Seine Schwester Alexandra Geyr – freie Mitarbeiterin bei den „Dolomiten“ – hat mit ihm über die lange Zeit der Genesung gesprochen.<BR /><BR />Am Samstag, dem 17. Juni 2023, war Michael Geyr an seinem ersten Urlaubstag mit Daniel, dem Sohn seiner Lebensgefährtin, mit dem Motorrad auf einer kleinen Ausflugsfahrt von Sterzing nach Vahrn. Sie wollten nur einen Kaffee trinken und waren dementsprechend gemütlich unterwegs. <BR /><BR />In der Industriezone Forch in Vahrn übersah ein Autofahrer beim Wenden auf seiner Fahrbahn die beiden Motorradfahrer. Der Zusammenstoß war unvermeidbar. Michael Geyr wurde über die Windschutzscheibe geschleudert, Daniel stürzte ebenfalls.<BR /><BR />Michael Geyr erinnert sich: „Ich sah das Auto – und dann den Himmel über mir. Ich wollte nur, dass meine Lederjacke nicht aufgeschnitten wird, aber das wurde sie doch.“ Daniel eilte sofort zu ihm und legte ihn in die stabile Seitenlage – laut Ärzten eine lebensrettende Maßnahme. Zufällig anwesende Ärzte leisteten Erste Hilfe, die Rettungskette funktionierte, Michael Geyr wurde per Hubschrauber nach Bozen gebracht. <BR /><BR /><b>Wie schwer waren deine Verletzungen?</b><BR />Michael Geyr: Ich hatte 18 Brüche – vom Becken bis zum Kopf, dazu ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, Einblutungen, Rückenmark- und Wirbelsäulenverletzungen. Ich hätte sofort operiert werden müssen, aber mein Zustand ließ es nicht zu. Erst zwei Tage später konnten Becken und Arm operiert werden.<BR /><BR /><b>Wie hast du die Zeit nach dem Unfall und auf der Intensivstation wahrgenommen?</b><BR />Geyr: Ich hatte dank der Medikamente keine Schmerzen, aber auf der Intensivstation war es schrecklich. Ich lag reglos, konnte außer in einem Arm und meinen Händen nichts bewegen. Um mich herum nur Piepen, Stöhnen, die Decke über mir – kein Gefühl, keine Orientierung.<BR /><BR /><b>Während du auf der Intensivstation lagst, ist unsere Mutter verstorben. Wie hast du diese Nachricht aufgenommen?</b><BR /> Geyr: Ja, meine Frau und du, ihr habt es mir am Dienstag gesagt. Sie war am Montagfrüh gestorben. Es war ein Schock. Ich konnte nicht einmal zur Beerdigung. Wir glauben aber, dass sie gegangen ist, damit ich überlebe.<BR /><BR /><b>Wie ging es medizinisch weiter?</b><BR />Geyr: Es ging alles schnell. Ich kam von Bozen nach Brixen, dann nach Sterzing – zuerst auf die Chirurgie, dann in die Neuro-Reha. Meine Beine konnte ich anfangs nicht bewegen, aber ich blieb immer positiv. Dann kam der Rückschlag im Juli: Infektion, komplette Lähmung vom Hals abwärts. Prof. Leopold Saltuari ordnete dann ein MRT an, das zeigte, dass das Rückenmark mehrere Infarkte erlitten hatte – das war vorher nicht sichtbar.<BR /><BR /><b>Gab es Hoffnung auf Besserung?</b><BR />Geyr: Ab Ende August begann eine gezielte Therapie – mit Erfolg. Ich lernte wieder, mich mit dem Rollstuhl fortzubewegen. Ausfahrten mit dem Citybus, selbstständiges Üben mit den Therapeuten – das war ein erster Schritt in die Freiheit.<BR /><BR /><b>Wie war das erste Mal draußen?</b><BR />Geyr: Unbeschreiblich. Frische Luft, nicht mehr nur das Krankenhaus. Im September durfte ich das erste Mal nach Hause – nur ein paar Stunden. Unser Hund hat mich nicht mehr erkannt. Trotzdem war es ein sehr emotionaler Moment.<BR /><BR /><b>Hast du in all der Zeit nie den Mut verloren?</b><BR />Geyr: Die Ärzte haben mir nie gesagt, wie ernst meine Lage wirklich war. Sie meinten nur immer, ich solle mich in Geduld üben und alles langsam angehen. Ich aber wollte unbedingt gesund werden und ich habe meine ganze Kraft in die Physiotherapie gesteckt. Es war ein sehr harter und beschwerlicher Weg. Dass meine Prognose ein monatelanges Leben im Rollstuhl war, habe ich erst sehr viel später aus der über 1600 Seiten starken Krankenakte erfahren. Rückblickend war es ein Segen, dass ich nicht über meinen Zustand Bescheid wusste – ich hätte ganz sicher jeglichen Mut verloren. <BR /><BR /><b>Wann konntest du wieder dauerhaft nach Hause?</b><BR />Geyr: Ich hätte bis Ende Oktober bleiben sollen, bin aber am 10. Oktober auf eigenen Wunsch gegangen – ab diesem Tag habe ich den Rollstuhl nie wieder benutzt.<BR /><BR /><b>Wie verlief die Nachbehandlung?</b><BR />Geyr: Ich machte bis März ambulante Physiotherapie. Vor Weihnachten stand ich erstmals wieder auf Skiern – auf Anraten meines Therapeuten. Es war ein Test für mich, ob ich es kann. Und es hat funktioniert. Skifahren war ein Stück Freiheit.<BR /><BR /><b>Wie sieht dein Alltag aus?</b><BR />Geyr: Ich bin vorsichtiger und langsamer, aber aktiv. Ich habe 25 Kilo abgenommen, die Kraft fehlt noch. Trotzdem fahre ich wieder Fahrrad – statt Mountainbike jetzt E-Bike. Und ich arbeite auf eigenen Wunsch hin bereits seit Februar 2024 wieder als Koch im Bezirksaltenheim.<BR /><BR /><b>Und zwei Monate später hast du geheiratet!</b><BR />Geyr: Ja, meine Lebensgefährtin Traudi und ich haben nach 26 Jahren endlich geheiratet. Wir hatten das immer wieder aufgeschoben, aber nun war der Zeitpunkt gekommen. Das war für mich und meine Familie nach vielen Monaten des Bangens unser ganz besonderes Happy End.<BR /><BR /><b>Das klingt fast nach einem Wunder…</b><BR />Geyr: Ja, das ist es. Ich hatte nicht nur großes Glück, sondern ich war in der Neuro-Reha in Sterzing in den besten Händen. Prof. Saltuari nannte mich „das Wunder der Neuro-Reha“ – schlechteste Prognose, bestes Ergebnis. Viele Mitpatienten haben bleibende Schäden – ich habe nur geringe Einschränkungen. Ich bin allen dankbar: den Ersthelfern, den Ärzten, besonders Prof. Saltuari, den Therapeuten, meinen Freunden, meiner Familie. Ich werde diese zweite Chance nutzen.