Es war Samstag, der 17. Juni 2023 - 09.10 Uhr – als sich das Leben von Michael Geyr durch einen schweren Unfall schlagartig änderte. <BR /><BR />Michi, wie er von allen genannt wird, befand sich an seinem ersten Urlaubstag mit Daniel, dem Sohn seiner Frau mit ihren Motorrädern auf einer kleinen Ausflugsfahrt von Sterzing nach Vahrn. Sie wollten nur einen Kaffee trinken, und waren dementsprechend gemütlich unterwegs. <BR /><BR />Auf der Höhe der Industriezone Forcher in Vahrn, kurz vor der Autobahneinfahrt Richtung Süden stand ein Auto mit dem Blinker zum Abbiegen in die Industriezone auf dem Mittelstreifen. Obwohl die Motorradfahrer Vorfahrt hatten, verringerten sie ihr Tempo. Als die Motorradfahrer sich bis auf zehn Metern genähert hatten, setzte das Auto jedoch auf ihrer Fahrbahn zum Wenden an. Der Autofahrer sah auf sein Navigationsgerät und hatte die beiden Motorradfahrer übersehen, die Motorradfahrer hatten keine Chance - der Aufprall war unvermeidlich. Michael fuhr in das Auto und wurde über die Windschutzscheibe kopfüber auf den Asphalt, mit dem Gesicht voran geschleudert, Daniel kam wegen des Ausweichmanövers des Autos ebenfalls zu Sturz. <BR /><BR /><b>Woran können Sie sich noch erinnern?</b><BR />Michael Geyr: Ich sah das Auto, und irgendwann dann den blauen Himmel über mir. Und ich wollte auf keinen Fall, dass mir die schöne Leder-Motorradjacke aufgeschnitten wird, sie wurde dann aber doch aufgeschnitten. Daniel hatte sich glücklicherweise nur Prellungen zugezogen, und ist schnell zu Michi geeilt, um ihn auf den Rücken zu legen. Hätte er das nicht gemacht, wäre er laut Ärzte im eigenen Blut ertrunken. Zum Glück waren zufällig kurz nach dem Unfall Dr. Mark Kaufmann, sowie andere Ärzte am Unglücksort und konnten weitere Rettungsmaßnahmen einleiten. Die Rettungskette hat sehr gut funktioniert und nach wenigen Minuten war der Rettungswagen mit Notarzt vor Ort. Nach der Erstversorgung im Schockraum des Krankenhauses Brixen wurde er mit dem Hubschrauber nach Bozen geflogen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1147320_image" /></div> <BR /><BR /><b>Wie schwer haben Sie sich verletzt?</b><BR />Geyr: Ich hatte mir multiple Knochenbrüche vom Becken aufwärts zugezogen – insgesamt 18. Becken, Steißbein, Rippen, Arm, im Gesicht und am Kopf. Zudem ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit Einblutungen sowie Wirbelsäulen- und Rückenmarkverletzungen. Ich hätte sofort operiert werden müssen, aber mein Zustand ließ das nicht zu. Zwei Tage später, am Montag hatte sich mein Zustand soweit stabilisiert, dass ich am Nachmittag am Becken und am Arm operiert wurde.<BR /><BR /><b>Wie haben Sie die Zeit nach dem Unfall und auf der Intensivstation wahrgenommen?</b><BR />Geyr: Ich erinnere mich, dass ich keine Schmerzen hatte - die Schmerzmittel waren wirklich sehr hilfreich. Aber die Zeit auf der Intensivstation war für mich der Horror, ich hörte nur das Piepen der Maschinen und das Stöhnen der vielen anderen Patienten. Außerdem lag ich auf dem Rücken, außer in einem Arm und meinen Händen hatte ich kein Gefühl, und ich sah nur die Decke über mir. Am Dienstag kamen meine Frau und meine Schwester und sagten mir, nach Absprache mit den Ärzten, dass unsere geliebte Mutti Montag früh verstorben ist. Das war ein schwerer Schlag für uns alle, und vor allem für mich. Ich konnte auch nicht am Begräbnis teilnehmen, welches eine Woche später stattfand. Meine Familie und ich glauben fest daran, dass sie gegangen ist, damit ich überlebe.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1147323_image" /></div> <BR /><BR /><b>Wie ging es dann weiter?</b><BR />Geyr: Mir kam es vor, dass alles wahnsinnig schnell vor sich ging. Am Mittwochnachmittag wurde ich auf die Trauma-Orthopädie im Bozner Krankenhaus verlegt und am Donnerstag nach Brixen, und bereits am Samstag nach Sterzing auf die Chirurgie gebracht. Nach einem Monat in ständiger Rückenlage auf der chirurgischen Abteilung wurde ich auf die Neuro-Reha Station zwei Stockwerke höher verlegt. Meine Beine konnte ich noch immer nicht bewegen, doch ich war immer positiv. Die Ärzte konnten sich nicht erklären, warum ich mich nicht bewegen konnte. Der große Rückschlag kam im Juli, da bekam ich eine Infektion und war vom Hals abwärts komplett gelähmt. Ich wurde sehr schnell behandelt, aber die Lähmung in den Beinen blieb. Mitte August hatte Professor Leopold Saltuari dann vermutet, dass durch den heftigen Aufprall nach vorne auch das Rückenmark und die Wirbelsäule beschädigt worden waren. Dies war bei allen Röntgen, Scans und Untersuchungen nicht ersichtlich gewesen, und Professor Saltuari hatte eine sofortige Magnetresonanztomografie (MRT) angeordnet. Dabei stellte sich heraus, dass ich auch mehrere Infarkte im Rückenmark erlitten hatte. <BR />Ab Ende August wurde ich gezielt therapiert, und die Therapie und die damit einhergehende Reha-Maßnahmen schlugen an, und es begann aufwärts zu gehen. Ich konnte mich selbstständig, nach vielen Übungen mit den Therapeuten (auch Ausgänge in die Stadt, selbstständiges Fahren mit dem Citybus) mit dem Rollstuhl fortbewegen. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1147326_image" /></div> <BR /><BR /><b>Was für ein Gefühl!</b><BR />Geyr: Ja, das erste Mal vom Bett in den Rollstuhl und an die frische Luft, das war für mich ein unbeschreibliches Gefühl, und ich durfte im September endlich zum ersten Mal für ein paar Stunden nach Hause. Das war für mich ein sehr besonderer Moment, nach den Monaten im Krankenhaus - getrübt wurde dies nur dadurch, dass mich unser Hund nicht mehr erkannte. Ab Mitte September durfte ich Freitagabend bis zum Sonntagnachmittag zuhause verbringen. Die Ärzte sagten mir nie, wie ernst meine Lage sei, sie meinten nur immer, ich solle mich in Geduld üben und alles langsam angehen. Ich aber wollte unbedingt gesund werden und ich habe meine ganze Kraft in die anstrengende Physiotherapie und die Übungen gesteckt. Es war ein sehr harter und sehr anstrengender und beschwerlicher Weg. Meine Prognose lautete für viele Monate ein Leben im Rollstuhl, aber das hatte ich erst sehr viel später aus der Krankenakte, die über 1600 Seiten umfasst, erfahren. Rückblickend kann ich sagen, dass es ein Segen war, dass ich nicht über meinen Zustand Bescheid wusste - ich hätte ganz sicher jeglichen Mut verloren. Ich hätte bis Ende Oktober im Krankenhaus bleiben sollen, bin jedoch auf eigenen Wunsch schon am 10. Oktober nach Hause - den Rollstuhl hatte ich ab diesen Zeitpunkt nie wieder benützt.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1147329_image" /></div> <BR /><BR /><b>Mussten Sie noch zur Nachbehandlung, und wie ging es mit Ihnen weiter?</b><BR />Geyr: Ja, ich habe die Physiotherapie bis Ende März ambulant zweimal die Woche weitergemacht. Kurz vor Weihnachten bin ich auf Anraten meines Physiotherapeuten zum ersten Mal auf Skiern am Rosskopf gestanden und es hat funktioniert – ich musste einfach für mich herausfinden, ob es funktioniert. Das Skifahren war für mich ein erneutes Stückchen Freiheit. Mittlerweile fahre ich wieder sehr gut, ich bin allerdings sehr viel vorsichtiger in allem und auch langsamer unterwegs. Konditionsmäßig bin ich immer noch nicht der Alte, und mir fehlt nach wie vor die Kraft, ich hatte während der Zeit im Krankenhaus 25 kg abgenommen. Obwohl ich viele Monate lang meinen Gleichgewichtssinn verloren hatte, fahre ich jetzt wieder Fahrrad, allerdings habe ich von einem Mountain-Bike auf ein E-Bike gewechselt. Anstelle von Ende April hatte ich meine Arbeit im Bezirksaltenheim auf meinen Wunsch bereits Mitte Februar wieder aufgenommen. Ich musste für mich sehen, ob ich es schaffe, und wo ich stehe – ich habe es geschafft! Es war sehr anstrengend, aber ich habe nicht aufgegeben, und war glücklich wieder am Arbeitsleben teilnehmen zu können. Und im April haben meine Lebensgefährtin Traudi und ich nach 26 Jahren endlich geheiratet. Wir hatten das immer wieder aufgeschoben, aber nun war der Zeitpunkt gekommen. Das war für mich und meine Familie nach vielen Monaten des Bangens und der Ungewissheit der schöne Schlusspunkt und unser ganz besonderes Happy End.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1147332_image" /></div> <BR /><BR /><b>Das klingt fast nach einem Wunder…</b><BR />Geyr: Ja, das ist es. Ich habe so viel Leid und Dramen im Krankenhaus erlebt, viele meiner Mitpatienten haben sich nicht so gut erholt wie ich, und sehr viele von ihnen haben große Folgeschäden zurückbehalten. Ich hatte nicht nur großes Glück, sondern ich war in der Neuro-Reha in Sterzing mit seinem Team in den besten Händen. Prof Saltuari sagte, ich sei das Wunder der Neuro-Reha, wo in einem Fall mit der schlechtesten Prognose das beste Resultat erzielt worden ist. Die anderen Ärzte, Pfleger und Physiotherapeuten sehen das auch so. Mit den Folgeschäden, die ich auch zurückbehalten habe, kann ich mit wenigen Einschränkungen glücklich und zufrieden leben. Ich danke allen Menschen, die in irgendeiner Weise geholfen haben, den Ersthelfern und Ärzten, ganz besonders Herrn Professor Saltuari der immer an meine Genesung geglaubt hatte, den Pflegern und Therapeuten, allen Freunden für ihre aufmunternden Besuche und meiner Frau und Familie für ihre stete Unterstützung. Ich bin sehr dankbar eine neue Chance auf ein Leben erhalten zu haben, und ich werde sie bestmöglichst nutzen!