Die Katastrophe auf der Marmolata ereignete sich an jenem Tag, an dem in Südtirol mit 37,3 Grad Celsius in Gargazon die bislang heißeste Temperatur des Jahres gemessen wurde. Wie erhöhte Temperaturen und der Klimawandel die Zerfallserscheinungen von Gletschern begünstigen und welche Risiken damit einhergehen, erläutert der renommierte Südtiroler Gletscherforscher im Interview.<BR /><BR /><BR /><b>Herr Kaser, ein gewaltiger Eisblock löst sich plötzlich vom Gletscher und begräbt mehrere Menschen unter sich. Wie konnte es dazu kommen?</b><BR />Georg Kaser: Im spezifischen Fall sieht es ganz danach aus, dass in dem relativ steilen Hang eine Ebnung bzw. ein Gletscherbett vorhanden war, wo sich viel Wasser ansammeln konnte. Dieses Wasser wirkt gewissermaßen als Gleitmittel, um Eisstücke loszulösen und die Reibung zum Gletscherbett zu verringern. Zusammen mit Moränenmaterial, Gestein und zerbröselndem Eis hat sich daraus eine Mure gebildet und die ist mit rasender Geschwindigkeit talwärts gedonnert. Das geht unheimlich schnell vonstatten, da gibt es kein Entkommen. Im Gegensatz dazu geht es bei trockenen Eislawinen langsamer, da hätte man wohl noch davonkommen können. <BR /><BR /><b>Können derartige Gletscherbrüche im Voraus erkannt bzw. anhand von gewissen Kriterien errechnet werden? </b><BR />Kaser: Sowas ist sehr schwierig zu monitorieren und im Grunde nicht vorhersehbar, weil eine Reihe von Faktoren zusammenspielen. Irgendwelche Schuldzuweisungen wären in so einem Fall völlig unangebracht. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="785774_image" /></div> <BR /><BR /><b>Aber wie soll man denn die Risiken auf den Gletschern denn nun einschätzen?</b><BR />Kaser: Die erfahrenen Bergsteiger wissen die Gefahren im Hochgebirge einzuschätzen, etwa wie dünn das Eis wird und dass der Stein es von unten aus aufheizt. Wenn man bedenkt, wie viele Leute in den Bergen unterwegs sind, passiert verhältnismäßig wenig. Hier handelt es sich um ein häufiges Phänomen, wenngleich die Dimension schon etwas Besonderes ist. Letztlich rumpelt es an kleineren Gletschern jeden Tag. Am Hintereisferner gab es beispielsweise eine weit größere Mure als diese, allerdings ohne Opfer. Alles in allem zeigt es den Prozess des Gletscherzerfalls auf. <BR /><BR /><b>Ist es außerdem ein weiterer deutlicher Hinweis für den rasant fortschreitenden Klimawandel? </b><BR />Kaser: So wie sich das Ganze abgespielt hat, ist davon ganz klar auszugehen. Natürlich hat es vorstoßende Gletscher schon immer gegeben, eine trockene Eislawine wäre völlig anders einzuordnen. Wenn aber die Null-Grad-Grenze über Wochen weit über die Gipfel hinaus bestehen bleibt, dann schmilzt natürlich das Eis und es setzt der vorhin beschriebene Prozess ein. In den Ostalpen sind bereits viele Gletscher verschwunden, die Sache wird immer problematischer. Gletscher wie die Marmolata sind mit dem heutigen Klima dem Zerfall und der Gletscherschmelze preisgegeben, es ist nur mehr eine Frage der Zeit, bis sie erledigt sind.<BR /><BR /><embed id="dtext86-55044985_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Stichworte Gletscherschmelze und Klimawandel: Nun haben Sie heute (Anm. d. Red.: gestern) zusammen mit weiteren Experten und Initiatoren in Wien die Ergebnisse des Klimarates vorgestellt. Worum handelt es sich hierbei?</b><BR />Kaser: Knapp 100 Bürger Österreichs aus allen Teilen der Gesellschaft haben sich ein halbes Jahr lang ausgiebig mit Klimafragen beschäftigt und aus den gewonnenen Erkenntnissen eine breite Palette an Handlungsfeldern ausgearbeitet. Auch viele, die bei konkreten Maßnahmen skeptisch waren, haben begriffen, dass es mit weniger Autofahren oder weniger Heizen nicht getan ist. Somit ist eine ansehnliche Liste von fast 100 Maßnahmen entstanden, um bis 2040 die Klimaneutralität zu erreichen. Der Bericht wurde soeben vorgestellt und wird nun dem Parlament, den Regierungsmitgliedern und dem Bundespräsidenten übermittelt.<BR /><BR /><b>Ein weiteres Signal dafür, dass der Ball bei der Politik liegt?</b><BR />Kaser: Richtig. Der Bericht zeigt, dass die Menschen zum Schutz des Klimas weit stärkere Maßnahmen mittragen würden als Politiker gemeinhin glauben.<BR />