Hinter dem kürzlich veröffentlichten Lied „6 Millionen“ der Bozner Sängerin Annika Borsetto verbirgt sich die überaus persönliche Geschichte ihres an Leukämie erkrankten Vaters und seiner Rettung durch eine Stammzellenspende. <BR /><BR />„Er ist 37 Jahre alt, lebt irgendwo in Deutschland und hat sich entschlossen, Stammzellen zu spenden – dafür hat er sogar seinen Weihnachtsurlaub geopfert“, skizziert Annika Borsetto jene wenigen persönlichen Details, die sie über den Lebensretter ihres Vaters weiß.<BR /><BR /> Aus Dankbarkeit hat sie ihm ein Lied mitsamt aufwendig produziertem Video gewidmet, wobei sie präzisiert: „Dieser Song ist allen Stammzellenspendern gewidmet, denn es lässt sich nicht sagen, ob er ihn je zu Gehör bekommt.“ Das Prozedere rund um Stammzellenspenden läuft schließlich anonym ab.<h3> Sorgenvolle Zeiten</h3>Die in der Südtiroler Musikszene weitum bekannte Annika Borsetto, ihre Schwester Marika und deren Eltern Roberto und Silvana hatten in den vergangenen 3 Jahren schwierige Zeiten mit mehreren Hiobsbotschaften zu meistern. <BR /><BR />„Nachdem unser Papi immer öfter niedergeschlagen und müde auf dem Diwan lag, beschlossen wir schließlich, ärztliche Untersuchungen machen zu lassen“, erinnert sich Annika. Die Auswertung der Analysen ließ keinen Zweifel: Leukämie. Das war Mitte März 2020, die niederschmetternde Diagnose fiel in die Anfangsphase der Corona-Pandemie. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="869084_image" /></div> <BR /><BR />Roberto war 70 und befand sich seit einigen Jahren in Rente. In der Hämatologie-Abteilung des Krankenhauses Bozen stellten die Ärzte sofort klar: Man muss einen Spender von gesundem Knochenmark finden, denn andere Heilungsmethoden gibt es in diesem spezifischen Leukämiefall nicht. Die Lebenserwartung des 70-jährigen Bozners beschränkten sie auf einen Zeitraum von 6 Monaten bis auf ein Maximum von 2 Jahren. <BR /><BR />Doch auch im Falle einer geeigneten Knochenmarkspende blieb ein beträchtliches Risiko von 30 Prozent, dass es letztlich umsonst sein könnte und er es nicht schafft. Alles in allem eine düstere Prognose, die der Familie Borsetto arg zu schaffen machte. „Mein Vater hatte immer schon einen starken Willen und sofort entschieden, dass er die Stammzellen-Transplantation in Anspruch nehmen möchte“, blickt Annika Borsetto zurück.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="869087_image" /></div> <BR /><BR />So ließ er sich mit seinen Personalien und Laborwerten in die weltweite Liste für Knochenmarkspender eintragen. Man benötigt eine beinahe 100-prozentige Übereinstimmung der Gewebemerkmale, was bei nicht verwandten Personen mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 100.000 beziffert wird. „Sowohl meine Schwester als auch ich hätten nur allzu gerne gespendet, aber unsere Stammzellen wiesen nur eine 50-prozentige Kompatibilität auf, während mindestens 85 Prozent Voraussetzung sind“, erklärt Annika. <BR /><BR />Im Oktober 2021 bekamen sie die Nachricht, dass es eine geeignete Spende geben würde. Daraufhin hieß es für Roberto, die vielen notwendigen Untersuchungen und Analysen machen zu lassen, was er freilich gerne in Kauf nahm. „Wie aus heiterem Himmel“, fährt Annika fort, „hieß es dann plötzlich, dass der Spender unerwarteterweise abgesprungen war.“ Das sei ein heftiger Tiefschlag gewesen, all die Hoffnung auf eine mögliche Rettung schien sich mit einem Schlag verflüchtigt zu haben. Einige Tage später eröffnete ihnen eine Ärztin, dass noch 2 weitere Spender auf der Liste standen – darunter der 37-jährige Deutsche.<h3> Die rettende Transplantation</h3>Am Heiligen Abend 2021 war es dann tatsächlich so weit, der Knochenmarkspender ließ sich in ein Krankenhaus in Deutschland einweisen. „Aber die Ärztin dämpfte unsere Vorfreude, denn es brauche nur eine Kleinigkeit, etwa eine Corona-Erkrankung, und alles würde sich um mehrere Monate verschieben“, beschreibt Annika eine weitere unliebsame Nachricht. <BR /><BR />Somit verstrichen nochmals quälend lange Tage, ehe Anfang Jänner 2022 schließlich feststand, dass sich ihr Vater der lebensrettenden Knochenmarktransfusion unterziehen kann. 6 Millionen gesunde Zellen würde er bekommen, aufbewahrt in einem großen weißen Kanister. Zuvor musste er sich noch einer Chemotherapie unterziehen, um seine eigenen kranken Zellen zu zerstören. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="869090_image" /></div> <BR /><BR />Annika Borsetto erzählt heute mit Erleichterung, dass sich letztlich alles zum Guten gefügt hatte, vergisst aber auch nicht zu erwähnen, wie sehr ihrem Vater während seines Krankenhausaufenthaltes die Geschichten der anderen Leukämie-Patienten zu schaffen machten.<BR /><BR /> Die waren jünger, aber machten nicht so gute Fortschritte infolge der Therapie. Nach wie vor trifft die Diagnose Blutkrebs die Betroffenen wie ein Schock, wenngleich dank moderner Therapien die Lebenserwartung der Patienten enorm gestiegen sind. Die Chancen für eine Heilung sind individuell unterschiedlich und grundsätzlich gilt: Je jünger die Erkrankten und je früher die Leukämie entdeckt wird, desto besser fallen die Prognosen aus. „Ich möchte auch sagen, dass sich die Ärzte- und Pflegerschaft als sehr liebevoll und kompetent erwiesen, wir hätten uns keine bessere Betreuung wünschen können“, findet sie für die Krankenhausteam lobende Worte. <BR /><BR />41 Tage nach der erfolgten Transfusion durfte Roberto das Krankenhaus verlassen, seitdem ist es mit ihm stetig aufwärts gegangen. „Ihm geht es heute, also etwas mehr als 1 Jahr nach der Stammzellenspende, wirklich wieder viel besser, er hat lange nicht mehr so gut ausgesehen und freut sich wieder auf den nächsten Camperurlaub und vor allem, Zeit mit den 4 Enkelkindern verbringen zu dürfen“, sagt Annika. Natürlich müsse der heute 72-Jährige noch immer Medikamente schlucken, aber bereits viel weniger als in der Anfangsphase, als die penibel aufeinander abgestimmte Einnahme von bis zu 32 verschiedenen Arzneien unabdingbar war. <h3> Jeder in der Familie gab seinen Beitrag</h3>„Jeder in unserer Familie hat sich rührend um unseren Vater gekümmert, meine Mutter war pausenlos bei ihm und hat sich um die Verabreichung der Medikamente gekümmert, meine Schwester Marika hat immerzu die vielen Informationen im Auge behalten, ich hatte etwas weniger Möglichkeiten, weil ich gerade in jener Zeit meine beiden Töchter Pauline und Katherina zur Welt gebracht habe“, sagt Annika und meint: „Deshalb habe ich schließlich das Lied für den unbekannten Spender gemacht, das war sozusagen meine Aufgabe.“ <BR /><BR />Annika Borsetto ist als Liedermacherin und vielseitige Musikerin landesweit bekannt, sie gibt auch Gesangsstunden und hält Ukulele-Workshops. So war es wohl ein Wink des Schicksals, dass sie beim „Winto.Klong“-Festival in Toblach im Februar 2020 den 2. Platz gewonnen hatte und als Preis eine professionelle Videoproduktion in Anspruch nehmen durfte. Fast 3 Jahre später löste sie diesen Preis ein, indem sie auf dem Ritten das Video zu ihrem Lied „6 Millionen“ drehen ließ – zusammen mit Chris Kaufmann sowie Thomas und Peter Vonmetz. <BR /><BR />In jenem Lied, es ist bereits ihr 18. veröffentlichter Song, wendet sie sich an den anonymen Stammzellenspender, es ist ihre Art, ihm Danke zu sagen. Im Refrain singt sie: „6 Millionen Zellen hast du gegeben, 6 Millionen Augenblicke für ein Leben, 6 Millionen Wünsche, dass ers schaffen kann, 6 Millionen mal Danke, 6 Millionen Lichter hast du geschenkt, hast dieses Leben wieder in die Bahn gelenkt, 6 Millionen Gründe, um dir zu sagen, 6 Millionen mal Danke.“ <BR /><BR />6 Millionen mal Danke für die lebensrettende Aktion zugunsten ihres Vaters Roberto.<BR /><BR />HINTERGRUND<BR /><BR />Eine Stammzellen-Transplantation ist oft die einzige Überlebenschance für einen Leukämiekranken, wenn dem Patienten nicht durch eine Chemo- und bzw. oder Strahlentherapie geholfen werden konnte. Dafür muss aber ein geeigneter Spender gefunden werden, wobei eine nahezu 100-prozentige Übereinstimmung der Gewebemerkmale Voraussetzung ist. Diese Wahrscheinlichkeit ist sehr gering, in etwa kommt nur einer auf 100.000 für eine lebensrettende Knochenmarkspende in Frage. Deshalb wurde ein weltweites Register geschaffen, um im Bedarfsfalle nach geeigneten Spendern suchen zu können.<BR /><BR /> In Südtirol ist der Verein für Knochenmarkspender ADMO die Anlaufstelle, wenn man sich in das Register eintragen lassen bzw. bei Bedarf sein Knochenmark spenden möchte. Hierzulande gibt es 8000 potenzielle Spender, im Jahre 2021 haben allerdings nur 5 Personen ihre Blutstammzellen gespendet. Für 1 Drittel der Erkrankten, die eine Transplantation benötigen, kann die Stammzellspende eines Verwandten lebensrettend sein. Im Bild oben der Bozner Skiprofi Riccardo Tonetti bei einer Stammzellspende.<BR />