Als Arzt sah und sieht Dr. Karl Lintner seine Aufgabe beim Patienten vor Ort – und zeigt sich überzeugt, dass ein echtes Vertrauensverhältnis zum Patienten so manche Fachvisite überflüssig macht. <b><BR /><BR />1980 haben Sie in Waidbruck Ihre erste Stelle als Hausarzt angetreten. Wie war das damals?</b><BR />Dr. Karl Lintner: Ich kam als junger Arzt mit 27 Jahren nach Waidbruck. Der Gemeindearzt – so die damalige Benennung, war für die Bevölkerung der Ansprechpartner schlechthin. Wir hatten viel Freiraum, viel Gestaltungsmöglichkeiten und Verantwortung, waren aber auch auf uns allein gestellt. Man war als Hausarzt rund um die Uhr abrufbar. Es gab Zeiten, wo ich durchschnittlich 3 Mal in der Woche nachts raus zu einem Patienten fahren musste – heute unvorstellbar.<BR /><BR /><b>Warum wollten Sie Hausarzt – heute Arzt für Allgemeinmedizin – werden?</b><BR /> Dr. Lintner: Das war für mich immer von Anfang an klar: Der Kontakt mit Menschen, mit Familien, das soziales Umfeld – all das hat mir immer schon Spaß gemacht. Hausarztmedizin bedeutet für mich mehr als nur Befunde zu lesen. Übrigens trifft der Begriff „Hausarzt“ für mich immer noch am besten unsere Aufgabe. <BR /><BR /><b>Als Arzt sehen Sie sich in sozialpolitischen Fragen gefordert. Inwiefern?</b><BR />Lintner: Ich glaube, es reicht nicht aus, fachlich und empathisch gut zu arbeiteten, sondern es muss auch die Organisation stimmen – und diese hängt eben auch von uns Ärzten ab. Ich habe immer bemängelt, dass sich Ärzte in der Gestaltung der Abläufe im Gesundheitswesen zu wenig einbringen, sich aber häufig darüber ärgern, was die Politik alles falsch macht. Der Arzt sollte auch politisch denken. Ich war 10 Jahre Referent in der Gemeinde Waidbruck und habe dabei viel gelernt. Die klinische Erfahrung ist auch für die Gestaltung wichtig, nur muss sie entsprechend politisch eingebracht werden.<BR /><BR /><b>Und das versuchten Sie in ihrer Tätigkeit im Sprengel und im Gesundheitsbezirk Brixen umzusetzen?</b><BR />Dr. Lintner: Ja, deshalb war ich auch relativ früh im Sprengel Klausen als Koordinator tätig. Klausen wurde damals neben 3 anderen Sprengeln als Pilotsprengel ausgewiesen. Aufbau und Ausgestaltung waren total spannend. Stolz war ich immer darauf, dass wir Ärzte und Ärztinnen im Sprengel Klausen als Team aufgetreten sind – und das funktioniert mit wenigen Abstrichen immer noch sehr gut. Ein derart gutes Klima unter den Ärzten hat in Südtirol hat Seltenheitswert. Man traf sich nicht nur zur Problemlösung sondern auch zum Biertrinken und zum Feiern mit anderen Berufsgruppen. Dies war für mich auch immer der Hauptgrund, das Angebot auf den Ritten zu gehen, abzulehnen und im Sprengel zu bleiben.<BR /><BR /><b>Von 1999 bis 2015 waren Sie in verschiedensten Funktionen im Gesundheitsbetrieb tätig. Wie schwierig ist es, Gesundheitsversorgung zu organisieren?</b><BR />Dr. Lintner: Es ist sehr komplex und schwerfällig. Mir war immer wichtig, notwendige Sachen auf den Weg zu bringen. Die Patienten haben Bedürfnisse, die man nicht auf Jahre verschieben kann. Vieles geht im öffentlichen Betrieb langsam, zu langsam. Ich habe mir inzwischen angewöhnt, in Jahrzehnten zu denken – hilft der eigenen Psychohygiene.<BR /><BR /><b>Warum dann doch der Schritt zurück an die Basis?</b><BR />Dr. Lintner: Mein Urinstinkt sagte mir: Deine Aufgabe liegt bei den Patienten vor Ort. Als Freigeist, der ich bin, war die Perspektive, bis zu meinem beruflichen Ende in der Verwaltung tätig zu sein, nicht akzeptabel. <BR /><b><BR />Wie haben Sie die Pandemie erlebt?</b><BR />Lintner: Als das Anfang 2020 losging, war uns allen in keiner Weise bewusst, was da auf uns zukam. Wie uns dann die Leute wegstarben und die Krankenhäuser sich füllten, mit der gleichzeitigen Sorge um die eigene Gesundheit und die der Familie, war ich das erste Mal in meinem beruflichen Leben total verunsichert. Vor allem in der Anfangsphase der Pandemie war es wirklich schlimm – am schlimmsten in den Seniorenwohnheimen. Es war sehr belastend für alle. <BR /><BR /><b>Gehen die Leute heute mehr zum Arzt als früher?</b><BR /> Dr. Lintner: Eindeutig ja. Dabei haben sich auch sehr stark die Pathologien verändert. Geduld und der Glaube auf Selbstheilung sind weniger geworden. Wenn auch Spezialisierungen in der Medizin sehr stark zugenommen haben, bleibt für mich die Figur des Hausarztes zentral. Er ist es, der die medizinischen Fragen, auch banale, aufnimmt. Er ist der erste Ansprechpartner des Patienten. Dies erspart dem System unnütze Untersuchungen und damit auch Kosten. Wenn die Arzt-Patienten-Beziehung stimmt, dann werden zahlreiche Fachvisiten überflüssig. Der Hausarzt kann seinen Patienten am besten vermitteln, dass Gesundheit nicht besser wird, wenn man möglichst viel vom System einfordert, sondern dass Gesundheit sehr viel damit zu tun hat, was man selbst bereit ist, körperlich, psychisch, sozial und spirituell dafür zu tun.<BR /><BR /><b>Der Arzt als Ansprechpartner. Ist dafür noch die Zeit?</b><Apotheke></Apotheke><BR />Dr. Lintner: Sicher, dafür braucht der Arzt Zeit, er muss dem Patienten zuhören, empathisch sein. Das dauert zwar länger, als ein Rezept zu schreiben, aber der Patient geht dann zufriedener aus der Praxis. Er durfte endlich einmal sagen, was ihn wirklich bedrückt. Echte Ansprechpartner sind heute rar gesät und diese Lücke kann und muss der Hausarzt füllen. Die viel beschworene Ganzheitlichkeit gehört zum Hausarzt, sie darf nicht jenen überlassen werden, die sie so gerne für sich beanspruchen. <BR /><BR /><BR /><b>Zur Person</b><BR /> Karl Lintner, Jahrgang 1953, wuchs am Ritten auf, besuchte in Bozen die Oberschule und studierte in Innsbruck Medizin. Nach seiner Ausbildung am Krankenhaus Brixen übernahm Lintner 1980 mit 27 Jahren seine erste Stelle als Gemeindearzt in Waidbruck. Lintner war maßgeblich beteiligt am Aufbau des Weißen Kreuzes/Sektion Waidbruck. Für 10 Jahre war er zudem Gemeindereferent in Waidbruck. Die Realisierung der neuen Bahnüberführung mit Lärmschutz, die Trostburger Wochen, der Ausbau der Schule und der Bibliothek fielen in diese Zeit. Für insgesamt 25 Jahre war Lintner Haus- und Amtsarzt in Waidbruck/Barbian. Von 1999 bis 2003 baute er als Koordinator des Pilotsprengels Klausen - Umgebung zusammen mit anderen den Dienst auf; bis 2005 übernahm Lintner zusätzlich die Aufgabe des ärztlichen Direktors des Territoriums im Bezirk Brixen. Ab 2005 wurde er für 2 Jahre hauptberuflich Sanitätsdirektor des Gesundheitsbezirks Brixen. Von 2007 bis 2015 war Lintner Sanitätskoordinator im Gesundheitsbezirk Brixen und führte gleichzeitig die Hausarztpraxis in Klausen. Ab 2015 war Lintner schließlich wieder Allgemeinmediziner und Amtsarzt in Klausen. Mit 30. September trat er seinen Ruhestand an. Die Praxis wird von den Ärztinnen Dr. Barbara Locher und Dr. Tanja Bregolin weitergeführt. Übergangsmäßig betreut Lintner weiter als ärztlicher Leiter die Altersheime von Lajen und Villanders. <BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />