<b>von Nouriel Roubini</b><BR /><BR />Im November letzten Jahres prognostizierte ich, dass Israel wahrscheinlich die iranischen Atom- und sonstigen Militäreinrichtungen angreifen und sogar so weit gehen würde, die „militärische und politische Führungsspitze des Regimes“ zu eliminieren. Ich argumentierte auch, dass „jede US-Regierung dies unweigerlich weiter unterstützen [würde], entweder direkt oder indirekt“.<BR /><BR />Ungeachtet der tiefen Meinungsverschiedenheiten innerhalb Israels über die Kriegsführung im Gazastreifen herrschte im gesamten politischen Spektrum Israels – einschließlich der Kritiker von Premierminister Benjamin Netanjahu aus der linken Mitte – ein breiter Konsens, dass der Iran kurz davorstehe, eine Atomwaffe zu entwickeln, was als existenzielle Bedrohung für Israel angesehen wurde. Wenn überhaupt, dann kritisierten gemäßigte Politiker der Mitte wie Benny Gantz und Yair Lapid Netanjahu dafür, dass er gegenüber dem Iran nachsichtig sei.<h3> Der Moment des israelischen Angriffs</h3>Es war nur eine Frage der Zeit, bis Israel den Iran angreifen würde, der seit dem 7. Oktober 2023 die Hamas, die Hisbollah, die jemenitischen Huthis und die schiitischen Milizen in Syrien und im Irak gegen Israel von der Leine gelassen hatte. <BR /><BR />Nachdem Israel diese Stellvertreter-Organisationen dezimiert und der Iran seine strategische Abschreckung verloren hatte, blieb dem Iran nur noch die Möglichkeit, sich Atomwaffen zu beschaffen – ein für Israel und den Westen im Allgemeinen inakzeptables Ergebnis. Daher der Angriff Israels auf den Iran. <BR /><BR />Und da einige der gehärteten iranischen Atomanlagen robust genug waren, um israelischen Waffen zu widerstehen, war – trotz der anti-interventionistischen Stimmung von Präsident Donald Trumps Basis – klar, dass die USA eingreifen würden, um die Anlagen zu zerstören.<h3>Irans militärische Antwort – und ihre Begrenztheit</h3>Der Iran hat Israel im Gegenzug mit Raketen beschossen und bedroht nun die US-Streitkräfte in der Region. Doch ist das Regime derart geschwächt, dass es sich kaum verteidigen, geschweige denn seine begrenzten Waffen gegen die US-Streitkräfte einsetzen kann. Zwar könnten einige schiitische Milizen versuchen, die gut verteidigten US-Basen und -Truppen in der Region anzugreifen. Doch selbst abgesehen von der Gefahr noch heftigerer Gegenschläge seitens der USA und Israels: Der Schaden, den sie anrichten können, ist begrenzt.<BR /><BR />Blockadegefahr am Golf: Geringe Handlungsspielräume<BR />Auch die Fähigkeit und Bereitschaft des iranischen Regimes, die Straße von Hormus zu blockieren, den Persischen Golf zu verminen und/oder die Energieerzeugungsanlagen und Pipelines seiner arabischen Nachbarn anzugreifen, ist jetzt begrenzt. Das Regime konzentriert sich auf sein Überleben, aber sein Zusammenbruch in den kommenden Monaten ist wahrscheinlich.<BR /><BR />Opposition im Iran und das Ende eines Regimes<BR />Zwar hat der Angriff Israels vorerst dazu geführt, dass sich sogar die regimefeindliche Opposition um die Flagge gescharrt hat. Mit der Zeit jedoch wird sich eine große Mehrheit der Iraner, die das Regime, das den wirtschaftlichen und finanziellen Ruin – und nun auch den geopolitischen und militärischen Zusammenbruch – des Landes herbeigeführt hat, verachten, erheben und das Regime durch etwas anderes ersetzen. Im Jahr 1990 war das BIP pro Kopf Irans fast so hoch wie das Israels; heute ist Israels BIP pro Kopf fast fünfzehn Mal so hoch. Die Energiereserven Irans können mit denen Saudi-Arabiens mithalten oder übertreffen sie sogar. Dennoch hat das Land in den letzten fünf Jahrzehnten in einem aussichtslosen Krieg gegen den Westen Hunderte Milliarden Dollar an potenziellen Energieeinnahmen verloren.<BR /><BR />Ein Land am wirtschaftlichen Abgrund<BR />Heute sehen sich die Iraner mit einer explodierenden Inflation, kollabierenden Realeinkommen, Massenarmut und sogar Hunger konfrontiert, und zwar nicht wegen der Sanktionen der USA und des Westens, sondern wegen der unsinnigen Politik ihrer Machthaber. Ein Land, das reicher hätte sein können als jeder andere Ölstaat am Golf, steht aufgrund der Korruption, Inkompetenz und strategischen Unbesonnenheit des Regimes kurz vor dem Bankrott.<BR /><BR />Irans destruktive Rolle im Nahen Osten<BR />Die Islamische Republik ist nicht nur ein Fluch für ihr eigenes Volk, sondern finanziert auch seit Jahrzehnten terroristische Gruppen im Nahen Osten und hat in der gesamten Region gescheiterte oder scheiternde Staaten hervorgebracht: im Jemen, im Libanon, in Syrien, in Gaza/Palästina und im Irak. Die Stabilisierung und Erholung scheiternder und gescheiterter Staaten im Nahen Osten erfordert jetzt einen Regimewechsel im Iran. Das iranische Volk – und nicht äußere Kräfte – wird ihn im nächsten Jahr herbeiführen. Die Iraner haben sich in den letzten Jahrzehnten mindestens ein halbes Dutzend Mal gegen ihr Regime aufgelehnt, und wenn sie die Chance hatten, haben sie sich immer für gemäßigte Führer statt für theokratische Eiferer entschieden.<BR /><BR />Geringe globale Folgen für die Finanzmärkte<BR />Im Moment gehen die Finanzmärkte richtigerweise davon aus, dass die globalen Auswirkungen dieses jüngsten Krieges minimal sein dürften. Die aktuelle Entwicklung der Ölpreise, US-amerikanischer und globaler Aktien, US-amerikanischer und globaler Anleiherenditen sowie der Wechselkurse deutet darauf hin, dass ein durch eine schwerwiegende Unterbrechung der Produktion und der Energieexporte aus dem Persischen Golf bedingter größerer Stagflationsschock nur ein Restrisiko und nicht das Basisszenario darstellt.<BR /><BR />Warum diesmal kein Ölpreisschock wie in den 1970ern droht<BR />Der Jom-Kippur-Krieg 1973 und die Islamische Revolution im Iran 1979 führten zu einem massiven Anstieg der Ölpreise, der die schweren Stagflationen von 1974–75 und 1980–82 auslöste. Diesmal dürfte es aus vielen Gründen anders sein: Der Energieaufwand für Konsum und Produktion in den ölimportierenden Volkswirtschaften ist viel geringer als in den 1970er Jahren, die USA und andere wichtige neue Energieproduzenten außerhalb der OPEC sind auf den Plan getreten, und Saudi-Arabien und andere können auf große überschüssige Produktionskapazitäten und Lagerbestände zurückgreifen.<BR /><BR />Politische Unterstützung und Hoffnung auf Wandel<BR />Und falls die Ölpreise steigen, weil die Beteiligung der USA an diesem Krieg neue Risiken mit sich bringt, können eine Reihe von gesamtwirtschaftlichen Maßnahmen und anderen Instrumenten eingesetzt werden, um die stagflationären Auswirkungen zu verringern.<BR /><BR />Ein nuklearer Iran wäre nicht nur für Israel eine Bedrohung gewesen, sondern für alle sunnitischen Regime im Nahen Osten sowie für das nahe gelegene Europa und letztlich auch für die USA. Bundeskanzler Friedrich Merz hat ausgesprochen, was viele andere führende Politiker der Welt denken, aber nicht öffentlich zugeben wollen: „Israel macht die Drecksarbeit für uns alle.“ Selbst China und Russland – Irans faktische Verbündete – haben sich zurückhaltend gezeigt.<BR /><BR />Ausblick: Regimewechsel als Chance für Frieden<BR />Radikale Kräfte haben den Nahen Osten jahrzehntelang destabilisiert, was sich über Terrorismus, Staatszerfall und Massenmigration auch auf Europa und den Westen ausgewirkt hat. Es bedurfte nun Israels, um die schiitischen Radikalen und ihre Stellvertreter-Organisationen zu schwächen und dann zu vernichten.<BR /><BR />Es ist zu hoffen, dass der Zusammenbruch des iranischen Regimes die Stabilität fördern und einen Wiederaufbau in der Region ermöglichen wird, der mit einer Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien einhergeht. Eine neue Regierung in Israel, die dem Frieden mit den Palästinensern und einer möglichen Zwei-Staaten-Lösung aufgeschlossener gegenübersteht, wird dann möglich sein. Doch dazu muss die iranische Hydra durch ein rationales Regime ersetzt werden, das sich der internationalen Gemeinschaft wieder anschließen will, statt sie zu attackieren.<BR /><b><BR />Zum Autor</b><BR />Nouriel Roubini ist leitender Berater bei Hudson Bay Capital Management LP und Professor emeritus an der Stern School of Business der New York University. Er ist Verfasser mehrerer Bücher, darunter zuletzt Megathreats: 10 Bedrohungen unserer Zukunft – und wie wir sie überleben (Ariston, 2022).