Der Biostatistiker Markus Falk hat das durchgerechnet – und sieht gar nicht so schlechte Chancen für eine „halbwegs normale“ Weihnacht. <BR /><BR /><BR /><b>Die Infektionszahlen steigen, aber genauso der Andrang zu den Booster-Impfungen gegen das Coronavirus: Wird es heuer ein unbeschwertes Weihnachtsfest geben?</b><BR />Markus Falk: Bevor es die Impfung gab, war es einfacher, Prognosen zum Verlauf der Infektionswellen zu erstellen. Die Effekte der Impfbeteiligung mit einzukalkulieren, ist schwieriger, da man schwer vorhersehen kann, wann die Leute zum Impfen gehen. So viel lässt sich sagen: Wenn die Teilnahme an den Booster-Impfungen gut ist, schaut es zu Weihnachten gut aus.<BR /><BR /><BR /><b>Im benachbarten Ausland – in Österreich und Deutschland, besonders in Bayern – ist die Lage dramatisch. Was macht den Unterschied aus?</b><BR />Falk: Zwischen der Situation in Deutschland und jener in Südtirol gibt es einen Unterschied wie Tag und Nacht. Die Durchimpfungsrate der Südtiroler über 20-Jährigen liegt bei über 80 Prozent. Man darf nicht vergessen, dass außerdem unter den Nicht-Geimpften viele Genesene sind. In Deutschland gibt es weniger Genesene. Deswegen kann man davon ausgehen, dass die Immunisierungsrate in Südtirol insgesamt auf über 80 Prozent liegt. Die Last für die Krankenhäuser ist nach wie vor groß und zu groß, aber nicht so groß wie jene in Bayern. Mich wundert, dass dort bisher nicht reagiert worden ist. Was dort gerade passiert, ist ein Trauerspiel. Die Intensivabteilungen sind verglichen mit dem Rest klein: Sie sind ein Nadelöhr und es gibt nicht beliebig viel Spielraum sie zu erweitern, denn das Personal fehlt. Nur verteilen ist möglich.<BR /><BR /><embed id="dtext86-51804504_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Kann man aus heutiger Sicht ausschließen, dass es auch in Südtirol so weit kommt?</b><BR />Falk: Hinter geplanten Eingriffen stehen Fragezeichen. Selbst für Tumor-Operationen wird es eng. Für diese Art der Unterversorgung ist der ungeimpfte Infizierte persönlich mitverantwortlich. Das ist kein Kavaliersdelikt. Aus meiner Sicht ist es ein Vergehen, wenn sich ein Ungeimpfter infiziert. Die Last wird noch ansteigen: Laut unserer Prognose nicht besonders stark, aber so schnell wird der Druck auf die Krankenhäuser nicht nachlassen. Bis Mitte Dezember kann es noch Anstiege geben. Bis Weihnachten dürften wir bessere Zahlen haben – wenn sich genügend Leute die Booster-Impfung verabreichen lassen. Den schnellsten Effekt hätte man freilich, wenn man Impflücken schließen könnte. Aber das wird schwierig: Weil ein Teil der Bevölkerung nicht mitspielen will.<BR /><BR /><b>Wie viele geboosterte Südtiroler bräuchte es für ein unbeschwertes Weihnachtsfest?</b><BR />Falk: Die Wirkung der Booster-Impfung zeigt sich nicht von einer Woche auf die andere. Aber 3 oder 4 Wochen später zeigen sich die Ergebnisse. In der Generation 60+ wird das Risiko für eine Hospitalisierung damit direkt gesenkt. Die Jüngeren, die sich boostern lassen, verbessern den Gemeinschaftsschutz. Bis Mitte Oktober war die Situation in Südtirol unter Kontrolle, der Gemeinschaftsschutz gut. Über Allerheiligen hat es eine ungünstige Kombination gegeben: mehr Zusammenkünfte und eine Zunahme der Impfdurchbrüche. Darum hatten wir im November einen Anstieg der Infektionen. Die Probleme bei den Geimpften sind natürlich überschaubar. Wenn es aber viele Ungeimpfte gibt, entsteht ein Teufelskreis und die Infektionszahlen steigen konstant. Jetzt zeichnet sich eine erste Entspannung ab, da die Kontakte nach Allerheiligen wieder abnahmen.<BR /><BR /><BR /><b>Landesrat Thomas Widmann hat 25.000 Booster-Termine pro Woche angekündigt. Wird das reichen?</b><BR />Falk: Wenn man die Hälfte der zu Boosternden erwischt, kann man nachhaltige Senkungseffekte erzielen: Schafft man 25.000 pro Woche, hat man nach 2 Wochen einen Effekt – bei 50.000 zusätzlichen geboosterten Südtirolern. Wir sehen jetzt schon die Effekte bei den Über-80-Jährigen, von denen die Hälfte geboostert ist. Die unteren Altersklassen tragen mit der Auffrischungsimpfung zum Gemeinschaftsschutz bei. Sie lassen sich als Schutzschild für den Rest der Bevölkerung impfen: Damit man selbst nicht zum Überträger wird. Dieser Effekt ist unheimlich groß. Auch ich habe mich dazu entschieden: Für mich selbst bringt die Boosterung einen Benefit, wenn ich damit verhindere, dass ich meine Kinder und Verwandten anstecke.<BR /><BR /><BR /><b>Könnte uns die Omikron-Variante einen Strich durch die Rechnung machen?</b><BR />Falk: Würde man jetzt präventiv die Schotten dichtmachen und strengere Maßnahmen einführen, würde die Gesellschaft irgendwann nicht mehr mitspielen. Wenn man jetzt alles verbietet, finden Feierlichkeiten eben im privaten Umfeld statt. Solange die Menschen die direkten Auswirkungen nicht sehen, spielen sie nicht mit. Das Positive ist: Wir haben eine gewisse Grundimmunisierung durch die Impfung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Omikron das völlig aushebelt. Wenn wir sehen, dass sich die Prognose ändert, sich abzeichnet, dass es gefährlich wir, müssen wir aber viel schneller reagieren – innerhalb einer Woche. Die Erfahrung der Pandemie bisher hat gezeigt, dass die Politik einen Monat braucht, um auf eine veränderte Lage zu reagieren. Dann ist es aber meist zu spät. Sind wir diesmal schneller, können wir auch riskieren, die Diskos für Geimpfte aufzumachen. Problematisch wird es aber, wenn der Geimpfte nach der Disko zu Hause auf Ungeimpft trifft.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-51804509_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Ist die Impfpflicht die Lösung?</b><BR />Falk: So leid es mir tut: Es scheint auf eine Konfrontation hinauszulaufen. Es ist ein Faktenkrieg. Grundsätzlich gilt, dass jemand nicht überlegen muss, ob die Impfung für ihn gut oder schlecht ist, da die Wissenschaft ja die Unbedenklichkeit und den Benefit der Impfungen bewiesen hat. Einverstanden muss man dennoch sein. Ich bin der Meinung, das beißt sich mit der Pflicht. Der Ungeimpfte, der sich ständig mit FFP2 schützen und nicht im Krankenhaus landen würde, wäre kein Problem. Wir hätten auch dann kein Problem mit den Ungeimpften, wenn es gut wirkende Covid-Medikamente gäbe. Die steigenden Zahlen in Südtirol zeigen aber, dass die Ungeimpften dem nicht gewachsen sind. Allerdings kriegt man sie mit Aufklärung allein nicht zum Umdenken. Man muss ehrlich zu sich selber sein: Wer bisher die Entscheidung nicht getroffen hat, will sich nicht impfen lassen. Für die Bekämpfung der Pandemie ist es aber leider extrem wichtig, Geimpfte von Ungeimpften zu trennen, denn die Risiken wären im Winter sonst zu groß. Dass man nun in Deutschland über die Impfpflicht diskutieren muss, ist ein Zeichen dafür, dass man gesundheitspolitisch versagt hat; dass der Staat mit seinem Latein am Ende ist. Dass man nun auch auf EU-Ebene darüber nachdenkt, zeigt aber, wie ernst die Situation ist. Die Pflicht wird aber natürlich die entsprechende Wirkung haben. Wie nachhaltig diese auch in Hinblick auf andere Impfungen ist, muss man aber erst sehen.