Trotz offensichtlicher Erfolge und dem Rückgang der Sterblichkeit bei Kindern leistete ein Großteil der Tiroler im 19. Jahrhundert heftigen Widerstand gegen die Impfung.<BR /><BR /><BR /><BR /><BR />Um 1800 lebte man in den Tiroler Täler noch wie im Mittelalter“, erzählt Albin Pixner, langjähriger Obmann des Museum Passeier und Spezialist für die Zeit Andreas Hofers. „Viele konnten nicht lesen.“ Das Leben wurde als Durchgang gesehen, um ins Jenseits zu kommen. Man verließ sich auf den Herrgott, versuchte gottgefällig zu leben und das Schicksal anzunehmen. „Die Medizin steckte noch in den Kinderschuhen“, sagt Pixner. „Es gab vor allem Bader, die auch Quacksalber waren, Wundärzte in den Kriegen und Bauerndoktor, aber kaum ausgebildete Ärzte.“<BR /><BR />Die Herrschenden und die Pfarrer sagten, wo es lang ging. Der Zugang zu Informationen war sehr begrenzt und beschränkte sich oft auf die Predigten der Priester. So ist es nicht verwunderlich, dass die Gerüchteküchen brodelten. Damals wurden die „Fake news“ mündlich verbreitet, heute geschieht dies vor allem über die Sozialen Medien. Auch wenn die Obrigkeiten das Meinungsmonopol für sich beanspruchten, folgte ihnen das Volk nicht immer. <BR /><BR /><BR /><BR />Ein Beispiel ist die Pocken-Epidemie in Tirol: Um 1770 breiteten sich die Pocken (auch Blattern oder Würgeengel genannt) in Tirol stark aus. Es gab rasch viele Tote, hauptsächlich Kinder. „Jedes vierte bis sechste Kind, das sich mit Pockenviren infiziert hatte, starb damals an der Infektionskrankheit“, weiß Albin Pixner. „Pocken sind eine schlimme Krankheit. Nach einer 2-wöchigen Inkubationszeit mit Kopfweh und Fieber bilden sich am ganzen Körper eitrige Pusteln, auch im Gesicht und im Augenbereich, was zur Erblindung führen kann. Gesunde Menschen verwandelten sich in kurzer Zeit in stinkende Wesen.“<BR /><BR />Die Krankheit führte entweder zum Tod oder sorgte für eine Immunisierung. „Schon um 1770 begannen erste Ärzte mit Experimenten, entnahmen Proben aus eitrigen Pusteln und impften sie gesunden Menschen“, berichtet Pixner. „Später ging man auf Kuhpocken über, die gesunden Kindern geimpft wurden.“ 1802 wurden im Pustertal bereits 1200 Kinder geimpft.<BR /><BR /><b>Riesiger Widerstand</b><BR /><BR />„Es gab in Tirol einen riesigen Widerstand der Bevölkerung gegen die Impfung“, sagt Pixner. Auch ein Teil der Ärzteschaft war dagegen und schürte die Zweifel. Ganze Dörfer leisteten Widerstand, obwohl man sah, dass es Immunisierungen gab. Schon damals gab es die Aussagen, dass Impfungen für den Körper etwas Schädliches seien.<BR /><BR />Die Impfungen zeitigen Erfolge, der heftige Widerstand sorgte aber auch für große Rückschläge. „In Schlanders wurden Kinder trotz Impfung infiziert. Das hat die Skepsis unter der Bevölkerung natürlich stark erhöht“, erzählt Albin Pixner. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="679187_image" /></div> <BR />1805/06 kam Tirol unter bayerische Herrschaft. Am 26. August 1807 wurde die Schutzimpfung gegen Pocken für alle Kinder unter 3 Jahren gesetzlich vorgeschrieben. Es wurden auch überaus strenge Quarantäneregeln und eine Anzeigepflicht von Infizierten eingeführt. „Infizierte Häuser und Dörfer wurden abgeriegelt. Impfverweigerer wurden mit Geldstrafen belegt“, schildert Pixner.<BR /><BR /><embed id="dtext86-50584369_quote" /><BR /><BR />Die Bayern hätten oft über das Ziel hinausgeschossen. Es wurden Aufbahrungen von ungeimpften, infiziert verstorbenen Kindern in den Häusern verboten, berichtet Pixner. Die Begräbnisse durften nur nachts ohne Glockengeläute und nur im Verwandtenkreis stattfinden. Das war ganz gegen die Tiroler Tradition.<BR /><BR />Die bayerische Regierung veröffentlichte die Namen der Eltern, deren Kinder ungeimpft gestorben sind, sogar in den Tiroler Zeitungen. Doch die Bayern bissen bei den Tiroler auf Granit. So änderten sie ihre Strategie: Es wurden Prämien für Ärzte ausgeschrieben, die impften und versuchten, die Bevölkerung zu belehren und zu überzeugen. Doch auch das fruchtete bei den Tiroler nicht. <BR /><BR />So verlangten die Bayern für den Volksschulbesuch einen Impfnachweis. Auch Stipendien und Armenfonds wurden an Impfnachweise gebunden. Es wurde eine systematische Ausgrenzung der Impfverweigerer versucht. Das schürte die Widerstände nur noch weiter. „1807 weisen die Sterbebücher des Pfarrgebiets von St. Leonhard in Passeier von Februar bis Juni den Tod von 60 jungen Menschen, vorwiegend Kinder, aus“, erzählt Pixner. „Insgesamt sind in diesem Zeitraum 100 Menschen gestorben.“<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="679190_image" /></div> <BR />In einer Aufzeichnung schildert der St. Leonharder Pfarrer Ambach 1813, dass ihm ein Fenster im Widum eingeschlagen worden sei und Menschenkot, ein hölzerner Säbel und ein Zettel hineingeworfen worden seien. Auf dem Zettel stand: „Hier ist der Stoff zum Impfen. Für das Rekrutieren wollen wir dir den Lohn geben, wie dem Pfaff ender dem Joch ist gegeben worden. Du Impfpfarrer. Fuchsenpfarrer.“ Die Erwähnung des Geschlechts der Grafen von Fuchs sollte vermutlich auf die Obrigkeitshörigkeit des Pfarrers hinweisen.<BR /><BR />„Die Einberufung zum Militär, der Angriff auf christliche Bräuche und die Impfpflicht haben den Aufstand gegen die Bayern sehr stark angefacht“, resümiert Pixner. Dabei waren die Erfolge der Impfung deutlich erkennbar. Anfang des 19. Jahrhunderts waren 90 Prozent der Pockentoten unter 10 Jahre alt, 1860 waren es nur mehr 50 Prozent. Das Pockenvirus hatte sich auf die ungeimpften Erwachsenen verlagert. Wie Andreas Hofer zur Pockenimpfung stand, ist nicht überliefert.<BR /><BR />Ab 1814 war Tirol wieder bei Österreich. Alle Vorschriften zur Eindämmung der Pandemie wurden übernommen – ebenso erfolglos. „Mütter sind mit ihren Kindern vor den Beamten in den Wald geflüchtet, um sie vor der Impfung zu bewahren“, weiß Albin Pixner. Die Pockenausbrüche kamen wellenartig immer wieder. 1875 war mit 1142 Toten ein Höhepunkt der Pocken-Epidemie erreicht. Um 1900 waren die Pocken in Tirol dann endgültig ausgerottet.