Den Tante-Emma-Laden von Josef und Elisabeth Alpögger kennt jeder hier im Dorf St. Anton/Pflersch. Warum der kleine Laden besser sein soll als die großen Ketten? „Zum Beispiel, weil unser Geschäft im Ortskern ist und nicht irgendwo am Rand in die Wiese gebaut wurde. Und weil wir ein sozialer Treffpunkt sind“, sagt Josef Alpögger. Tagtäglich steht er gemeinsam mit seiner Frau Elisabeth ab 8 Uhr hinter der Wurst- und Käsetheke, belegt Brötchen, räumt Getränke und Lebensmittel in die Regale ein oder empfiehlt Touristen schöne Wanderwege. So auch am 5. August 2022. <BR /><BR />Rückblick: Es war ein Freitag, ein schöner, sonniger Sommertag. „Gegen Mittag begann es leicht zu regnen“, erzählt Elisabeth, „und da wir in den Sommer- und Wintermonaten Zimmer mit Frühstück vermieten, erwarteten wir noch Gäste.“ Dann, kurz nach Eintreffen der Touristen, der extreme Wetterumschwung: „Der Regen wurde immer stärker – ein Wolkenbruch. Ich war im Laden, und plötzlich hörte ich es rauschen. Ich ging nach draußen und da kam schon das Wasser dahergeschossen!“<h3> „Es war einfach schrecklich“</h3>Schlamm, Geröll, Teile von Holzzäunen und große Steine wurden von den Wassermassen mit ins Tal gerissen. Vieles blieb in der Hauseinfahrt von Familie Alpögger liegen, noch mehr floss in ihren Keller, in den Holzschupfen und in ihr Haus. Josef Alpögger versuchte noch, einige Bretter vor die Haustür zu stellen, damit das Wasser nicht eindringt. Doch dann musste er alles stehen und liegen lassen und flüchten, so rasant kam die Mure auf ihn zu: „Ich rannte hinters Haus, so schnell ich konnte.“<BR /><BR />Frau Alpögger befand sich zu diesem Zeitpunkt noch im Laden. Als sie aus dem Fenster schaute und ihren Mann nicht mehr am Hauseingang stehen sah, ging sie vom Schlimmsten aus: „Ich dachte, mein Mann wäre von der Mure mitgerissen worden. Ich hatte Angst um ihn, es war einfach schrecklich. Ich schrie um Hilfe.“<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="863333_image" /></div> <BR /><BR />Nach einiger Zeit beruhigte sich die Lage. Die Mure kam vor dem Haus von Josef und Elisabeth Alpögger mitten auf der Straße zum Stehen. Dann, Stille – bis sich der Sirenenklang der vielen Feuerwehrautos näherte. <BR /><BR />Josef Alpögger kämpfte sich in der Zwischenzeit vom hinteren Teil des Hauses durch das Geröll ins Innere des Hauses. Der Flur im ersten Stock war voller Schlamm, mit den Schuhen blieb Alpögger immer wieder im grauen „Letten“ stecken. Dann stapfte er in den Tante-Emma-Laden; dort, wo seine Frau wohl nicht mehr mit ihm gerechnet hatte. <h3> „Stand unter Schock“</h3>Frau Alpögger war gerade dabei, einige nasse Zuckertüten vom Boden zu heben, als sie ihren Mann erblickte. „Ich war ungemein erleichtert, stand aber unter Schock und war sehr schwach und müde.“ Dennoch wagten die beiden einen Blick in die völlig zerstörte Küche und in die über 400 Jahre alte Zirbenstube, die sich neben dem Geschäft befinden. Ihnen blieb fast der Atem weg: „Unsere geliebte Stube, die im 16. Jahrhundert erbaut wurde, war fast genauso schwer beschädigt wie die Küche“, erzählt Frau Alpögger. <BR /><BR />Erst einige Zeit vor dem Murenabgang war die Stube, in der das Ehepaar ihren Gästen täglich das Frühstück mit hofeigenen Produkten, hausgemachten Kuchen und Marmeladen, sowie Honig aus eigener Imkerei servierte, fertig renoviert worden. „In diesem Moment war ich den Tränen nahe. Nun mussten wir wieder ganz von vorne beginnen.“ <BR />Doch zunächst brauchte Elisabeth Alpögger Ruhe. Einige Nachbarfrauen begleiteten die 74-Jährige in ihr Schlafzimmer im ersten Stock des Hauses. <h3> Die Sorge vor dem Sommer</h3>Josef Alpögger blieb bis 3 Uhr früh wach. „Ich weiß nicht, woher ich die Kraft nahm, so lange zu arbeiten. Ein deutscher Gast half mir, mit einem Eimer den Schlamm nach draußen zu transportieren. Ich verspürte keine Müdigkeit.“ Auch in den kommenden Tagen und Wochen gingen die Aufräumarbeiten auf Hochtouren weiter. Mehrere Freiwillige Feuerwehren, die Berufsfeuerwehr sowie die Wildbachverbauung beteiligten sich daran. Elisabeth Alpögger, die leidenschaftlich gerne kocht, musste mit einem Elektroherd in einem unbeschädigten Kellerabteil arbeiten. Auf diesem bereitete sie viele Tage lang nicht nur für ihren Mann das Essen zu, sondern auch für die vielen Helfer und Touristen. „Am Tag nach dem Murenabgang habe ich meinen Gästen noch Frühstück gemacht und Kaffee gekocht“, erinnert sie sich heute.<BR /><BR />Fast ein halbes Jahr ist es nun her, dass der Murenabgang St. Anton in Innerpflersch verwüstete – und der nächste Sommer steht schon bald vor der Tür. <BR /><BR />Die Angst vor einem erneuten Unwetter steht Frau Alpögger ins Gesicht geschrieben. „Ich versuche, sie zu beruhigen, dennoch weiß ich: Wir leben hier in einer gefährdeten Zone; die Talsohle ist eng, links und rechts gehen die Berge hinauf. Geröll ist hier massenweise vorhanden“, so Josef Alpögger, der nächstes Jahr 80 wird. Er und seine Frau haben Respekt vor der Natur, die sie umgibt, nicht nur vor ihrer Schönheit, sondern auch vor ihrer gewaltigen Kraft und Intensität. „Wenn sich die Wolken zusammenziehen, bekomme ich es mit der Angst zu tun“, gibt Elisabeth Alpögger zu. „Und wenn es hagelt, zünde ich einen Weihrauch an und bete – so, wie es meine Mutter immer getan hat.“ <BR />Die beiden hoffen, dass im Gebiet bald etwas getan wird, wie sie sagen. „Die Menschen müssen geschützt werden. Wir wollen hier leben und weiter unserer Arbeit nachgehen.“ <BR /><BR />Ob Frau Alpögger an Gerechtigkeit auf Erden glaubt? Kurze Stille, dann antwortet sie, während sie nach der Hand ihres Mannes greift: „Nein. Aber an Zusammenhalt. Das hat uns Südtiroler schon immer geprägt.“<BR />