Noch immer spüre man die dramatischen Auswirkungen der Corona-Pandemie bzw. der damit verbundenen Lockdowns, erklärt Dr. Markus Markart, Pädiatrie-Primar von Brixen und Leiter des Netzwerks gegen Essstörungen.<BR /><BR />„Diese Zeit, in der unsere Kinder und Jugendlichen in einer Phase der Selbstfindung mit sich und den verschiedenen sozialen Medien allein gelassen wurden, zieht ihre Auswirkungen bis in die Gegenwart.“ <BR /><BR />Denn zum einen blieben die Jugendlichen oft weiter in ihrer medialen „Blase“ und bekämen noch immer entsprechende Online-Beiträge auf ihre Smartphones und Tablets. „Dem Algorithmus ist es egal, ob der Lockdown vorbei ist oder nicht. Der funktioniert immer gleich. Und einmal auf das Thema Perfekter Körper aufgesprungen, liefert das Internet laufend Nachschub.“<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="944869_image" /></div> <BR /><BR /><BR />Zum anderen ist eine ausgeprägte Essstörung keine „Kleinigkeit“; 2 bis 5 Jahre, so sagt der Experte brauche es, bis sich ein Patient davon befreie. „Und auch das schafft nur ungefähr die Hälfte der Patienten, bei einem Viertel läuft der Kalorienrechner für den Rest des Lebens immer irgendwie im Hinterkopf mit. Und das restliche Viertel schafft es nicht, sich davon zu befreien. Diese Jugendlichen haben schlechte Karten“, so Dr. Markart.<BR /><BR /> Von allen psychischen Erkrankungen im Jugendalter hat die Magersucht die höchste Todesrate. „10 Prozent der Patienten, zumeist sind es junge Mädchen, sterben daran“, weiß er. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="944872_image" /></div> <BR /><BR /><BR />2022 mussten insgesamt 613 Personen mit Essstörungen in Südtirol behandelt werden. Damit hat ihre Zahl in einem Jahr um 23 Prozent zugenommen. 208 dieser Patienten sind im vergangenen Jahr neu an einer Essstörung erkrankt – und auch diese Zahl hat zugenommen: Es sind dies 2022 genau 29 Neuerkrankungen mehr als noch 2021 (plus 16 Prozent). <BR /><BR />Über ein Drittel der Patienten mit Essstörungen betrifft die Altersgruppe bis 18 Jahre (235 Fälle, das entspricht einem Plus von gut über 50 Prozent!). 40 Patientinnen sind dabei jünger als 15 Jahre. <BR /><BR />Allein im vergangenen Jahr sind 114 Jugendliche (11 bis 18 Jahre) neu an einer Essstörung erkrankt, damit hat die Zahl der Neuerkrankungen in dieser Alterskategorie im Vergleich zu 2020 um 37 Prozent zugenommen. Fast die Hälfte der jugendlichen Patienten leidet dabei unter Magersucht. <BR />Immer wieder erreicht gerade die Magersucht ein lebensbedrohliches Ausmaß, Patientinnen müssen stationär aufgenommen werden, um die Wiederernährung zu beginnen. Auch diese Fälle haben seit 2019 – und erneut im vergangenen Jahr – massiv zugenommen, so dass die Plätze im eigens dafür vorgesehenen Referenzzentrum in Brixen nicht immer ausreich(t)en. <h3> Spitäler an Kapazitätsgrenze</h3>Insgesamt wurden 2022 genau 31 minderjährige Patientinnen stationär aufgenommen. 24 (22 mit Magersucht) davon wurden im Referenzzentrum untergebracht, wobei die Hälfte aufgrund von Kapazitätsproblemen zunächst in einer Pädiatrie-Abteilung der Krankenhäuser Bozen, Meran oder Bruneck aufgenommen werden mussten. Erst nach 3 bis 4 Wochen konnten sie dann nach Brixen „umziehen“. „2020 war dies nur bei 2 Patientinnen der Fall“, betont Dr. Markart. 7 der minderjährigen Mädchen wurden ausschließlich in anderen Abteilungen untergebracht, darunter in 4 Fällen in den Kinder- und Jugendpsychiatrien in Meran und Hall in Tirol. <BR /><BR />„Die Akut-Aufnahmen haben massiv zugenommen“, betont Dr. Markart. Von 2013 (dem ersten ganzen Kalenderjahr nach Eröffnung des Referenzzentrums) bis 2019 schwankten die Aufnahmen zwischen 10 und 17 Patientinnen. Seither sind die Zahlen kontinuierlich angestiegen und haben sich im Vergleich zu 2019 mehr als verdoppelt. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="944875_image" /></div> <BR /><BR />Im Erwachsenenalter sticht die jüngste Kategorie (19 bis 25 Jahre) mit 180 wegen Essstörungen behandelten Personen hervor. Insgesamt waren 56 Erwachsene im vergangenen Jahr in stationärer Behandlung (mehr als doppelt so viele wie noch im Jahr 2020), 26 in akut-stationärer. <BR />93 Prozent aller Patienten (Kinder, Jugendliche und Erwachsene zusammen genommen) sind dabei weiblich. <BR /><BR />Dass Essstörungen in einem derart ausgeprägten Maße Mädchen und Frauen betreffe, so Dr. Markart, sei auch ein gesellschaftliches Problem: „Wie oft bekommen Mädchen und Frauen Komplimente wegen ihres Aussehens und ihrer – schlanken – Figur. Das würde man jungen Männern nie sagen. Und so werden die Mädchen geradewegs auf ihr Aussehen fokussiert. Das sollten wir lassen“, mahnt er. Auch müsse es in unserer Gesellschaft allgemein weniger um Perfektionismus gehen.<BR />