Warum die Bundesrepublik Deutschland sich nicht in die Südtirol-Frage einmischen wollte, weshalb die Verhandlungen zwischen Italien und Österreich zum Stillstand kamen, welche Unstimmigkeiten es in der SVP gab, die 19er-Kommission und wie es zur Wende in der italienischen Südtirolpolitik kam.<BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Deutschland</b><BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="651101_image" /></div> <BR />Zwischen Deutschland und Südtirol hat es immer besondere Beziehungen gegeben. In den Jahren bis <b>1945</b> war die Südtirolfrage in vielfacher Weise auch eine deutsche Angelegenheit. Danach spielte Deutschland offiziell keine Rolle mehr. Für die <b>1949</b> gegründete Bundesrepublik war Italien allemal wichtiger als Österreich oder gar Südtirol. <BR /><BR />Bundeskanzler <b>Konrad Adenauer</b> benötigte für die Durchsetzung seiner Politik (Westintegration, NATO-Beitritt, EWG etc.) die Unterstützung Italiens. Um das Verhältnis zu Italien nicht zu belasten, sollte es daher peinlichst vermieden werden, sich in den Streit um Südtirol einzumischen. <b>Ende 1953</b> stellte er daher „in kategorischer Form“ öffentlich klar, dass Südtirol ein Problem sei, das „Deutschland nicht berührt“. Das betraf gleichermaßen auch Österreich. Mit anderen Worten: „Strikte Neutralität, absolute Nichteinmischung.“ Diese Sprachregelung galt auch für die folgenden Jahre.<BR /><BR /><BR />Das italienische Misstrauen wurde dennoch nie wirklich beseitigt. Mit Argusaugen verfolgte Rom jede Südtirolaktion in der Bundesrepublik. Warum das so war, macht eine Aufzeichnung des italienischen Außenministeriums vom <b>April 1958</b> deutlich. Da heißt es u.a.: „Wenn wir es nur mit den Fremdstämmigen oder auch nur mit den Fremdstämmigen plus den Österreichern zu tun hätten, brauchten wir uns keine Sorgen zu machen. Aber leider sehen die Dinge anders aus. Hinter den Fremdstämmigen und den Österreichern steht die Macht von 50 Millionen Deutschen der BRD.“<BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="651104_image" /></div> <BR />Ganz so falsch war das nicht. Das offiziell bekundete öffentliche Desinteresse Bonns an der Südtirolfrage änderte nämlich nichts an der Tatsache, dass Südtirol für viele Deutsche einen besonderen Stellenwert hatte. Ihnen erschien das Land südlich des Brenner als „urdeutsches, manchen als das deutscheste aller deutschen Länder“, wie das der Ministerialdirektor im Bonner Auswärtigen Amt und spätere Bundestagspräsident <b>Karl Carstens</b> im <b>April 1959</b> einmal gegenüber dem österreichischen Botschafter <b>Josef Schöner</b> formulierte.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="651107_image" /></div> <BR />Im Auswärtigen Amt wurde klargestellt: „Die Zurückhaltung der Bundesregierung bedeutet nicht ein mangelndes menschliches Interesse an dem Schicksal der Südtiroler.“ Bonn fühlte sich den Südtirolern mit Blick auf die NS-Zeit „moralisch zur Wiedergutmachung verpflichtet. Der heutige bildungspolitische Rückstand der deutschsprachigen Volksgruppe in Südtirol“, so hieß es, „hängt untrennbar mit der Politik des Dritten Reiches zusammen“. Bonn zahlte denn auch viele Millionen DM, „verdeckt“, als „Zuwendungen für kulturelle Zwecke“.<BR /><BR /><BR />Es gab allerdings Politiker, die auch öffentlich aus ihrer persönlichen Sympathie für Südtirol kein Hehl machten und sich als Anwälte Südtirols betrachteten. Und es gab s<b>eit Anfang der sechziger Jahre</b> jene Verdächtigungen der Italiener, wonach deutsche Stellen in irgendeiner Weise doch an den Terroranschlägen in Südtirol beteiligt waren.<BR />Die <b>„Feuernacht“</b> war so etwas wie der Lackmustest. Wenige Tage nach den Attentaten war Bundesinnenminister <b>Gerhard Schröder</b> in Rom und besuchte auch seinen Kollegen <b>Mario Scelba</b>. Der sprach die Terroraktionen spontan an, äußerte seine Besorgnis über die Entwicklung in Südtirol und deutete an, er verfüge über Beweismaterial, wonach eine Verbindung zwischen den Terroristen und gewissen Kreisen in der Bundesrepublik bestehe. Schröder verhielt sich, wie es hieß, „rezeptiv“.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="651110_image" /></div> <BR /><BR /><b>Mitte Juli1961</b> wurde Adenauer in Berlin auf das Thema angesprochen. Der wiederholte, was er früher schon mehrmals gesagt hatte, dass die Bundesrepublik sowohl mit Österreich als auch mit Italien befreundet sei und nur hoffe, dass der Streit bald beigelegt werden könne.<BR />Das Auswärtige Amt beobachtete die Entwicklung nach der „Feuernacht“ mit wachsendem Unbehagen. Man befürchtete eine Verschlechterung der Beziehungen zu Italien, zumal Bonn von der italienischen Presse direkt angegriffen wurde.<BR />Offiziell konnte Rom Bonn nicht anklagen; es besaß keinerlei Beweise für eine Mittäterschaft oder Finanzierung – außer Zeitzündern „Made in Germany“.<BR /><BR /><BR />Und dann geschah das, was man in Bonn schon lange befürchtet hatte: <b>Anfang September 1961</b> waren bei neuen Anschlägen mit Brandbomben in Rom, Trient, Verona und Rovereto 3 deutsche Staatsangehörige beteiligt. Und die Nachrichtenagentur upi meldete, dass die römische Staatsanwaltschaft das Hauptquartier der anti-italienischen Terroristen in Köln vermute. In Bonn war man empört und sprach von einer von kommunistischer Seite verbreiteten Zweckmeldung.<BR /><BR /><BR />In der Debatte vor der UNO im <b>Oktober 1960</b> hatten die Italiener noch beim Thema Terrorakte allein auf die österreichische Verantwortung hingewisen, zumal das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln die Anschuldigungen Scelbas, wonach sich Ausbildungslager der Terroristen neben Österreich auch in Deutschland, speziell in Bayern, befänden, nicht bestätigt hatten.<BR /><BR /><BR />Als in den folgenden Jahren die Terroranschläge immer brutaler wurden, wurden auch die Anschuldigungen der italienischen Presse immer schärfer. Haupttenor: Der Terrorismus erhalte materielle Unterstützung durch neonazistische Gruppen in Deutschland.<BR /><BR /><BR /><b>Österreich</b><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="651113_image" /></div> <BR /><BR />Zunächst nach Wien, zur Bundesregierung. Alles, was aus Wien kam, war totale Distanzierung. Am späten Abend des <b>12. Juni 1961</b> – Montag –, am Tag nach der „Feuernacht“, rief Außenminister <b>Bruno Kreisky</b> aus Deutschland den Generalsekretär des Außenministeriums, <b>Martin Fuchs</b>, in dessen Wohnung an und, so dessen Tagebucheintrag,<BR />„beklagt sich, dass auch wir ihn über die Anschläge in Südtirol nicht informiert hätten. Ich erwidere, dass auch wir nur durch Zeitungsmeldungen informiert seien. Er verurteilt diese Anschläge schärfstens und ersucht mich, bei Waldbrunner [SPÖ Minister] und Gorbach [ÖVP-Bundeskanzler] zu erwirken, dass der Ministerrat morgen sich sehr entschieden von dieser neuen Terrorwelle distanziert.“<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="651116_image" /></div> <BR /><BR />In der entsprechenden Erklärung des Ministerrates hieß es dann, der Ministerrat habe festgestellt, „dass die Bundesregierung Anschläge und Gewaltakte, wo und von welcher Seite immer sie verübt werden mögen, als Mittel des politischen Kampfes schärfsten verurteilt“.<BR />Zu der durch die Attentate entstandenen Situation meinte Kreisky: „Man hat aber erfahren, dass in allen Staaten der Terror dem österreichischen Ansehen und der Südtirolfrage ungeheuren Schaden zugefügt habe.“<BR /><BR /><BR />Er wiederholte das am <b>27. Juli</b> in Zürich, wo es mit SVP-Obmann <b>Silvius Magnago</b> (der für Autonomie war) und <b>Peter Brugger</b> (Mitglied der SVP-Landesleitung, für Selbstbestimmung und gegen Autonomie) zu einer grundsätzlichen Aussprache über das weitere Vorgehen kam. Kreisky wies dabei darauf hin, dass sich die Lage für Österreich nach den Attentaten „wesentlich verschlechtert“ habe.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="651119_image" /></div> <BR /><BR />Bevor Magnago Stellung nehmen konnte, stellte Brugger 3 Fragen, deren Beantwortung, wie er meinte, „für die bevorstehenden Auseinandersetzungen innerhalb der SVP von wesentlicher Bedeutung sei“. Als erstes wollte er wissen, ob die österreichische Bundesregierung eine Forderung der Südtiroler nach Gewährung des Selbstbestimmungsrechtes unterstützen werde. Kreiskys Antwort: „Nein.“<BR /><BR /><BR />Brugger: „Besteht Aussicht, dass ein dritter Staat das Selbstbestimmungsrecht für Südtirol vertreten wird?“ Kreisky verneinte erneut, mit der Begründung, dass sämtliche UNO-Mitgliedstaaten Minderheitenprobleme hätten und daher nicht gewillt seien, für das Selbstbestimmungsrecht der Minderheiten einzutreten. <BR /><BR />Dann wollte Brugger wissen, ob Sicherheitserwägungen die Westmächte zu einer Unterstützung des Südtiroler Petits veranlassen würden. Die Südtiroler Bevölkerung sei „als dezidiert antikommunistisch bekannt und würde daher für den Westen einen wesentlichen Sicherheitsfaktor gegen den Osten darstellen“. Kreisky: „Dieses Argument ist bereits in der Vergangenheit gebracht worden, zeitigte jedoch keinerlei Erfolg.“<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="651122_image" /></div> <BR />Dann kam Magnagos Part. Auf seine Frage, ob die österreichische Position in der UNO durch die Sprengstoffattentate geschwächt worden sei bzw. schlechter sei als im vergangenen Jahr, erwiderte Kreisky, er sei davon überzeugt, dass die Situation wegen der Attentate schlechter sei als im vergangenen Jahr. Magnago stellte daraufhin fest, dass „die Attentatswelle auch den Südtirolern großen Schaden verursacht habe, und zwar sowohl wirtschaftlichen als auch politischen Schaden. Insofern nämlich, als die Existenz der Partei in Gefahr gebracht wurde.“<BR /><BR /><BR />Kreisky sprach sich dann für eine Annahme des Angebotes Scelbas aus (19er-Kommission), obwohl er sehr deutlich erkannte, was noch dahintersteckte: Die von italienischer Seite gewünschte Aussetzung des internationalen Weges als Gegenleistung für direkte Verhandlungen mit den Südtirolern „berge die Gefahr in sich, Österreich auszuschalten und direkte Verhandlungen als Niederlage Österreichs herzustellen. Dies sei zweifellos der Wunsch Scelbas“. Kreisky nannte das „Doppelspiel“. <BR /><BR />Genauso kam es dann auch. Es gab überhaupt keine Gespräche mehr zwischen Österreich und Italien. Die Italiener verwiesen jedes Mal auf die 19er-Kommission. Und die schleppte sich Monat für Monat dahin, immer am Rande der Auflösung. In einer Südtirol-Besprechung am <b>10. September 1963</b> wies Kreisky ziemlich frustriert darauf hin, dass sich Italien seit 2 Jahren weigere, mit Österreich zu verhandeln, und dabei „stellt sich die Frage, wie lange kann sich Österreich das gefallen lassen?“<BR /><BR /><BR />Immerhin hatte es ja noch <b>Ende Juni 1961</b> das Ministertreffen zwischen Kreisky und seinem italienischen Kollegen <b>Antonio Segni</b> in Zürich gegeben. Die neu zugänglichen, ausführlichen Tagebuchaufzeichnungen von Martin Fuchs, Generalsekretär im Außenministerium in Wien, sind in unserem Zusammenhang besonders interessant und aufschlussreich. Sie geben Antwort auf so manche Frage. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="651125_image" /></div> <BR /><BR />Am <b>12. Juni</b> notierte er in sein Tagebuch:<BR />„Jedenfalls dürften jetzt alle Aussichten geschwunden sein, auf dem Verhandlungsweg irgendeinen Kompromiss zu erzielen. [...] Er [Kreisky] verurteilt diese Anschläge schärfstens und drängt darauf, dass sich der Ministerrat sehr entschieden von dieser neuen Terrorwelle distanziert.“<BR /><BR /><BR />Und am nächsten Tag notierte er:<BR />„Offenbar will die italienische Regierung die Anschläge nicht dazu benutzen, um die Verhandlungen abzubrechen, was das Hauptziel der Terroristen ist.“<BR /><BR /><BR />Auf der Seite der von Fuchs so genannten Terroristen standen offensichtlich auch die „Radikalen“: Univ.-Prof. <b>Franz Gschnitzer</b>, bis <b>Frühjahr 1961</b> Staatssekretär im Außenministerium, Univ.-Prof. <b>Felix Ermacora</b> und <b>Johannes Dengler</b> vom Außenministerium. Sie waren Mitglieder der österreichischen Expertendelegation, die in Zürich die neue Verhandlungsrunde der Minister vorbereiten sollte. Diese Besprechungen verliefen in freundlich-sachlicher Atmosphäre; die Italiener erwähnten die Bombenanschläge kein einziges Mal und zeigten nach Meinung <b>Kurt Waldheims</b>, politischer Direktor im Außenministerium und Leiter der österreichischen Delegation, „weitgehende Bereitschaft [...] zur Übertragung von Befugnissen von der Region auf die Provinz“. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="651128_image" /></div> <BR /><BR />Die Tiroler hatten allerdings einen vorbereiteten Ministerratsvortrag für Kreisky vorgelegt, den Waldheim unterschreiben sollte. Darin waren die Expertengespräche als gescheitert bezeichnet worden („völlig unzureichend und unannehmbar“), noch bevor sie begonnen hatten!! Waldheim verweigerte denn auch die Unterschrift, wie er später Fuchs berichtete. <BR /><BR />Der notierte:<BR />„Es wird immer deutlicher, dass die Nordtiroler und Südtiroler Radikalen alles tun, um das Scheitern der zweiseitigen Verhandlungen zu beschleunigen und um wieder auf die internationale Ebene zu kommen (am liebsten wieder vor die [UNO-]Generalversammlung ).“ <BR />Das Treffen in Zürich war ergebnislos abgebrochen worden. Fuchs notierte, was Waldheim ihm später erzählte: „Nord- und Südtiroler seien vollkommen unnachgiebig gewesen und hätten Kreisky unter Druck gesetzt.“ Die setzten es auch durch, dass Wien am <b>18. Juli</b> beantragte, das Thema Südtirol erneut auf die Tagesordnung der UNO Vollversammlung zu setzen.<BR /><BR /><BR />Die UNO half diesmal nicht. Es gab keine große Südtiroldebatte. Man erhielt eine Wiederholung der Resolution aus dem <b>Jahr 1960</b>. Mehr nicht. Ein Gespräch mit Italien gab es nicht mehr.<BR />Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die ersten Südtirolprozesse, die der sozialistische Justizminister <b>Christian Broda</b> in jedem Fall durchführen wollte – gegen den erklärten Willen der Tiroler Landesregierung. Am Ende gab es einen Prozess, mehr nicht.<BR /><BR /><BR /><BR />Italien<BR /><BR /><BR />Dort war Innenminister Mario Scelba, Hardliner aus Sizilien, in erster Linie für Südtirol zuständig. Er verfolgte eine Politik von „Zuckerbrot und Peitsche“, wobei schon bald erkennbar wurde, dass auch das Zuckerbrot ziemlich versalzen war.<BR /><BR /><BR />Die „Peitsche“ war die Verwandlung Südtirols in ein Heerlager mit all den damit zusammenhängenden Aktionen. Das „Zuckerbrot“ war das Angebot an die SVP zum inneritalienischen Gespräch über die Südtirolfrage. Eine paritätische Kommission sollte sich mit der Frage Südtirol beschäftigen.<BR /><BR /><BR />Als Bedingung verlangte Scelba, dass die SVP für die Dauer der Gespräche den internationalen Weg „suspendiere“. Das war die Geburtsstunde der später so genannten 19er-Kommission. Nach eigener, späterer Aussage war er bei dieser Entscheidung im Ministerrat auf harten Widerstand gestoßen. Nach außen musste eine solche Entscheidung den Eindruck erwecken, als ob Rom dieses Angebot als Reaktion auf die Attentate gemacht hatte. Dabei war etwas anderes mitentscheidend, nämlich der Beschluss der österreichischen Bundesregierung – auf Druck der (Süd-) Tiroler –, die Südtirolfrage erneut vor die UNO zu bringen. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="651131_image" /></div> <BR /><BR />Eine ähnliche Debatte wie ein Jahr zuvor vor der UNO wäre für Italien besonders unangenehm gewesen. Würde eine Debatte kommen, so wollte Rom jetzt auf eigene Großzügigkeit gegenüber der Minderheit im Lande verweisen können, und dazu sollte diese Kommission dienen. Italiens ehemaliger UNO-Botschafter und seit <b>Anfang Juli 1961</b> Botschafter in Wien, <b>Enrico Martino</b>, hatte genau das am <b>19. Juli</b> Staatssekretär Russo empfohlen, einen Tag nach dem österreichischen UNO-Antrag. Er sprach von „unserer Entschlossenheit, direkt mit den Südtirolern zu verhandeln“, um damit die Situation in der UNO „zu unseren Gunsten zu beeinflussen“. <BR /><BR /><BR />Für einige Hardliner in Tirol, die mit Südtirol etwas ganz anderes im Sinn hatten, war das zwar eine furchtbare Vorstellung, aber so kam es. Von Scelba war dies ein außerordentlich geschickter Schachzug. Was Rom mit der Kommission tatsächlich wollte, machte der italienische Vertreter in New York deutlich: als Argument für eine möglichst ruhige und kurze Debatte vor der UNO: „Die Atmosphäre für die Scelba- Kommission und für bilaterale Kontakte sollte nicht gestört werden.“ Als Begründung dienten die Attentate.<BR /><BR /><BR />In New York „schlachteten“ die Italiener die 19er-Kommission denn auch weidlich aus, wie Magnago das in einer späteren Sitzung der SVP-Parteileitung formulierte. Das „friedliche Mittel“, das sich einige von der UNO erhofft hatten, hatte man nicht erreicht, „weil die 19. Kommission da war“, wie Magnago meinte. Wenige Tage zuvor hatte er klargemacht, wo man möglicherweise landen würde, wenn keine Einigung in der Kommission erzielt werde. Dann „stehen wir vor dem Nichts“. Und am Ende des Jahres machte Martino gegenüber Generalsekretär Fuchs deutlich, dass die Kommission „eine rein interne italienische Angelegenheit sei, die auch mit dem Gruberde Gasperi-Abkommen nichts zu tun habe. Sie sei eine Studienkommission, die ein Problem des italienischen Staates zu prüfen habe, Südtirol sei kein österreichisch-italienisches Kondominium.“ <BR /><BR />Und in Rom machte Scelba gegenüber Kreisky und <b>Gorbach</b> deutlich, warum die Kommission zu keinen Ergebnissen gekommen sei: Die öffentliche Meinung stehe jetzt noch unter dem Eindruck der Attentate und würde ein Entgegenkommen als Nachgiebigkeit gegenüber der Gewalt empfinden. Würden sich die Südtiroler aus der Kommission zurückziehen, könnte man sie als gescheitert ansehen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="651134_image" /></div> <BR />Für <b>Viktoria Stadlmayer</b>, die Leiterin des Referates S der Tiroler Landesregierung , Gegnerin jeglicher Autonomie und vehemente Befürworterin der Selbstbestimmung – war die Kommission und ihre positive Aufnahme in Südtirol „kein Erfolg der Bombenpolitik, sondern ein Sieg Italiens“. Große Erwartungen an die Kommission hatte sie nicht, denn, so schrieb sie in einem vertraulichen Memorandum an ihren Dienstherrn, Landeshauptmann <b>Hans Tschiggfrey:</b><BR />„Es handelt sich also zur Zeit eigentlich nur um die Frage, wie faul der Kompromiss sein wird, zu dem es in der Kommission kommen wird, wenn Südtirol nicht das Odium eines leichtfertigen Abbruchs auf sich nehmen will. [...] Wir sind heute in eine Sackgasse geraten, aus der ein Ausweg nur schwer zu finden ist.“<BR /><BR /><BR />Und weiter:<BR />„Wenn also im Frühjahr eine neue Welle von größeren Anschlägen einsetzen sollte, so hieße dies nicht, einen Misserfolg in einen Erfolg umwandeln, sondern eine Niederlage endgültig zu besiegeln [...] Es kann also nur mit allem Ernst vor Wiederaufnahme eines solchen Vorgehens gewarnt werden.“<BR /><BR /><BR />Mögliche neue Anschläge bezeichnete sie als „verheerend für unser weiteres Vorgehen“. Es gab bekanntlich weitere Anschläge und am Ende 33 Tote.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="651137_image" /></div> Die Wende in der italienischen Südtirolpolitik gab es nicht mit den <b>Attentaten 1961</b>, sondern mit der Bildung der ersten Mitte-links-Regierung unter <b>Aldo Moro</b> und <b>Giuseppe Saragat</b> im <b>Dezember 1963.</b> Beide Politiker hatten ein vollständig anderes Verständnis für die Südtiroler. Saragat damals zu Kreisky: „Keine andere italienische Regierung wird mehr als die derzeitige bereit sein, das Südtirolproblem durch entsprechend große Konzessionen, die bei weitem über das Pariser Abkommen hinausgehen, zu bereinigen.“ <b>Ende 1964</b> hatten beide eine Lösung gefunden, die die Tiroler dann allerdings ablehnten. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="651140_image" /></div> <BR />O. Univ.-Prof. Dr. <a href="https://www.rolfsteininger.at/" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Rolf Steininger</a> war von 1984 bis zu seiner Emeritierung 2010 Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck <BR /><BR /><BR /><b>Lesetipp:</b><BR /><BR /><b>Rolf Steininger</b>, Toni Ebner 1918-1981. Südtiroler Politiker, Journalist, Unternehmer. Eine politische Biographie, Bozen 2018.<BR /><BR /><b>Rolf Steininger</b>, Südtirol. Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, Innsbruck 2020. <BR /><BR /><b>Rolf Steininger</b>, Die Feuernacht – und was dann? Südtirol und die Bomben 1959–1969, Sonderdruck zur „Dolomiten“- Ausgabe Nr. 132 vom 10. Juni 2011; 97 Seiten<BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />