Einblicke in diese fordernde, aber zugleich bereichernde Arbeit gibt Marlis Thaler, die bis vor wenigen Wochen zu diesem Team gehörte.<BR /><BR />„Immer wieder mal habe ich gehört, dass meine Arbeit schrecklich und deprimierend sein müsse. Aber das entspricht nicht den Tatsachen, das Gegenteil ist der Fall. Diese Tätigkeit ist erfüllend und mit Glücksmomenten gespickt, aber man muss sich von den Schicksalen abgrenzen können.“ Glücksmomente gibt es etwa dann, wenn es den Familien gelingt, die Krankheit zu akzeptieren, anstatt verzweifelt nach etwaigen Therapien zu suchen. Dann können die Familien die verbleibende Zeit für sich nutzen, das sei Lebensqualität. <BR /><BR />Es ist einer von vielen zentralen Gedanken im Gespräch mit Marlis Thaler. Seit wenigen Wochen ist die Brixnerin im Ruhestand, davor gehörte sie als mehrfach spezialisierte Kinderkrankenpflegerin für acht Jahre zum mobilen Kinderpalliativteam. Seit dieser kleine Dienst vor zehn Jahren beim Südtiroler Sanitätsbetrieb aus der Taufe gehoben wurde, begleitet er Familien mit Kindern, die mit unheilbaren und lebenslimitierenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten zurechtkommen müssen. Insgesamt 180 betroffene Familien wurden seitdem fachkundig unterstützt. Großteils leiden sie an Stoffwechselerkrankungen und neurologischen Erkrankungen, viele davon werden als seltene Erkrankungen klassifiziert. Die Betreuung erstreckt sich zumeist über lange Zeiträume, sie kann bei der Diagnose oder gar schon mit der Geburt des Kindes beginnen. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1163301_image" /></div> <BR /><BR />Es sind häufig Kinder und Jugendliche, die künstlich ernährt werden müssen, die ihre ureigenen Bedürfnisse nicht zu verbalisieren vermögen oder eine künstliche Beatmung benötigen. Die meisten brauchen folgerichtig dauerhafte Pflege und viel Zuwendung. Gerade der Umstand der seltenen Erkrankung macht eine ohnehin schon schwierige Situation zumeist noch schwieriger, denn seltene Erkrankungen bringen u.a. teurere Therapien, unvorhersehbare Verläufe mit sich. Umso geforderter ist dann das jeweilige Umfeld, die Angehörigen und ganz speziell Mutter, Vater und etwaige Geschwister. Es handelt sich durchwegs um Eltern, die außergewöhnliche Herausforderungen zu stemmen gelernt haben.<BR /><BR /><b>Zuhören und verstehen</b><BR /><BR /> Und hier setzt das Kinderpalliativteam ein – mit fachkundiger Hilfe, mit organisatorischen Erledigungen, mit Netzwerkarbeit, aber auch mit der erforderlichen Offenheit auf der seelischen Ebene. Marlis weiß: „Besonders wichtig ist, gut zuzuhören und verstehen lernen. Erst dann kann man erkennen, was die Familie und das Kind brauchen und darauf eingehen. Dabei sollte man den betroffenen Familien nicht mit eigenen Wertvorstellungen bevormunden, denn jede Situation ist für sich zu sehen, jede Familie lebt einen eigenen Alltag. Wir versuchen, diesen Alltag bestmöglich zu begleiten und zu unterstützen.“ Generell gehe es darum, die Bedürfnisse der betroffenen Familien zu erkennen und für ein Stück Lebensqualität zu sorgen. Wie sich jedoch Lebensqualität äußert, ist von Familie zu Familie stets individuell zu prüfen.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1163304_image" /></div> <BR /> „Das Lächeln eines Kindes kann genauso eine riesige Freude bereiten wie etwa die Erledigung an sich kleiner, aber womöglich aufwendiger Behördengänge“, weiß Marlis Thaler. Die gängigen Vorstellungen von Glück oder Erfüllung greifen in vielen der betroffenen Familien nicht, was kaum verwundern dürfte, wenn man immerzu um das Wohlbefinden des eigenen Kindes besorgt ist. Eines Kindes, dem nun mal nicht das Glück einer unbeschwerten Jugend zuteilwird. Eines Kindes, dessen fragiles Leben tatsächlich immerzu am seidenen Faden hängt. Folglich ist in der professionellen Pflege die Beziehungsarbeit von essenzieller Bedeutung. Durch die Beziehungsarbeit wird ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, durch das Vertrauen lässt sich zielgerichtete Unterstützung besser gewährleisten. Es handelt sich also um eine umfassende Betreuung, welche den Familien auf körperlicher, geistiger und seelischer Ebene zugutekommt. <BR /><BR /><b>80 Familien in Betreuung</b><BR /><BR />Das Kinderpalliativteam besteht derzeit aus zwei Kinderärztinnen, einer Pflegekoordinatorin, drei Kinderkrankenpflegerinnen und einer Psychologin, es betreut derzeit mehr als 80 Familien im ganzen Land. Letzthin sind die Zahlen etwas angestiegen, denn bis vor einigen Jahren lag der Durchschnitt der jährlich begleiteten Familien bei 50 bis 60. „Längst nicht alle Kinder, die weltweit eine palliative Betreuung brauchen, bekommen diese auch, aber dennoch sind die Fortschritte beachtlich“, sagt Marlis Thaler und erläutert die Zahlenlage. <BR />Diese besagt, dass auf 250 bis zu 320 Kinder in Südtirol die eingangs genannten Kriterien („schwer, unheilbar und lebenslimitierende oder lebensbedrohliche Krankheit“) zutreffen, davon dürften an die 100 eine spezialisierte pädiatrische Palliativbetreuung benötigen. Diese Zahlen lassen sich durch internationale Studien errechnen. Sie besagen, dass unter 1.000 Kindern etwa drei an schwerwiegenden Krankheiten leiden. <BR />Die vollumfängliche Betreuung übersteigt vielfach die Möglichkeiten der betroffenen Familien und des kleinen mobilen Einsatzteams, umso stärker kommt das Netzwerk aus Fachärzten, Sprengeldiensten, sozialen und rehabilitativen Diensten, dem Notfall- und Rettungsdienst und pädiatrischen Abteilungen zum Tragen. Das mobile Einsatzteam nimmt hierbei vor allem eine Brückenfunktion wahr, es berät und unterstützt die Fachkräfte vor Ort, bespricht mit den Eltern ärztliche Diagnosen und Empfehlungen oder geht mit ihnen weiterführende Fragen durch. <BR /><BR /><b>Unausweichliche Fragen</b><BR /><BR />Diese können sich eben auch um das Unabwendbare drehen, um den Tod des Kindes. Was ist zu tun, wenn es zu einer lebensbedrohlichen Situation kommt? Wenngleich sich die Medizin rasant weiterentwickelt hat, könne sie den Betroffenen derartige ethische und zutiefst menschliche Fragen nicht abnehmen.<BR />Wichtig sei, die Familien damit nicht alleine zu lassen, sie darauf vorzubereiten, die Gespräche rechtzeitig und behutsam zu führen. <BR />„Im Todesfall war für mich immer wichtig, die Familie weiterhin zu begleiten und einen guten professionellen und persönlichen Ausklang zu finden“, sagt Marlis. Die meisten Eltern ringen lange mit dem Vorgefallenen oder auch mit sich selbst, stellen sich Fragen wie „Was hätten wir anders machen können?“ oder „Warum ist es gerade uns passiert?“ In der Regel gibt es mit ihnen etwa drei Monate nach dem Tod ein Zusammentreffen, dann nochmals ein weiteres ein Jahr darauf. „Schritt für Schritt sollten die Eltern wieder den Weg in einen geregelten Alltag zurückfinden“, sagt sie. Die Trauerbegleitung übernimmt dann die Psychologin im Team.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1163307_image" /></div> In vielen Familien haben die betroffenen Kinder auch ein oder mehrere Geschwister, die mit dieser außergewöhnlichen Situation aufwachsen und umgehen lernen. Dabei müsse man öfter mal genauer hinschauen und auch deren Bedürfnisse und Befindlichkeiten ansprechen – gerade, weil sie oft im Hintergrund bleiben. Ähnliches gelte für Großeltern oder nahe Verwandte, die sich in den Familienalltag einbringen. <BR />„Wir müssen uns bewusst sein, dass letztlich jeder von uns Verantwortung trägt und seinen Teil zu einem besseren Miteinander beitragen kann“, meint Marlis. Dabei bezieht sie sich auf die allgegenwärtige Haltung, dass man immer mehr auf die öffentliche Hand abzuschieben tendiert. Das öffentliche Gesundheitssystem könne vieles leisten, aber längst nicht alles – vor allem, wenn es um soziale Fürsorge oder auch um die Gestaltung eines bereichernden Alltagslebens geht. Die einfache Frage, ob man etwas tun könne, sei zumeist ein erster, angemessener Schritt. <BR /><BR />In dieser Hinsicht leisten Vereine wie etwa Momo – der Förderverein Kinderpalliativ in Südtirol – herausragende Hilfestellungen. Zusätzlich zu und bürokratischer Unterstützung gibt es für betroffene Familien gezielte Angebote, so etwa verschiedene Therapien, Spiel- und Sportangebote, maßgeschneiderte Auszeiten oder sogar das Erfüllen langgehegter Kinderwünsche. Entlastung dürfte auch das geplante Kinderpalliativzentrum in Prissian bei Tisens mit sich bringen, eine professionelle Rundum-Versorgung bzw. Kurzzeitpflege soll die Familien stärken und Freiräume möglich machen. Es werden jedoch einige Jahre vergehen, bis diese überfällige Struktur steht und genutzt werden kann. <BR /><BR /><b>Sinnstiftender Beruf</b><BR /><BR />Was aber macht der Einsatz in einem derart heiklen Bereich mit den Helfenden? „Man muss sich abgrenzen können und sein eigenes Leben nicht hintenanstellen“, meint Marlis Thaler kurz und knapp. Unterm Strich war sie über 40 Jahre in diversen Funktionen als Kinderkrankenpflegerin tätig, darunter auch für verschiedene Intensivabteilungen für Neugeborene und Kinder, in der Organisation innerhalb der Pflegedienstleitung sowie in der Lehre. Wenn sie heute feststellt, dass sie ihre berufliche Laufbahn als sehr bereichernd und sinnstiftend empfindet, dann gibt es wohl kaum eine bessere Fürsprache für Pflegeberufe.