Diese Artikel brachten ihn in Lebensgefahr: Zu Jahresende 1940 veröffentlichte Kanonikus Michael Gamper im „Volksboten“ und in den „Dolomiten“ mehrere Beiträge über die systematischen Morde an kranken und behinderten Menschen in Nazi-Deutschland. <BR /><BR /><i>von Martin Lercher</i><BR /><BR />Unter den zynischen Bezeichnungen „Euthanasie“ (wörtlich: „guter Tod“) oder „Gnadentod“ hatten die Nazis schon vor 1939 damit begonnen, behinderte und geisteskranke Kinder systematisch zu töten – durch Medikamente, Nahrungsentzug und grausame medizinische Tests. Im Oktober 1939 dehnt Adolf Hitler diese „Ausrottung lebensunwerten Lebens“ auf Erwachsene aus. Bis Kriegsende fielen dem später unter dem Namen „Aktion T4“ bekannt gewordenen Morden rund 70.000 Menschen zum Opfer – darunter auch Südtiroler. <BR /><BR />Nur wenige wagten es, diese Verbrechen öffentlich anzuprangern. Als „höchstwahrscheinlich einzige deutschsprachige Medien“ – wie der aus Bruneck stammende Psychiater und Forscher Prof. Hartmann Hinterhuber vermutet – wiesen der „Volksbote“ und das Tagblatt „Dolomiten“ bereits im Jahr 1940 auf die systematisch geplanten und in größtmöglicher Stille durchgeführten Morde hin.<BR /><BR /><b>Beweise für eine Vermutung</b><BR /><BR />Verfasser der Artikel war Schriftleiter Kanonikus Michael Gamper, der sich damit nach dem Kampf gegen die faschistische Unterdrückungspolitik auch offen mit den Nationalsozialisten anlegte. Vor allem der Beitrag „Ein furchtbarer Verdacht“, den der „Volksbote“ am 19. Dezember 1940 abdruckte, schlug ein wie eine Bombe. Damit lieferte der Kanonikus (indirekt) einen schriftlichen Beweis dafür, was viele Südtiroler schon ahnen konnten. <BR /><BR />Der Ausgangspunkt für den „Volksboten“-Beitrag ist eine Nachricht in der Vatikan-Zeitung „Osservatore Romano“; demnach sollte die römische Behörde für die Glaubenslehre (Hl. Offizium) Auskunft darüber geben, ob „es erlaubt sei, Menschen mit geistigen oder körperlichen Gebrechen zu töten, weil sie der Nation nur zur Last fielen.“ <BR /><BR /><b>„Entrüstung und gerechter Zorn“</b><BR /><BR />Allein schon diese Frage verschlage einem „die Rede und den Atem“, schreibt der empörte Kanonikus Gamper: „Im ersten Augenblick kann man gar nicht anders, als die Zeitung hinhauen, vom Stuhl aufspringen, auf- und abgehen und zuerst einmal in sich selber die Entrüstung und den gerechten Zorn darüber auskochen lassen, dass solche Fragen überhaupt gestellt werden können.“<BR /><BR />Ausführlich erklärt der Kanonikus dann, dass die kirchliche Lehre zwar die Todesstrafe für Verbrecher zulasse, aber die Tötung „Harmloser“ strikt ablehne. Wörtlich heißt es in dem Beitrag: „Welche gemeinste Niedertracht, welche Verworfenheit wäre es denn auch, über das Leben harmloser Leute, die in allem Unglück und in aller Not noch Ebenbilder Gottes, ja Kinder Gottes sind und bleiben, vom ordinärsten Gesichtspunkte der Nützlichkeit aus entscheiden zu wollen, wie über das Leben einer Kuh oder eines Schweines! Aber so weit kommt eben der Mensch, wenn es für ihn keinen Gott mehr gibt und folgerichtig auch keine Ebenbilder und keine Kinder Gottes mehr.“<BR /><BR /><b>Spur führt ins Deutsche Reich</b><BR /><BR />Zum Schluss leuchtet Kanonikus Gamper die Spur zu jenem Land aus, das die Anfrage im Vatikan eingereicht habe. Hitler-Deutschland wird nicht ausdrücklich genannt, aber die Leserschaft dürfte die Hinweise auf Anhieb verstanden haben: „Es ist sicher nicht ein mehr oder minder katholisches Land, sicher nicht Italien, Spanien, Belgien oder Ungarn, wohl auch nicht das heutige Frankreich. Der Verdacht weist nach einer anderen Richtung. Ein furchtbarer Verdacht!“<BR /><BR /> Auch diese offene Kritik am Tötungsprogramm der Nazis dürfte dazu beigetragen haben, dass Kanonikus Gamper zur meist verfolgten Person im Lande wurde und um sein Leben fürchten musste. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht im Jahr 1943 konnte der Priester vor der Gestapo nach Wangen fliehen und später in einem Kloster in der Toskana untertauchen. Erst nach Kriegsende konnte Kanonikus Gamper wieder nach Südtirol zurückkehren.