<b>Ihr Buch behandelt 2 Jahrhunderte aus fast 2 Jahrtausenden Papstgeschichte: Warum haben Sie sich für diesen geschichtlichen Abschnitt ab 1800 entschieden?</b><BR />Jörg Ernesti: 1799 wurde Pius VI. nach Frankreich entführt und von den Revolutionären als „Pius VI. der Letzte“ verspottet. Viele Menschen glaubten damals, dass das Papsttum am Ende sei. Die Wahl eines Nachfolgers im Jahr 1800 war ein echter Neustart. <BR /><BR /><b>Welche Entwicklung hat das Papstamt in dieser Zeit erlebt?</b><BR />Ernesti: Nach dem Untergang des alten Kirchenstaates, der etwa so groß wie die Niederlande war, konnten die Päpste sich stärker auf ihre Rolle als Führer einer internationalen Religionsgemeinschaft konzentrieren. Die modernen Päpste reisen um die Welt und sind in den Medien stark präsent. Bis auf eine Ausnahme waren alle vor ihrer Wahl engagierte Bischöfe.<BR /><b><BR />Wenn Sie 3 herausragende Päpste hervorheben müssten: Welche wären es?</b><BR />Ernesti: Es fällt mir wirklich schwer, unter den 16 Päpsten eine Auswahl zu treffen. Die Kirche hat in diesem Zeitraum eine Reihe herausragender Persönlichkeiten an ihrer Spitze erlebt, wie es das in der Geschichte selten gegeben hat. Vielleicht Leo XIII., Benedikt XV. und Johannes Paul II.<BR /><BR /><b>Und warum diese 3? </b><BR />Ernesti: Leo ist der Begründer der modernen vatikanischen Außenpolitik. Seit seiner Wahl im Jahr 1878 treten die Päpste immer wieder als Vermittler in internationalen Konflikten auf. Benedikt XV. hat alles versucht, um den Ersten Weltkrieg zu beenden. Johannes Paul II. hat einen entscheidenden Beitrag zum Fall des Eisernen Vorhangs geleistet. Und er ist der Papst der Weltjugendtage.<BR /><BR /><b>Und welche Päpste werden eher nicht bleibend in die Geschichte eingehen?</b><BR />Ernesti: Bis zum Jahr 1800 wurden vielfach ältere und gebrechliche Männer in das Amt gewählt. Das ist heute einfach nicht mehr vorgesehen. Man erwartet von einem Pontifex, dass er eine charismatische Persönlichkeit ist.<BR /><BR /><b>Welcher Papst beeindruckt Sie persönlich?</b><BR />Ernesti: Paul VI. Seine Biografie hat mich in katholischen Kreisen bekannt gemacht. Sie ist übrigens in dem kleinen Arbeitszimmer im Pfarrhaus von St. Andrä entstanden, wo ich damals Pfarrer war.<BR /><BR /><b>Der Urlaub von Benedikt XVI. im Jahr 2008 in Brixen ist vielen in Erinnerung: Welche Südtirol-Bezüge gibt es sonst noch in den vergangenen 200 Jahren?</b><BR />Ernesti: Ich denke besonders an die enge Verbundenheit des Brixner Bischofs Vinzenz Gasser und Pius IX. Beeindruckend zu lesen sind die Eingaben von Bischof Geislers in der Optionsfrage. Schließlich sei die Neugründung des Bistums Bozen-Brixen unter Bischof Joseph Gargitter vor 60 Jahren erwähnt.<BR /><BR /><b>Welche Bedeutung hat „unser“ Benedikt XVI. in der Geschichte der Päpste?</b><BR />Ernesti: Nach dem zweitlängsten Pontifikat der Papstgeschichte war er ein Mann des Übergangs, der das Erbe seines Vorgängers weitergeführt hat. Er selbst hat sich nach seiner Wahl als „Umile lavoratore nella vigna del Signore“ vorgestellt. Zugleich war er ein echter „Theologenpapst“.<BR /><BR /><b>Die Ära von Papst Franziskus geht wohl zu Ende. Was wird von seinem Pontifikat bleiben? </b><BR />Ernesti: Viele Menschen hat seine persönliche Bescheidenheit und Unkompliziertheit beeindruckt. Hier ist er wohl ganz ein Erbe des liebenswürdigen Johannes XXIII. Übrigens waren die letzten Päpste persönlich alle sehr anspruchslos. Nach meinem Eindruck wird vor allem die Synodalität. bleiben. So zieht er nicht alle Kompetenzen nach Rom, sondern stärkt die Ortskirchen in der Welt. Es wurde kaum beachtet, dass er auch die Stellung der Frauen im Vatikan gestärkt hat. In Zukunft können Frauen eine römische Zentralbehörde leiten. Er selbst hat eine Frau zur Generalsekretärin des Vatikanstaates und eine andere zur Leiterin der Vatikanischen Museen gemacht.<BR /><BR /><b>Mit Blick auf diese spannenden 200 Jahre: Geht es mit der Kirche aufwärts, abwärts, im Grunde immer gleich weiter?</b><BR />Ernesti: Im Jahr 1800 gab es nur etwa 100 Millionen Katholiken, heute sind es 1,4 Milliarden. Allein in der Regierungszeit von Papst Franziskus ist die katholische Kirche um 150 Millionen Mitglieder gewachsen. Das vergisst man leicht, wenn man auf den deutschen Sprachraum schaut, wo die Katholikenzahl stark zurückgeht. Gesamtkirchlich verschieben sich die Gewichte. Die Wahl eines Südamerikaners zum Papst ist also kein Betriebsunfall der Papstgeschichte. Vielleicht kommt schon der nächste Papst aus Afrika, wo die Kirche derzeit am stärksten wächst?<h3> Ein Blick ins Buch: Randnotizen und Anekdoten über Päpste</h3><b>Pius XI.: „Wer gute Arbeit leistet“</b><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1061475_image" /></div> <BR />Pius XI. war der größte päpstliche Bauherr der letzten 200 Jahre. Nach der Gründung des Vatikan-Staates im Jahr 1929 gab er etwa eine Pinakothek, ein Regierungsgebäude und eine Radiostation in Auftrag. Er rechtfertigte sich, dass er immer demselben Architekten (Giuseppe Momo) den Zuschlag gab: „Wenn du eine gründliche und gute Arbeit willst, gib sie jemandem, der schon viel Arbeit hat. Wer zu arbeiten gewöhnt ist, findet immer die Zeit. Der Faulenzer dagegen weiß nicht einmal, wie er anfangen soll.“<BR /><BR /><b>Paul VI.: Eine dreifache Premiere</b><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1061478_image" /></div> <BR />Als Paul VI. im Jänner 1964 ins Heilige Land reiste, war das gleich eine dreifache Premiere: Kein einziger Nachfolger Petri war in das Land der Bibel zurückgekehrt. Noch nie hatte ein Papst ein Flugzeug bestiegen. Und seit über 150 Jahren hatte kein Pontifex Italien verlassen.<BR /><BR /><b>Johannes Paul II.: Der Papst auf der Piste und Sorgenkind der Leibwächter</b><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1061481_image" /></div> <BR />Schon in jungen Jahren war Karol Wojtyila sehr sportlich, er spielte u.a. Fußball. Auch als Papst Johannes Paul II. wollte er nicht auf Sport verzichten, sodass Journalisten ihm schon bald den Spitznamen „Atleta di Dio“ gaben. Wenn er zum Skifahren in den Gran Sasso aufbrach, dann war das kein Vergnügen für seine Leibwächter, denn der Papst fuhr ihnen einfach davon. Auf der Piste war er kaum wiederzufinden, denn er trug weiße Kleidung. Mehr als 100 Mal soll er heimlich den Vatikan verlassen haben, um Ski zu fahren. <h3> Zum Autor</h3>Jörg Ernesti, 1966 in Paderborn geboren, wurde 1993 zum Priester geweiht; er promovierte 1997 in Kirchengeschichte in Rom und 2007 in Ökumenischer Theologie in Paderborn; 2003 Habilitation in Mainz; seit 2007 Professor für Kirchengeschichte an der Phil.-Theol. Hochschule Brixen; seit 2013 Professor für Mittlere und Neue Kirchengeschichte an der Universität Augsburg.<BR /><BR />Jörg Ernesti, Geschichte der Päpste seit 1800. 576 Seiten, Verlag Herder 2024, ca. 42 Euro. <BR /><BR />Zu bestellen auch bei <a href="https://www.athesiabuch.it/" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">www.athesiabuch.it</a><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1061484_image" /></div>