrunken ist?</b><BR />Prof. Peschel: Die Ertrinkungsbeurteilung hängt sehr stark von der Beurteilung des Lungengerüstes ab. Das Lungengerüst ist aber fäulnisanfällig – das heißt, nach 4 Wochen Lagerung im Wasser noch einen Ertrinkungstod zu rekonstruieren: Das ist eine gewagte Geschichte, da wird es heikel.<BR /><BR /><b>Könnte man noch Würgemale sehen?</b><BR />Prof. Peschel: Die könnte man noch sehen. Wenn der Hals dauernd im Wasser gewesen wäre, kann das natürlich in der Differenzierung problematisch sein. Aber man hat Würgeverletzungen ja nicht nur außen an der Haut, sondern auch innen an den Halsorganen. Da würde ich erwarten, dass man innen an den Skelettelementen des Halses, des Kehlkopfes und des Zungenbeins entsprechende Verletzungen feststellen kann.<BR /><BR /><b>Kann man erkennen, ob Verletzungen zu Lebzeiten entstanden sind oder möglicherweise nach dem Tod – etwa durch Steine im Fluss?</b><BR />Prof. Peschel: Das kommt sehr stark auf den Organerhalt an und kann sehr stark variieren. Wenn alle günstigen Bedingungen vereint sind, wird nach 4 Wochen eine Beurteilung noch sehr gut möglich sein; wenn alle Beurteilungsbedingungen ungünstig sind, dann wird es schwieriger. Die Bedingungen sind so ungeheuer vielfältig, dass man das ganz schlecht pauschal sagen kann.<BR /><BR /><b>Gibt es einen Zeitpunkt, ab dem es schwierig wird, noch eine Todesursache zu ermitteln?</b><BR />Prof. Peschel: Wenn man eine skelettierte Leiche hat, kann man auch rein anhand des Skeletts – zum Beispiel, wenn man scharfe Durchtrennungen an den Rippen oder am Schulterblatt feststellt – noch gute Rückschlüsse auf Schuss- oder Stichverletzungen oder stumpfe Gewalteinwirkung ziehen. Insgesamt hängt es extrem stark von der Situation ab und ist hochvariabel. <BR /><BR /><b>Wie ist es denn für einen Mediziner, so einen Fall auf den Tisch zu bekommen?</b><BR />Prof. Peschel: Man muss eine professionelle Distanz entwickeln, sonst kann man einen solchen Beruf nicht ausüben, sonst wird man damit nicht fertig. Das gilt in der Medizin aber in jedem Fach: Das, was wir als Gerichtsmediziner sehen – mit zum Teil stark fäulnisveränderten Leichen, die Opfer von Tötungsdelikten geworden sind – geht auf die rein körperliche Ebene; bei anderen Fächern, etwa in der Kinderheilkunde, oft auf die seelisch-psychische. Ich war vor 16 Jahren beim Tsunami in Thailand: Wenn Sie da Hunderte zum Teil stark von Fäulnis veränderte Leichen auf einem Fleck liegen sehen, da schluckt man auch als erfahrener Rechtsmediziner. Aber man muss damit umgehen und seine Arbeit tun. Es ist niemandem gedient, wenn man umfällt und sagt, ich mag nicht mehr.<BR /><BR /><BR /><b>Zur Person:</b><BR /><BR /><i>Prof. Oliver Peschel ist Pathologe am Institut für Rechtsmedizin in München. Er ist seit der Pensionierung seines Vorgängers Dr. Eduard Egarter Vigl Konservierungsbeautragter für die Gletschermumie Ötzi. Prof. Peschel war im Auftrag des deutschen Bundeskriminalamtes kurz nach dem Tsunami 2004 in Thailand, um Tote der Flutkatastrophe zu identifizieren.</i><BR />