<h3> Der Tag des Verbrechens: Was geschah am 7. August 1990?</h3>Simonetta Cesaroni, 20 Jahre alt, war Sekretärin bei der italienischen Jugend-Hoteliersvereinigung. An jenem Sommertag arbeitete sie im Büro in der Via Carlo Poma 2. Ihr letztes Lebenszeichen war ein Telefonat mit ihrer Kollegin um 17.30 Uhr. Eine Stunde später hätte sie wie vereinbart ihren Arbeitgeber Salvatore Volponi anrufen sollen – doch dieser Anruf blieb aus.<BR /><BR />Als sich Simonetta auch am Abend nicht mehr meldete, begannen ihre Angehörigen sich Sorgen zu machen. Gegen 21.30 Uhr machten sich ihre Schwester Paola, deren Lebensgefährte und Volponi auf den Weg zum Büro. Zusammen mit der Portiersfrau Anna Vanacore öffneten sie schließlich die Tür – und machten eine schreckliche Entdeckung.<BR /><BR />Simonetta lag blutüberströmt am Boden. Ihr Körper wies 29 Stichverletzungen und eine Bisswunde an der Brust auf. Sie war nackt, ihr BH und T-Shirt unter die Brust geschoben. Ihre Turnschuhe standen ordentlich neben der Tür, ihre Schlüssel blieben verschwunden.<BR /><BR />Das Verbrechen schockierte ganz Italien. In den folgenden Jahren wurden mehrere Männer angeklagt, aber letztlich alle freigesprochen – darunter Pietrino Vanacore (Hausmeister), Salvatore Volponi (Arbeitgeber), Federico Valle (Hausbewohner) und Renato Busco, der damalige Freund der jungen Frau. Nun – 12 Jahre nach der letzten richterlichen Entscheidung – bewegt sich der Fall erneut.<h3> Ein Fall voller Irrtümer, Pannen – und neuer Spuren</h3>Die Geschichte dieses Mordfalls ist geprägt von falschen Verdächtigungen, Ermittlungspannen und einem endlosen Prozessverlauf. Zwischen 1990 und 2014 wurden zahlreiche Verdächtige ins Visier genommen.<BR /><BR /> Der erste, auf den sich die Aufmerksamkeit der Staatsanwaltschaft richtete, war Pietrino Vanacore, einer der Hausmeister des Gebäudes in der Via Poma. Er wurde drei Tage nach dem Fund der Leiche verhaftet.<BR /><BR />Doch nur wenige Wochen später wurde Vanacore wieder freigelassen. Die Ermittler suchten sowohl im Umfeld der Freunde der getöteten Simonetta als auch in ihrem beruflichen Umfeld. <BR /><BR />Der zuständige Staatsanwalt Pietro Catalani beantragte nach einigen Monaten die Einstellung des Verfahrens gegen Salvatore Volponi, Simonettas Arbeitgeber. Am 26. April 1991 verfügte der zuständige Untersuchungsrichter die Einstellung der Verfahren gegen Pietrino Vanacore und fünf weitere Personen. Das Ermittlungsverfahren blieb gegen Unbekannt geöffnet.<BR /><BR />Ein knappes Jahr verging, bis am 3. April 1992 ein Ermittlungsverfahren gegen Federico Valle eingeleitet wurde. Er ist der Enkel des bekannten Architekten Cesare Valle, der in dem Gebäude in der Via Poma wohnte und Vanacore in der Mordnacht beherbergt hatte. Der Österreicher Roland Voller, ein Freund von Valles Mutter, brachte ihn ins Spiel: Seiner Aussage zufolge habe ihm die Mutter anvertraut, ihr Sohn sei an jenem Abend blutverschmiert nach Hause gekommen. Am 16. Juni 1993 sprach der Untersuchungsrichter Valle frei und stellte fest, dass Vanacore die Tat nicht begangen haben könne.<BR /><BR />Die Ermittlungen kamen daraufhin über Jahre hinweg zum Erliegen. Erst im September 2006 wurde neues forensisches Material untersucht – darunter Socken, Korsett, BH und Handtasche von Simonetta. Der Fall nahm erneut eine dramatische Wendung, als das RIS (die wissenschaftliche Spezialeinheit der Carabinieri) mit modernen Analysemethoden Spuren von Speichel auf Simonettas Kleidung fand. Diese konnten eindeutig ihrem Ex-Freund Renato Busco zugeordnet werden. Im September 2007 wurde Busco deshalb wegen vorsätzlichen Mordes offiziell als Beschuldigter registriert.<BR /><BR />Die Ermittler entnahmen zudem Buscos Zahnabdruck, um ihn mit dem Biss am Brustbereich des Opfers zu vergleichen, der anhand der Fotos der Obduktion von 1990 dokumentiert war. Die Zahnabdrücke passten zum gefundenen Abdruck, und sein DNA-Material wurde zusätzlich auf Simonettas Korsett und BH festgestellt. Am 3. Februar 2010 begann der Prozess gegen Busco – mit neuen dramatischen Entwicklungen: Am 9. März, kurz vor seiner geplanten Aussage, beging Pietrino Vanacore (der Hausmeister des Gebäudes in der Via Poma) Selbstmord.<BR /><BR />Busco wurde 2011 in erster Instanz zu 24 Jahren Haft verurteilt. Doch das Berufungsgericht hob das Urteil drei Jahre später auf. 2014 bestätigte schließlich das Kassationsgericht den Freispruch und wies den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Revision ab – die Entscheidung wurde rechtskräftig. Damit wurde die juristische Aufarbeitung des Mordes in der Via Poma praktisch auf null zurückgesetzt. Die Justizgeschichte dieses Falles muss seither neu geschrieben werden.<BR /><BR />In dem Buch „Anatomie eines Serienmörders - Marco Bergamo, die Geschichte des Bozner Monsters“ (erschienen im Athesia-Verlag) von Paolo Cagnan, Journalist und Schriftsteller, Mitherausgeber von Il mattino di Padova und drei weiteren Tageszeitungen in der Region Venetien, führte Cagnan im Jahr 2023 zehn Elemente auf, die die Hypothese stützen, dass Marco Bergamo, der Bozner Serienmörder, Simonetta Cesaroni getötet haben könnte. Bisher bleiben diese Elemente ohne Beweis. <a href="https://www.stol.it/artikel/chronik/cold-case-simonetta-cesaroni-warum-marco-bergamo-ihr-moerder-sein-koennte" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">(Hier lesen Sie mehr dazu)</a><h3>Neue Ermittlungen: Gibt es eine heiße Spur?</h3>Nun kommt erneut Bewegung in den Fall: Im Dezember 2024 hat die römische Ermittlungsrichterin Giulia Arcieri die Archivierung abgelehnt und umfangreiche neue Maßnahmen angeordnet. <BR /><BR />Darunter: moderne DNA-Analysen, eine detaillierte Überprüfung des Beweismaterials, sowie eine Liste mit 30 neuen oder bislang nicht gehörten Zeugen.<BR /><BR />Darunter befinden sich auch hochrangige Personen, wie etwa der damalige Polizeivizechef Carmine Belfiore oder der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Sergio Costa, Schwiegersohn des damaligen Polizeichefs Vincenzo Parisi.<h3> Geheime Akten, alte Spuren – und eine letzte Hoffnung</h3>Besonders brisant: In Ermittlerkreisen wird auch darüber spekuliert, ob in dem Büro, in dem Simonetta arbeitete, vertrauliche Dokumente aus Geheimdienstkreisen gelagert waren. Ein mögliches Tatmotiv? Bislang war dieser Aspekt kaum beleuchtet worden.<BR /><BR />Die große Frage bleibt: Lebt der Täter noch – und kann er 35 Jahre nach dem Mord zur Rechenschaft gezogen werden? Die neuen Untersuchungen geben zumindest Hoffnung auf Antworten.