Ein Meer aus unendlich vielen Punkten. Größere, kleinere, die einen rosa, andere lila, manche dunkelviolett. Was aussieht wie ein Kunstwerk, ist menschliches Gewebe. „Zu erkennen sind Zellkerne, Zellplasma und Magendrüsen. Alles getaucht in einen anderen Farbton“, erklärt Dr. Hanspeter, als ich vom Mikroskop hochblicke. „Wir suchen nach Hinweisen auf Krankheit.“ <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1191405_image" /></div> <BR />Dr. Hanspeter nimmt den Objektträger aus dem Mikroskop und schiebt ihn zurück in die braune Mappe. Die Pathologen agieren im Hintergrund, sind aber ein zentrales Glied in der medizinischen Diagnostik – unter dem Mikroskop entsteht die definitive Diagnose, der Schlüssel zur erfolgreichen Behandlung.<BR /><BR /> In der Pathologie finden neben der Untersuchung von Gewebeproben auch Untersuchungen von Körperflüssigkeiten statt, etwa zur Früherkennung des Gebärmutterhalskrebses (Pap- und HPV-Test, Anm. d. Red.). Als eines der ersten Pathologieinstitute in Italien verwendet jenes in Bozen die Künstliche Intelligenz zur Erstellung der Befunde.<h3> Ein Labor auf Höchstbetrieb</h3> Vorbei an Archiv und Annahme steigen Dr. Hanspeter und ich die Treppen hinauf in den zweiten Stock. Ein schwach beleuchteter Flur führt zum Labor. Die automatische Tür öffnet sich. Wir betreten einen Raum, in dem der Betrieb auf Hochtouren läuft. Mir sticht eine Pathologin ins Auge, selbstverständlich ganz in Weiß, die konzentriert Gewebeproben zurechtschneidet: OP-Präparate von Magen, Darm, Lunge und was sonst noch ansteht. Was ihr auffällt und für die Diagnose von Bedeutung ist, wird vermerkt. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1191408_image" /></div> <BR />Es ist Präzisionsarbeit gefragt, von uns stören lässt sich niemand. Auch die Labortechniker nicht, die die zurechtgeschnittenen Präparate einen Raum weiter in flüssiges Wachs einbetten – nach wenigen Sekunden erhärtet es. Aus dem Wachsblock werden hauchdünne Präparate von drei Mikrometern geschnitten, mit dem Pinsel abgestrichen, in das Wasserbad gegeben und mit einem Objektträger wieder herausgefischt. <BR /><BR /> „Nun wird die Probe gefärbt, dann kommt der fertige Objektträger unter das Mikroskop“, holt mich Dr. Hanspeter zurück aus meiner aufmerksamen Beobachtung.<h3> Hinunter in den Totentrakt</h3> Das wohl Schaurigste liegt noch vor uns. Dr. Hanspeter und ich verlassen das Labor und gehen die Treppen hinunter in den untersten Stock: zum Totentrakt. In mir steigt ein mulmiges Gefühl auf. Was mich dort wohl erwartet? Hier lässt sich der Eingang nur mit der Schlüsselkarte öffnen. Hinter der schweren Tür ein dunkler, leerer Gang. Das Labor war voll besetzt, hier ist niemand. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1191411_image" /></div> <BR />Wir treten in einen der leeren Räume ein. In der Mitte steht eine Eisenbank, wie man sie aus den Krimi-Filmen kennt. „Hierauf wird der leblose Körper abgelegt, dann die Autopsie durchgeführt“, sagt Dr. Hanspeter. Das mulmige Gefühl wird stärker. Mein Blick wandert durch den Raum und bleibt bei einer grünen Tafel stehen. In weißer Kreide sind Zahlen darauf geschrieben. Bei 50 ist Schluss. <h3> Heuer bislang 50 Autopsien</h3> „So viele Autopsien haben wir heuer bislang durchgeführt“, sagt Dr. Hanspeter. „Allerdings nur bei jenen Personen, die im Krankenhaus oder daheim gestorben sind.“ Sollte die Staatsanwaltschaft am leblosen Körper interessiert sein, reist ein Team von Gerichtsmedizinern an, meistens aus Verona. <BR /><BR />Neben dem Waschbecken am anderen Ende des Raums steht eine Waage, auf der die Organe gewogen werden. Bei einer Autopsie werden alle Körperorgane untersucht. So können die Todesursache und die Zusammenhänge des Krankheitsverlaufs festgestellt werden. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1191414_image" /></div> <BR />Dr. Hanspeter öffnet einen grauen Schrank. Darin: Gewebeproben der Patienten, sauber verstaut und zur weiteren Untersuchung bestimmt. Zum ersten Mal sehe ich ein echtes Gehirn. Wir verlassen den Autopsie-Raum und gehen weiter den Gang entlang. Vorbei an den Kühlzellen, hinter deren schweren Eisentüren die Toten aufbewahrt werden. <h3> Schmetterlingsgrab für ungeborene Kinder</h3> Auf einer dieser steht in schwarzer Schrift geschrieben: das Schmetterlingsgrab. „Dieses ist für die Föten (ungeborenes Kind, Anm. d. Red.) bestimmt, die vor der Geburt gestorben sind“, sagt Dr. Hanspeter.<BR /><BR /> Trotz der vielen Jahre im Beruf nehmen sie diese Momente noch immer mit. Bei mir ist es nicht anders. Auch wenn die Führung nun zu Ende ist: Es handelt sich um ein Bild, das im Kopf bleibt.