<h3> Die Pfarrkirche von Terlan</h3>Wer durch das Etschtal fährt, sieht ihn schon von Weitem: den hoch aufragenden Kirchturm von Terlan. Rund 75 Meter ragt er in den Himmel. Doch die Geschichte dieses Turms verläuft nicht ganz gerade. Und das im wörtlichsten Sinne.<BR /><BR />Die Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt selbst ist ein Juwel spätmittelalterlicher Baukunst. Im 14. Jahrhundert errichtet, mit Fresken ausgestattet, die als die umfangreichsten auf dem Land in ganz Südtirol gelten – geschaffen vermutlich vom Bozner Maler Hans Stockinger um das Jahr 1400. Dass sie überhaupt noch zu sehen sind, ist ein Glücksfall: Denn sie wurden um 1880 übermalt – und erst Jahrzehnte später, zwischen 1950 und 1971, in mühevoller Kleinarbeit gereinigt und restauriert.<BR /><BR />Die Kirche selbst erzählt bereits von einer bewegten Vergangenheit – doch es sind drei Besonderheiten des Terlaner Kirchturms, die eine nähere Betrachtung verdienen.<BR /><BR /><h3> Kuriosum 1: Der schiefe Turm von Terlan – eine Verbeugung vor der Tugend?</h3>Er gehört zu den höchsten Kirchtürmen Südtirols – und war doch einst alles andere als gerade. Über die Jahrhunderte hinweg neigte sich der spätgotische Turm der Pfarrkirche immer weiter, bis er im Jahr 1884 abgetragen werden musste. Mit originalen, durchnummerierten Sandsteinquadern wurde er zwischen 1891 und 1893 originalgetreu wieder aufgebaut. Doch selbst der Neubau fand seinen Halt nicht – der Turm neigte sich erneut. Die letzte größere Sanierung fand 1996 statt.<BR /><BR />Warum? Eine volkstümliche Sage liefert eine ebenso poetische wie augenzwinkernde Erklärung. Demnach war der Turm jahrhundertelang stummer Beobachter des Dorfgeschehens. Die Spatzen auf seinen Simsen zwitscherten ihm täglich den neuesten Klatsch. Doch eines Tages betrat eine junge Frau die Kirche – Cenz, schön, rein und von beeindruckender Tugend. Beim Anblick der jungen Frau soll sich der Turm aus reiner Ehrfurcht geneigt haben. Und blieb so – in tiefer Verbeugung.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1168986_image" /></div> <BR /><BR />Bis heute, so sagt man, wartet der Kirchturm auf eine zweite Cenz. Doch auch wenn viele junge Frauen es versuchen – irgendwo trägt jede „a Häkle“, ein kleines Geheimnis, das den Turm nicht zur Aufrichtung bringt und dafür sorgte, dass er per Hand abgetragen werden musste.<BR /><BR /><h3> Kuriosum 2: Die Kugel auf dem Turm – eine Zeitkapsel aus Glauben und Überraschungen</h3>Es war eine der überraschendsten Entdeckungen im Rahmen der Restaurierungsarbeiten am Turm: Im Sommer 1995 wurde die vergoldete Kupferkugel an der Spitze abgenommen. Was man fand, war weit mehr als ein architektonisches Bauteil – es war ein verschlossener Schatz, eine Chronik aus Jahrhunderten.<BR /><BR />Die Kugel, etwa 85 Zentimeter groß, war beschädigt, mit Grünspan überzogen – und wies Einschusslöcher auf. Offenbar war sie im Lauf der Geschichte Zielscheibe für Schützen gewesen, sei es aus Übermut oder im Rahmen einer merkwürdigen Tradition. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1168989_image" /></div> <BR />Sechs Behälter kamen zum Vorschein: vier aus verlötetem Blech, zwei aus Glas. Die älteste Schachtel stammte aus dem Jahr 1698 – und enthielt eine faszinierende Sammlung religiöser und magischer Objekte. Darunter: Wachsfiguren, Weihrauch, heiliges Öl, ein gefaltetes Papier mit Schutzkreuz, Amulette, lateinische Segenssprüche.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1168992_image" /></div> <BR /><BR />Diese Gegenstände sollten Unheil abwenden – vor allem Blitzeinschläge, die früher eine reale Bedrohung für hohe Türme darstellten. Doch auch gegen Dämonen, Verwünschungen und das Böse schlechthin sollten sie helfen. Die Kugel wurde so zu einem Bollwerk des Glaubens – und ein Stück weit auch des Aberglaubens.<BR /><BR />Unter den Fundstücken: ein Kupferkreuz, ein sogenanntes „Englisches Kreuz“ und sogar ein Stück Palmenrinde – als Erinnerung an den Baum, unter dem die Heilige Familie laut Legende auf ihrer Flucht nach Ägypten rastete.<BR /><BR />Auch das Weltliche fand Platz: Zeitungsausschnitte aus dem Jahr 1894 – etwa aus der „Reichspost“, dem „Burggräfler“ und der „Brixner Chronik“. Sogar ein Zeitungsausschnitt aus dem Nachlass der Terlaner Wirtschafterin Maria Furgler war darunter.<BR /><BR /><h3> Kuriosum 3: Der Papst, der kam, bevor es jemand wusste</h3>Am 9. August 2004 betrat ein Mann die Pfarrkirche von Terlan, der wenige Monate später weltberühmt werden sollte. Josef Kardinal Ratzinger, Präfekt der Glaubenskongregation, machte während seines Sommerurlaubs in Brixen einen Abstecher ins Etschtal.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1168995_image" /></div> <BR /><BR />Begleitet von seinem Bruder Georg wurde der hohe Gast in Terlan empfangen – nicht etwa von Kamerateams oder Menschenmengen, sondern von einer kleinen, würdigen Delegation: dem damaligen Bürgermeister Josef Platter, Dekan Josef Weiss, Baron Carl von Eyrl, Schützenhauptmann Sigmar Stocker, Alexander von Egen und anderen Honoratioren.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1168998_image" /></div> <BR /><BR />Ratzinger zeigte sich als ruhiger, wacher Geist, der sich für jedes Detail interessierte. Der damalige Diözesankonservator Karl Gruber führte ihn persönlich durch die Kirche und erklärte die kunsthistorisch bedeutenden Fresken. Es war kein Besuch aus Höflichkeit – es war ein echtes, ehrliches Interesse.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1169001_image" /></div> <BR /><BR />Nach der Führung ging es weiter ins Widum – zu Diskussionen über Glauben und Geschichte. Und auch der weltliche Genuss kam nicht zu kurz: Der berühmte Terlaner Wein wurde verkostet und für gut befunden.<BR /><BR />Als sich Ratzinger ins Goldene Buch der Gemeinde eintrug, ahnte niemand, welche Bedeutung diese Unterschrift bald haben würde.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1169004_image" /></div> <BR /> Am 19. April 2005 wurde er zum Papst gewählt – als Benedikt XVI. Und so wurde aus einem scheinbar unspektakulären Dorfbesuch ein geschichtsträchtiger Moment.