Die Bremsspuren auf dem kargen Wiesenboden sind längst zugewachsen. Das Blut ist versickert, genauso wie die Trä<?TrVer> nen, die Roman Harrasser an diesem steilen Hang unweit des Leitlerhofs in Rodeneck geweint hat. „Es waren nicht Taschentücher, es waren Kübel voll“, sagt der 27-Jährige, während er auf der 1500 Meter hoch gelegenen Wiese steht und den Blick über die umliegenden Gipfel schweifen lässt. Sie alle sind stille Zeugen jenes grausamen Schicksals hier, das dem damals 14-jährigen Roman mit ei<?TrVer> nem Schlag seine unbeschwerte Jugend geraubt hat. „Ich musste plötzlich mit etwas klarkommen, das keinem Bub in dem Alter widerfahren sollte“, erinnert er sich traurig zurück an den 31. Juli 2010. <BR /><BR /><h3> Der Tag, der alles veränderte</h3>Es war ein warmer Sommertag. Roman, der „Nachzügler“, der mit seinen Eltern und den drei älteren Geschwistern Bernhard, Norbert und Bettina auf dem Leitlerhof lebte, werkelte gerade in der Scheune, als ihn die Schocknachricht erreichte. Sein Bruder Norbert, damals 25, war auf dem Heimweg mit einem Transporter umgekippt. <BR /><BR />„Die Unglücksstelle befand sich hier auf der Wiese oberhalb des Hofes. Sofort eilten wir zu ihm. Im gleichen Moment trafen auch Notarzthubschrauber, Feuerwehr und Rettungskräfte ein“, erinnert sich Roman noch an jedes Detail. Als man Norbert unter dem Transporter herausbrachte, war er ansprechbar. „Nori sagte, dass er auf einem Auge nichts sehe und die Brust schmerze, ansonsten gehe es ihm gut.“ Es sollten seine letzten Worte sein. <BR /><BR />Wahrhaben konnte Roman das lange nicht. Denn eigentlich war sein großer Bruder in der Nacht nach dem Unfall im Bozner Krankenhaus noch erfolgreich operiert worden. „Mein Onkel, mein Bruder und ich warteten bis Mitternacht, als die Eltern endlich die erlösende Nachricht übermittelten, dass Norbert über den Berg sei. Voller Freude gingen wir zu Bett und wollten am nächsten Morgen sofort zu ihm fahren.“ <BR />Der nächste Morgen kam, aber Romans Bruder war fort. Norbert starb in den frühen Morgenstunden mit jungen 25 Jahren – und mit ihm ein Teil von Familie Harrasser. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="903713_image" /></div> <BR /><BR />„Mein Vater bekam starke Depressionen, und auch andere Faktoren spielten eine Rolle. Er wollte unsere Heimat verkaufen und irgendwo anders hinziehen“, erinnert sich Roman zurück an die harte Zeit. Alles schien surreal. Genauso wenig wie seine Familie, wusste auch der 14-Jährige nicht, wie umgehen mit dem Verlust – mit der Leere und Stille im Haus, im Herzen, überall. Doch die Uhr tickte weiter, auf ei<?TrVer> nen Tag folgte irgendwie der nächste. „Es gab keine Stopp-Tas<?TrVer> te, auch wenn ich sie noch so sehr gebraucht hätte“, weiß er und fragte sich tausende Male nach dem „Warum“.<BR /><BR />Eine Antwort fand er bis heute nicht. Aber er erlangte irgendwann die Gewissheit, dass sein Leben weitergehen und er einen Weg zum Glücklichsein finden musste. „Nicht nur für mich, sondern auch für meine Familie und vor allem für meinen verstorbenen Bruder. Nori hätte immer gewollt, dass wir glücklich sind und all die Dinge machen, für die er keine Zeit mehr hatte – mit Freude und Zuversicht.“<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="903716_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><h3> Kraft aus dem familiären Zusammenhalt geschöpft</h3>Heute erinnert nicht nur Norberts Kleidung in Romans Schrank, sein Foto in dessen Geldtasche und ein Holzkreuz am Unfallort an den verstorbenen Bruder. Das „betreute Wohnen“ etwa, mit dem Fa<?TrVer> milie Harrasser aktuell sieben Menschen ein Zuhause gibt, sei ebenfalls indirekt auf Norbert zurückzuführen. <BR /><BR />„Nach seinem Tod brauchten wir eine Einnahmequelle, damit Tata den Hof nicht verkauft. Als er die Idee für diesen Nebenerwerb vorschlug, waren wir sofort einverstanden“, erzählt Roman vom oft mühsamen 24-Stunden-Job, für den alle zusammenhelfen müssen. Mama kocht und wascht, Bruder Bernhard beschäftigt und betreut die Beeinträchtigten, Suchtkranken oder Ex-Häftlinge, und Schwester Bettina, die Ärztin in Brixen ist, umsorgt sie medizinisch. Nesthäkchen Roman kümmert sich indes, unterstützt von Bruder Bernhard, um die Holz- und Landwirtschaft des steilen Gehöfts. Das Schicksal hat die Familie zusammengeschweißt. So konnte sich der Jüngste auch nie vorstellen, fortzuziehen. „Ich wäre zwar gern Mechaniker geworden, doch ich hatte kein Glück mit meinen Lehrmeistern. So habe ich mich für die Fachschule für Landwirtschaft entschieden, auch weil ich dort viel mehr Freizeit hatte, um daheim mitzuhelfen.“<BR /><BR /><h3> „Nori“ in Herz und Ohr behalten</h3>Angst vor der gefährlichen Arbeit im steilen Gelände hat er nicht. „Respekt ist da, aber so etwas kann überall passieren. Noris Unfallstelle war auch gar nicht so gefährlich“, zeigt er auf die Wiese neben dem Wetterkreuz. Auch knapp 13 Jahre nach Norberts Tod vergeht kein Tag, an dem er nicht an ihn denkt, von ihm erzählt. Doch mittlerweile nicht mehr nur mit Tränen in den Augen, sondern mit einem Lä<?TrVer> cheln im Gesicht. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="903719_image" /></div> <BR /><BR />Die Musik hat ihn nach vielen Jahren des Rückzugs beseelt und mit seinem Schicksal Frieden schließen lassen. Denn bei seinen täglichen Spaziergängen zum Unfallort hatte er fast immer Klang im Ohr. Rock, Pop, das Lied „Mein Bruder“ von den „Alpenfrieden Buam“ oder Songs von Zucchero, die Norbert in seiner Zeit als Zimmermann in Norditalien gerne hörte – all diese Melodien halfen dem jun<?TrVer> gen Burschen, die Trauer zuzulassen. Sie waren gedanklich wie kurze Besuchszeiten im Himmel und entführten Roman in eine kleine, heile Welt mit seinem geliebten Bruder. „Obschon ich bei der Musik immer weinen musste, fand ich durch die Melodien langsam wieder die Kraft, mein Leben in die Hand zu nehmen.“ Und seine Gitarre. Wann immer er zwischen Feld, Hof und Wald Zeit findet, spielt und singt der Jungbauer. „Bis jetzt habe ich nur meinen Kü<?TrVer> hen die Ohren vollgeträllert. Sie geben aber immer weniger Milch, und so möchte ich künftig lieber außerhalb des Stalls Musik ma<?TrVer> chen“, witzelt er und meint es gleichzeitig durchaus ernst. Sein Wunsch? Ein Album auf den Markt zu bringen – mit eigenen Songs, die Norbert gewidmet sind und von dessen Charakter und seiner Lebenseinstellung erzählen. Eini<?TrVer> ge Texte stehen bereits.<BR /><BR /><h3> Die Suche nach Musikern und Produzenten</h3>„Es geht mir aber nicht nur darum, Nori musikalisch zu verewigen. Ich möchte mit diesen Songs auch Menschen berühren und jenen ei<?TrVer> ne Stütze und Hilfe sein, die sich mit einem ähnlichen Schicksal auseinandersetzen müssen oder mit sich selbst zu kämpfen haben“, umreißt der 27-Jährige sein Vorhaben. Das eigene Schicksal soll dafür eine Mutmach-Geschichte sein, die aufzeigt, dass alles irgendwann seinen Sinn ergebe.<BR /><BR />Gleichzeitig soll das Album auch wachrütteln. „Egal, wie schwer es gerade ist, und wie hart es noch sein wird: Alles wird wieder irgendwann gut, vielleicht nicht so, wie es war, aber anders und besonders. Denn am Ende geht es darum, dass man selbst glücklich ist“, spricht die Erfahrung aus dem Musiker. Dann setzt sich Roman auf die Wiese, schaut gen Himmel und spielt ein paar Takte auf seiner Klampfe. Damit diese aber nicht nur sein Bruder da oben hört, sucht Roman nach Gleichgesinnten aus der Musikbranche, die ihm helfen können, seinen Herzenswunsch zu erfüllen. „Leute, die mit mir proben, komponieren oder ein Musikvideo produzieren können“, beschreibt Roman. Große Eile hat der Autodidakt damit zwar nicht, dennoch möchte er die Idee nicht mehr allzu lange auf die lange Bank schieben. <?Uni SchriftWeite="97ru"> Denn wenn ihn das Schicksal seines Bruders eines gelehrt hat, dann die Tatsache, dass jeder Tag der letzte sein könnte …<?_Uni> <BR /><I><Symbol_Hinweis> </Symbol_Hinweis><BR />Wer Roman unterstützen möchte: harrasser.roman@gmail.com</I>