<BR />„<i>Es war schwer, um Hilfe zu bitten, aber ich bin froh, dass ich es getan habe</i>“, erinnert sich Siegfried (48) zurück. Schulden, Schamgefühle und ein ewiger Teufelskreis aus finanziellen Sorgen, psychischen Problemen und Suizidgedanken begleiteten ihn jahrelang. <BR /><BR />Er ist zivilinvalide und erleidet während der Pandemie einen manischen Rückfall, der ihn in eine tiefe Depression stürzt. Seine Situation erfordert eine längere stationäre Behandlung – in dieser Zeit geraten viele Dinge in den Hintergrund, darunter auch das <b>Bezahlen seiner Rechnungen</b>. <BR /><BR />Siegfried kehrt nach einer langen Zeit in sein Zuhause zurück – eigentlich ein schöner Moment. Was er aber vorfindet ist eine kalte und dunkle Wohnung – sowohl der Strom als auch die Heizung wurden ihm als Folge der unbezahlten Rechnungen abgestellt. Eine Zwangsräumung steht unmittelbar bevor. Doch Siegfried, der seine Medikamente zwischenzeitlich absetzen musste, ist überfordert, kraftlos und nicht in der Lage, klar zu denken. Erneut ist er auf Hilfe angewiesen. <BR /><BR /><i>„Es ist ein ewiger Teufelskreis, in dem ich gefangen bin. Ständig muss ich um Unterstützung bitten – und dafür schäme ich mich zu tiefst</i>“, erklärt Siegfried, als er sich an die Caritas wendet. <BR /><BR />In einem gemeinsamen einjährigen Projekt mit dem psychiatrischen Dienst und mit Siegfrieds finanzieller Eigenbeteiligung gelingt es unter Mithilfe der Caritas, die entstandenen Schulden zu tilgen und somit den drohenden Verlust von Siegfrieds Wohnung abwenden. Diese Stabilisierung seiner Lebensumstände wirkte sich positiv auf seine seelische Gesundheit aus: Er sieht wieder Licht am Ende des Tunnels.<h3> Was tun bei Überschuldung?</h3>Der Fall von Siegfried ist kein Einzelfall – viele Menschen kämpfen aufgrund finanzieller Schieflagen mit psychischen Problemen. Was in solchen Situationen tun ist, erklärt <b>Petra Priller</b>, Leiterin der <b>Caritas Schuldenberatung</b>.<BR /><BR /><b>An wen genau richtet sich die Caritas Schuldenberatung in Südtirol?</b><BR />Petra Priller: Unsere Angebote richten sich an Menschen, Einzelpersonen und Familien, die in Südtirol ansässig sind – unabhängig davon, ob sie bereits überschuldet sind oder sich einfach frühzeitig informieren möchten. Denn neben der klassischen Schuldenberatung bieten wir auch eine Budgetberatung an. Diese richtet sich an Personen, die (noch) keine Schulden haben, aber merken, dass sie den Überblick über ihre Einnahmen und Ausgaben verlieren. Wir helfen ihnen dabei zu erkennen, wo ihr Geld bleibt, und geben praktische Tipps, wie sie ihren Alltag besser strukturieren und finanzielle Engpässe vermeiden können.<BR /><BR /><BR /><b>Melden sich viele Betroffene schon präventiv – oder kommen sie eher erst dann, wenn sie bereits in einer schwierigen Lage sind?</b><BR />Priller: Die Mehrheit kommt leider erst, wenn die Situation bereits sehr belastend ist. Wir beraten jährlich rund 1300 Menschen – mit einem Team von sechs Schuldenberaterinnen in ganz Südtirol. Meistens handelt es sich um Personen, die ihre Schulden nicht mehr alleine bewältigen können. Die durchschnittliche Verschuldung unserer Klienten liegt bei etwa 50.000 Euro. <BR /><BR /><embed id="dtext86-70845291_quote" /><BR /><BR /><b>Was für Folgen kann eine solche Überschuldung haben?<BR /></b>Priller: Finanzielle Sorgen bleiben selten ohne Folgen. Viele berichten von schlaflosen Nächten, Spannungen in der Familie, Rückzug aus dem sozialen Leben – oder dass sie sich notwendige Arztbesuche einfach nicht mehr leisten können. Diese Sorgen schlagen sich nicht selten auch auf die Gesundheit nieder. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen, Erschöpfungszustände – all das ist leider keine Seltenheit. Manche verlieren in der Folge sogar ihre Arbeit oder kündigen von sich aus. Sie wissen nicht mehr weiter und sehen keinen Sinn mehr im Leben – das reicht bis zu suizidalen Gedanken.<BR /><BR /><BR /><b>Wenn jemand also in einer akuten (Schulden-)Krise steckt, wie läuft die Unterstützung dann konkret ab?</b><BR />Priller: Zunächst einmal ist es uns wichtig zu vermitteln: Man muss sich nicht schämen, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der erste Schritt ist oft der schwerste – nämlich sich zu trauen, offen über die eigene Situation zu sprechen. Wenn ein Termin vereinbart wurde, klären wir gemeinsam den aktuellen finanziellen Stand: Welche Einnahmen gibt es? Welche Ausgaben? Welche Schulden bestehen, wer sind die Gläubiger, wie ist die rechtliche Lage? Dann erklären wir sachlich, was passieren kann – und was nicht. <BR /><BR /><embed id="dtext86-70845299_quote" /><BR /><BR /> Solche Vorstellungen beruhen meist auf Unwissen oder Gerüchten. Wir schaffen hier Klarheit und nehmen damit vielen bereits einen großen Teil ihrer Angst.<BR /><BR /><BR /><b>Was passiert danach?</b><BR />Priller: Im Anschluss begleiten wir die Menschen durch den Prozess der Schuldenregulierung – wir verhandeln mit Gläubigern, vermitteln bei Bedarf an psychologische Dienste oder informieren über gesetzliche Möglichkeiten wie das Schuldenregulierungsverfahren (Privatkonkurs), das seit 2012 auch in Südtirol möglich ist. Ziel ist es, eine tragfähige Lösung zu finden und die Betroffenen zu stabilisieren – finanziell und seelisch.<BR /><BR /><BR /><b>Und was ist nun „das Schlimmste“, das Menschen bei Überschuldung passieren kann?</b><BR />Priller: Das Schlimmste ist vielleicht ein Leben mit Schulden – aber auch das ist ein Leben. Und ein wertvolles noch dazu. Ein Mensch ist immer mehr als seine Schulden.<BR />Natürlich kann es im äußersten Fall zur Versteigerung von Eigentum kommen, wenn jemand etwa eine Liegenschaft besitzt und die Schulden nicht mehr begleichen kann. Wenn jemand arbeitet, kann ein Teil des Gehalts gepfändet werden – maximal ein Fünftel. Das bedeutet: Vier Fünftel bleiben der Person. Alle weiteren Gläubiger müssen dann warten, bis dieser Betrag abbezahlt ist.<BR /><BR /><embed id="dtext86-70845724_quote" /><BR /><BR />Viele glauben, ihnen werde alles weggenommen – das stimmt so nicht. Es bleibt immer ein Existenzminimum. Wir helfen, diese rechtlichen Rahmenbedingungen zu verstehen und damit auch den Alltag neu zu strukturieren. Und vor allem: Wir zeigen, dass das Leben trotz Schulden lebenswert ist – und dass es sich lohnt, wieder Fuß zu fassen.<BR /><BR /><BR /><b>Sie haben gesagt, dass vielen Menschen das Thema Geld generell unangenehm ist. Wie ist da Ihre Erfahrung?</b><BR />Priller: Absolut. Über Geld spricht man ungern – das ist bis heute ein Tabuthema. Auch in einer Gesellschaft wie unserer, in der Konsum eine große Rolle spielt. Viele wollen mithalten, mitreden, dazugehören – das beginnt beim Auto, reicht über Urlaube bis zu Markenprodukten. Wer das eigentlich nicht finanzieren kann und sich trotzdem verschuldet, gerät langfristig in eine sehr belastende Situation – vor allem, wenn plötzlich etwas Unvorhergesehenes passiert, wie ein Jobverlust oder eine Trennung.<BR /><BR />Darum setzen wir auch stark auf Prävention. Wir arbeiten seit vielen Jahren mit Schulen zusammen und haben zahlreiche Finanzführerscheine an Jugendliche vergeben. Wir wollen jungen Menschen früh beibringen, wie man mit Geld sinnvoll und kritisch umgeht. Denn wer früh den Überblick lernt, gerät später seltener in echte Notsituationen.<h3>Hilfsangebot und Anlaufstellen in Südtirol</h3><u><b>Im akuten Notfall:</b></u> Notrufnummer 112<BR /><BR /><u><b>Bei finanziellen Sorgen:</b><BR /></u><BR /><b>Caritas Schuldenberatung<BR /></b>- Bozen: Sparkassenstraße 1, <b>0471 304 380</b>, sb@caritas.bz.it<BR />- Meran: Galileo-Galilei-Straße ,<b>0473 495 630</b>, sbmeran@caritas.bz.it<BR />- Brixen: Bahnhofstraße 27A, <b>0472 205 927</b>, sbbrixen@caritas.bz.it<BR />- Bruneck: Paul-von-Sternbach-Straße 6, <b>0474 413 977</b>, sbbruneck@caritas.bz.it <BR /><BR /><u><b>Bei psychischer Belastung:</b></u><BR /><BR /><b>- Psychologisches Krisentelefon 24/7:</b> Grüne Nummer 800 101 800 (richtet sich sich hauptsächlich an Menschen in existenziellen Krisensituationen) zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar<BR /><BR />- <b>Psychologische Dienste</b> (zu Bürozeiten)<BR />Bozen: 0471 435001<BR />Meran: 0473 251960<BR />Bruneck: 0474 586220<BR />Brixen: 0472 813100<BR /><BR /><b>- Caritas Telefonseelsorge</b><BR />Telefon: 0471 052 052 (rund um die Uhr)<BR /> <a href="https://telefonseelsorge.bz.it/" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">www.telefonseelsorge.bz.it</a><BR />Mailberatung: rund um die Uhr<BR />Chatraum: Mo bis Do von 18 bis 21 Uhr<BR /><BR />- <b>Erste Hilfe im Krankenhaus</b> (Bozen, Meran, Brixen und Bruneck) : Psychiatrischer Bereitschaftsdienst rund um die Uhr<BR /><BR />- Weitere Anlaufstellen für betroffene Menschen und Angehörige:<BR /> <a href="https://www.suizid-praevention.it/de/netzwerk-suizidpraevention-1231.html" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">www.suizid-praevention.it</a> & <a href="https://www.dubistnichtallein.it/" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">www.dubistnichtallein.it</a>