<b>Mit den eigenen Gefühlen umzugehen, fällt selbst Erwachsenen schwer. Was bedeutet es für Kinder, wenn Wut, Scham oder Angst aufkommen?</b><BR />Heike Torggler: Emotionen sind wie Wellen. Für kleinere Kinder sind es Naturgewalten. Mit welcher Wucht diese Emotionen über die Kinder kommen, sehen wir zum Beispiel, wenn sich ein Kind auf den Boden wirft, womöglich schreit und strampelt, weil es etwas nicht bekommt. Jüngere Kinder brauchen die Begleitung von uns Erwachsenen, also Halt, Schutz, Trost, manchmal auch Grenzen. Wenn Kinder dann älter werden, lernen sie, Gefühle selbst zu regulieren und schauen sich das von uns Großen ab. Sie lernen aber auch, welche Emotionen in der Familie erwünscht sind, welche hingegen weniger, und wie sie diese unterdrücken bzw. verstecken, um negative Reaktionen zu vermeiden.<BR /><BR /><b>Was können Eltern tun, um zu vermeiden, dass ihre Kinder die eigenen Gefühle wegsperren und später darunter leiden?</b><BR />Torggler: Je öfter Kinder und Jugendliche Raum für ihre Emotionen bekommen, umso leichter lernen sie, diese zu regulieren. Wenn wir versuchen, sie wegzuschieben, oder die Kinder nur schnell ablenken, dann gelingt das nicht. Wichtig ist, seinem Kind zu signalisieren, dass es mit seiner Emotion angenommen wird. Viel hängt auch damit zusammen, wie die Eltern selbst mit ihren Emotionen umgehen, was sie in der Hinsicht also vorleben.<BR /><BR /><b>Müssen Schüler heute mit anderen Emotionen oder Stresssituationen umgehen als früher?</b><BR />Torggler: Es zeigt sich in Studien, dass das Stresserleben gestiegen ist. Das gilt nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern auch für Erwachsene. Was ich in meiner Arbeit oft erlebe: Stress und Leistungsdruck machen einem Großteil der Schüler zu schaffen. Dazu gehört auch Mobbing, das vor allem in der Mittelschule steigt, weil im Jugendalter die Empathie nicht sehr ausgeprägt ist. Gerade zu dieser Zeit wäre es deshalb wichtig, das Einfühlungsvermögen zu stärken und den offenen Austausch über eigene Gefühle zu fördern. <BR /><BR /><b>Geben Südtirols Schulen den Kindern und Jugendlichen diesen Raum?</b><BR />Torggler: Es gibt sehr engagierte Lehrerinnen, die sich die Zeit nehmen, die Kinder und Jugendlichen jeden Tag auf der emotionalen Ebene zu begleiten. Es gibt auch sehr viele tolle Projekte in einem Großteil der Schulen zu Achtsamkeit, Stressmanagement, Teamgeist oder Initiativen, in denen die Persönlichkeitsentwicklung und Kooperation besonderen Raum bekommt. Auch reformpädagogische Konzepte, wie Montessori, Waldorf und so weiter, legen besonderen Wert auf ein gutes Miteinander und begleiten die Kinder im selbstorganisierten Lernen, was meist mit mehr Lernfreude einhergeht. Trotzdem kommt diese Ebene aus meiner Sicht insgesamt noch viel zu kurz. <BR /><BR /><b>Was sollten Schulen in dieser Hinsicht besser machen?</b><BR />Torggler: Ein erster Schritt wäre sicherlich, solche Sitzkreise einzuführen, wie im Film „Il cerchio“, der beim Bozner Filmfestival prämiert wurde, oder eine Stunde in der Woche für mentale Gesundheit. Mein größter Wunsch wäre es, dass Schule sich in einen Ort verwandelt, in dem sich Schüler wohlfühlen. Im Moment ist Schule ein angst- und stressbesetzter Ort für viele Kinder und Jugendliche.<BR /><b><BR />Wirklich?</b><BR />Torggler: Ich halte seit über 15 Jahren Workshops an Südtirols Mittel- und Oberschulen und erlaube mir diese Aussage, auch wenn in manchen Studien die Schule besser abschneidet. Aber die meisten Jugendlichen beschreiben, dass sie nicht gern in die Schule gehen, vor allem, weil sie dort Angst und Stress erleben. <BR /><BR /><b>Wie kann Schule zu einem Ort werden, in dem die jungen Menschen sich wohler fühlen?</b><BR />Torggler: Man könnte etwa den Leistungsdruck minimieren, wenn es möglich wäre, negativ bewertete Arbeiten zu überarbeiten und zu verbessern. Als großes Problem sehe ich auch die Art des Lernens. Die meisten Schüler lernen nur für die Schularbeiten und Prüfungen. Hängen bleibt vom Stoff aber wenig. Ich würde mir in den Sitzkreisen deshalb auch den Raum dafür wünschen, reflektieren zu dürfen: Was habe ich heute gelernt und wozu ist das im Leben gut oder wieso macht es Sinn? Wesentlich wäre zudem mehr Raum für Bewegung und Kreativität. Jeden Tag. Denn diese Aktivitäten bauen Stress ab und ermöglichen es, Emotionen auf andere Art zu zeigen, also nicht nur sprachlich, sondern mit dem ganzen Körper. Außerdem fällt mir an den Schulen immer wieder auf, dass Klassenräume eiskalt eingerichtet sind. Das ist kein Ort, wo man sich wohlfühlen kann. Die Klassen sollten den Raum so gestalten dürfen, wie sie es sich wünschen. Das würde die Schule ein bisschen mehr in einen Wohlfühlort verwandeln, wo die Schüler gerne lernen.