In jenen schicksalshaften Stunden wusste er zunächst nicht mehr, wie es weitergehen sollte. Dank einer überwältigenden Solidaritätswelle kann er heute wieder eine schöne Ernte einbringen. <BR /><BR />Es summt und zirpt, es duftet und riecht nach alpinem Sommer. Es blüht in allen erdenklichen Farben, wenn Bernhard Auckenthaler (47) in diesen Tagen durch sein buntes Gartenidyll schreitet. Die Ernte der Kräuter läuft gerade auf Hochtouren, auf der überschaubaren Fläche von einem halben Hektar sind Dutzende von verschiedenen Sorten abzuernten. Altbekannte Evergreens wie die Kamille oder die Ringelblume, optische Ausrufezeichen wie die Blaue Kornblume oder die Königskerze, aromatische Wundertüten wie Minzen sowie Gewürze wie Dill, Fenchel und Bohnenkraut. <BR /><BR />Das geballte Wipptaler Aroma-Panoptikum lässt jedes Besucherherz höherschlagen und natürlich ganz speziell auch jenes von Bernhard Auckenthaler, der mit dem Anbau bereits vor 23 Jahren begann und damals zusammen mit Gabi und Sepp Holzer vom Steirerhof die Partnerschafts-Initiative „Kräutergarten Wipptal“ aus der Taufe hob. Zufällig hatten sie sich damals kennengelernt, recht schnell waren sie sich einig, diese ungewöhnliche Partnerschaft einzugehen. Sie alle waren bereits vom Kräuteranbau überzeugt, als hierzulande nur ein paar Unverbesserliche es für möglich hielten, darauf eine Existenz aufbauen zu können. Somit zählen sie zu den Pionieren in einer Nische, die sich mittlerweile einer beachtlichen Nachfrage erfreut. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1064742_image" /></div> <BR />Zum Konzept des „Kräutergarten Wipptal“ gehörten und gehören nach wie vor beide Höfe – der auf 1200 Meter gelegene Botenhof in Pflersch und der sonnenexponiertere Steirerhof von Gabi und Sepp Holzer im südlicheren Wiesen. Auf dem Steirerhof herrschen optimale Bedingungen für Blütenkräuter und wärmeliebende mediterrane Gewächse, so etwa Basilikum, Lavendel, Majoran, Salbei oder die ganze Palette an Melissen. Insgesamt gibt es auf den beiden Höfen der Kräutergärten Wipptal an die 70 verschiedene Kräuter zu ernten, darunter auch Wildkräuter wie beispielsweise Schafgarbe, Brennnessel oder Birkenblätter. Jeden Tag sind die beiden Familien sowie einige Erntehelfer und Praktikanten derzeit damit beschäftigt, die Ärmel hochzukrempeln, Blüten und Blätter abzuzupfen, aufzusammeln und mit der notwendige Sorgfalt die Ernte einzubringen. <h3> Von Schutt und Geröll verschluckt</h3>„Es ist ein außergewöhnlich fruchtbarer Sommer, weil es in jeder Woche geregnet hat, allerdings schwingt bei jedem aufziehendem Gewitter auch etwas Angst mit“, beschreibt Bernhard Auckenthaler die diesjährige Lage. Angst vor schweren Unwettern und speziell Hagel, der die schönen Kräuter vernichten könnte. Gut überwunden hat der Kräuteranbauer hingegen jene schicksalshaften Stunden des 16. August 2021, als eine riesige Mure enorme Schäden anrichtete und der Botenhof vor dem Aus stand. <BR /><BR />Das Betriebsgebäude und die blühenden Felder wurden unter den Schlamm- und Wassermassen begraben, Vorräte und Geräte weitgehend vernichtet, der Großteil der Ernte zerstört. Die paradiesische Idylle war mit einem Mal von Schutt und Geröll verschluckt worden. <BR />Er blickt zurück: „Im ersten Moment fühlte es sich an, als ob die Welt untergehen würde. Man versucht einfach nur das zu retten, was noch zu retten ist. Aber schon im zweiten Moment, also tags darauf, waren wir mit den Aufräumarbeiten beschäftigt, der Blick war da schon nach vorne gerichtet. Wir haben unglaublich viel Unterstützung bekommen, das gibt einen die notwendige Kraft und Zuversicht.“ <h3>Eine überwältigende Welle der Solidarität</h3>Bernhard Auckenthaler erinnert sich, wie die Feuerwehren und die Sachverständigen von der Wildbachverbauung mit schwerem Gerät die Schlammmassen beseitigten, wie die gesamte Familie mit anpackte und wie die Freunde und Menschen aus der näheren Umgebung auch mit kleinen Gesten ihre Hilfsbereitschaft zum Ausdruck brachten.<BR /><BR /> Zusammen wurde geschaufelt und das Geröll weggekarrt, einige Menschen brachten Lebensmittel vorbei, weil der Weiler Anichen infolge der vermurten Straße eine Zeitlang abgeschnitten blieb. Als Glück im Unglück erwies sich dabei die Partnerschaft mit Gabi und Sepp Holzer, denn diese machte es möglich, den Schaden abzufedern und die Existenz des Botenhofs zu sichern. „Der finanzielle Ausfall in jenem Jahr war beträchtlich, aber dank der schnellen Hilfe konnte ich gleich einen neuen Garten anlegen und schon im Jahr darauf wieder etwas ernten – allerdings mit großen Einbußen“, blickt er zurück. <h3> Zerbrechlich wie der Arion-Schmetterling</h3>Die Welle der Solidarität zeigte sich in Spendenaufrufen und finanzieller Hilfe. Unter dem Motto „Arion – Wir bauen einen neuen Garten“ wurden von der Ethical-Banking-Sparte der Raiffeisenkasse Spendengeld für den Wiederaufbau gesammelt. Nur 5 Tage vor der Naturkatastrophe hatte das Filmteam von Ethical Banking beim Botenhof Videoaufnahmen gemacht, da Bernhard Auckenthaler einen Förderkredit erhalten hatte. Bei Arion handelt es sich um einen in der Umgebung von Anichen beheimateten geschützten Schmetterling. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1064745_image" /></div> <BR /><BR />Es ist ein vortreffliches Sinnbild für die Schönheit eines Idylls und dessen Zerbrechlichkeit. Und so zögerte Roland Furgler, Leiter der Ethical-Banking-Sparte, keinen Augenblick, um sich schon einen Tag nach der Naturkatastrophe ein Bild von den Schäden zu machen, bei den Aufräumarbeiten mitzuhelfen, und die besagte Unterstützungsaktion ins Leben zu rufen. Das Echo fiel überwältigend aus. <BR /><BR />„Mehr als 300 Menschen haben sich daran beteiligt und mit ihrem Engagement auch signalisiert, dass sie an ein Weiterbestehen des Projektes glauben“, fasst Roland Furgler zusammen. Die Hilfe kam von vielen unterschiedlichen Seiten. Nur ein Beispiel: Der Sterzinger Verein für Kunst und Kultur „Lurx“ lancierte kurzentschlossen eine Spendenauktion. Die Versteigerung von Kunstobjekten zugunsten des Botenhofs brachte fast 10.000 Euro für den Wiederaufbau ein. Gerade dieser Zusammenhalt gab dem Kräuteranbauer die nötige Kraft zum Weitermachen. Der Glaube der vielen Menschen war der bitter notwendige Impuls, um nochmals ganz von vorne zu beginnen. <h3> Der Glaube an den Neuanfang</h3>So ist es gelungen, den Kräutergarten und sämtliche Produktionsstrukturen neu aufzubauen, zudem dient die „Alte Apotheke“ unterm Zwölferturm in der malerischen Sterzinger Innenstadt als passender Verkaufsladen. Heute sind die beiden Höfe des Kräutergartens Wipptal wieder bei der einstigen Erntemenge angelangt: Rund 250 bis 300 Kilo getrocknete Kräuter pro Saison. <BR /><BR />„Für uns ist das die optimale Menge und Betriebsgröße, somit haben wir auch nicht vor zu wachsen“, sagt Bernhard Auckenthaler. Dabei geht er auf die diversen Arbeitsschritte und all die Produktschienen ein: Tee- und Gewürzmischungen sowie Liköre und Sirupe stellen sie in Eigenregie her, die Kosmetika hingegen werden von einem spezialisierten Labor in Stams, Nordtirol, abgemischt. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1064748_image" /></div> <BR />Gefragt sind derzeit geführte Kräuterwanderungen durch die duftenden Bergwiesen sowie Hof- und Gartenbesichtigungen am Steirer- und am Botenhof. Die Besucher tauchen dann in ein Aromabad aus erntereifen Blüten ein, sie werden vom Füllhorn der Natur regelrecht betört. Für Sepp und Gabi Holzer und Bernhard Auckenthaler eigentlich Alltag, aber auch sie schätzen gerade jetzt im Sommer die Schönheit ihrer Gärten. „Ich bin Gärtner geworden, um mit der Erde und den Pflanzen zu arbeiten. Machen ließe sich sehr vieles, allerdings muss man immer aufpassen, dass man sich nicht übernimmt“, erklärt der Kräuterbauer. Das Paradies im Wipptal ist das Ergebnis eines festen Willens und vieler Kraftanstrengungen. <BR /><BR />Gerade die Begebenheiten rund um dieses Paradies zeigen, wie fragil es ist und wie schnell alles vorbei sein kann. Mit diesem Bewusstsein weiß man es umso mehr zu schätzen.