Es ist Montag, 8:02 Uhr. Der Rechner fährt hoch, das Smartphone vibriert. „Bekommst du den Text heute fertig?“, fragt die Redaktionsleitung. Parallel blinkt eine E-Mail mit Korrekturanmerkungen auf. Drei Browser-Tabs sind geöffnet: Interview, Recherche, Wetterbericht – falls ich doch noch für einen Außentermin aufs Fahrrad muss.<BR /><BR />Im Kopf wirbeln Gedanken durcheinander: Der Anruf beim Steuerberater, der Einkauf fürs Abendessen, fünf Termine im Kalender, ein Geburtstagsgeschenk für die Oma – und: Wie geht’s eigentlich meinem alten Studienfreund? In der Mittagspause schreibe ich ihm mal eine WhatsApp. Die Gedanken rasen - und ich habe noch nicht mal einen Kaffee getrunken.<BR /><BR />Mir geht das oft so. Ihnen auch?<BR /><BR />Wir funktionieren, erledigen Aufgaben, springen von einem Punkt zum nächsten – und kommen selten wirklich an. Oft sehne ich mich nach einem Moment, in dem alles stillsteht, die Welt leiser wird und der Kopf frei. Dieser Zustand hat einen Namen: Flow – ein Gefühl völliger Konzentration und Versunkenheit.<BR /><BR />Der ungarisch-amerikanische Psychologe Mihály Csíkszentmihályi prägte den Begriff in den 1970er-Jahren. Flow beschreibt einen Zustand, in dem man vollkommen in einer Tätigkeit aufgeht. Die Zeit scheint stillzustehen, die Handlung läuft fast wie von selbst – und doch ist man hochkonzentriert. Wer diesen Zustand einmal erlebt hat, erkennt ihn sofort wieder – und will zurück.<BR /><BR />In unserer heutigen Welt voller Reizüberflutung und ständiger Erreichbarkeit ist dieser Zustand kostbarer denn je. Unsere Aufmerksamkeit ist teures Gut geworden. Beim Abendessen mit der Familie denken wir schon darüber nach, welche Netflix-Serie gleich läuft. Im Büro schweifen unsere Gedanken zum Gipfelsturm am Wochenende. Und beim Wandern gehen wir dann schon die To-Do-Liste für Montag durch. Immer sind wir woanders – selten wirklich bei uns.<BR /><BR />Studien zeigen: Flow wirkt wie ein Kurzurlaub fürs Gehirn. Die Universität Chicago fand heraus, dass Menschen im Flow nicht nur zufriedener, sondern auch kreativer, produktiver und resilienter sind. Im Flow produziert das Gehirn vermehrt Dopamin – einen Neurotransmitter, der Motivation und Wohlbefinden fördert. Gleichzeitig verschwinden Sorgen und Selbstzweifel, weil sich das Bewusstsein ganz auf das Tun konzentriert.<BR /><BR />Flow entsteht dort, wo Anforderung und Können zusammenkommen. Weder Langeweile noch Überforderung – sondern eine Tätigkeit, die herausfordert, aber machbar bleibt. Ob Musizieren, Klettern, Malen, Holzarbeiten, Zocken, Meditieren oder Kochen: Flow ist keine Frage der Disziplin, sondern des bewussten Einlassens.<BR /><BR />Mir gelingt das zum Beispiel, wenn ich mit meiner Kamera unterwegs bin. Wenn ich durch den Sucher schaue, verstummen die Gedanken, und die Welt rückt in den Fokus. Oder beim Laufen, wenn der Rhythmus meiner Schritte mit meinem Atem verschmilzt und die Außenwelt leiser wird. Oder wenn ich in eine packende Geschichte abtauche – ob in einem Buch oder einem Film. In diesen Momenten geht es nicht um Leistung, sondern um Hingabe. An die Tätigkeit. Den Augenblick. An mich selbst.<BR /><BR />Vielleicht sollten wir uns öfter bewusste Auszeiten gönnen – nicht um zu optimieren oder zu funktionieren, sondern um wirklich einzutauchen. In eine Sache, die uns erfüllt. Danach tauchen wir wieder auf – mit klarem Kopf, ruhigem Herz und einem Lächeln.