Es gibt aber eine gute Nachricht: „Die Jugendkriminalität bei uns ist stabil bzw. sogar im Sinkflug“, sagt er. <BR /><BR /><b>Wie erklären Sie sich das, scheint doch eine allgemeine Verrohung der Umgangsformen zu grassieren...</b><BR />Baumgartner: Diese Aggressivität stelle ich vor allem in den Netzwerken fest: Fast ein jeder fühlt sich bemüßigt, einen bissigen Kommentar abzugeben, Neid und Missgunst scheinen weit verbreitet. Das liegt im Zeitgeist, eine Reaktion auf große gesellschaftliche Umwälzungen, die im digitalen und KI-Zeitalter unsere Sicherheiten ins Wanken bringen. Bei Bedrohungen reagieren Menschen oft mit Verrohung. Auch in Südtirol bleiben wir von diesen globalen Tendenzen nicht verschont.<BR /><b><BR />Und wie wirkt sich das auf die Jugendlichen aus?</b><BR />Baumgartner: Besonders sozial schwache Jugendliche fühlen sich an den Rand gedrängt, und manchmal verstärkt der Migrationshintergrund noch das Gefühl, ausgeschlossen zu sein und nicht dazuzugehören. Die Reaktion darauf kann eben Gewaltbereitschaft sein.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1100436_image" /></div> <b>Warum sinkt dann in Südtirol die Anzahl der Gewaltdelikte, für die Jugendliche verantwortlich sind?</b><BR />Baumgartner: Weil bei uns viel in Vorbeugung und in Begleitung der Täter investiert wird. Die Jugendarbeit, die Sport- und Freizeitvereine, Streetworking, Nachmittagsbetreuung, aber auch Praktika und andere Resozialisierungsmaßnahmen für straffällige Jugendliche, die aus dem Bildungsweg ausgeschert sind, tragen alle dazu bei, dass viele Jugendliche ihre Freizeit sinnvoll in betreuten Gruppen verbringen, und dass jene, die bereits straffällig geworden sind, einen Weg zurück in die Ausbildung oder Arbeitseingliederung finden.<BR /><BR /><b>Trotzdem hören wir immer wieder von Schlägereien zwischen Jugendbanden, z.B. im Meraner Raum oder in der Nähe von Einkaufszentren...</b><BR />Baumgartner: In Einkaufszentren ist immer viel los, und das zieht viele Jugendliche an. Aber das Hauptproblem ist, dass die körperlichen Energien eines pubertären Jugendlichen beim Herumlungern zwischen den stylischen Kleidergeschäften nicht wirklich gefordert und irgendwann abgeladen werden müssen. Hinzu kommt die Langeweile und die Gruppendynamik, sodass Scharmützel zwischen so genannten Jugendbanden aufkommen können. In Wirklichkeit handelt es sich zum Glück nicht um organisierte Banden wie in den großen Städten und den heruntergekommenen Vororten Italiens, sodass bei uns die Arbeit mit dem Einzelnen, der auffällig wird, meist gut funktioniert.<BR /><BR /><b>Wie kommt man an diese Jugendlichen heran, wenn sie zu Schule und Sozialbetrieben jeden Kontakt abgebrochen haben?</b><BR />Baumgartner: Zuerst muss man eine Beziehung zu ihnen aufbauen, ihnen zeigen, dass Erwachsene verlässlich und unterstützend, aber zugleich auch fordernd und mit klaren Grenzsetzungen für sie da sind. Dies machen vor allem die Erzieher auf der Straße, in Tageszentren und in pädagogischen Wohngemeinschaften. Ein bisschen muss dies auch der Jugendrichter machen, wenn die Minderjährigen vor ihm angeklagt sind. Dabei wird er von den Ehrenamtlichen Richtern (siehe oben) unterstützt, die im Familien-, Jugend-, psychologischen oder sozialen Bereich arbeiten und ihm helfen, einfühlsam und doch Respekt einflößend auf den Jugendlichen einzugehen.