Der mittlerweile zweifache Vater erzählt von der fatalen Begegnung und seinem Weg zurück – auf Krücken.<BR /><BR /><b>Herr Larch, welches Bild haben Sie vor Augen, wenn Sie an jene fatale Nacht vor 31 Jahren denken?</b><BR />Alexander Larch: Die Momente vom Überfall selbst. Wenn man nachts unterwegs ist und anderen Leuten begegnet, ist man automatisch vorsichtig. Es ist der Augenblick, in dem ich diesem Menschen begegnet bin. Der kurze Augenkontakt, wie mich dieser Mann kurz mustert, mich durchdringend anstarrt – und in dem Moment war es auch schon passiert. <BR /><BR /><b>Sie waren in jener Samstagnacht mit Freunden im Cafè Darling und wollten zu ihrem Auto das nahe des Steinachplatzes geparkt war, um heim nach Dorf Tirol zu fahren. Was passierte dann?</b><BR />Larch: Wir sind vom Darling gestartet und statt direkt zum Auto zu gehen, habe ich zwei Freunde begleitet. Wir sind die Freiheitsstraße herunterspaziert, die Sparkassenstraße her und da am Rathauseck haben sich unsere Wege getrennt, die Freunde sind Richtung Galileistraße und ich Richtung Pfarrplatz.<BR /><BR /><b>Allein unter den Lauben?</b><BR />Larch: Es war genau zur Zeit, als die Laubengasse umgebaut und in der Mitte die Wasserrinne errichtet wurde. Deswegen war der Mittelteil gesperrt. Man musste den Laubengang links oder rechts nehmen. Ich habe mich für die linke Seite entschieden und auf der Höhe, wo sich jetzt Sportler Alpin befindet, sah ich einen Mann entgegenkommen. Sonst war da niemand.<BR /><BR /><b>Was passierte dann?</b><BR />Larch: Es war so gegen 0.30 Uhr. Ich kreuze den Mann, er war nur einen halben Meter von mir entfernt. In dem Moment nahm ich nur mehr wahr, dass er eine schnelle Bewegung mit dem Arm macht. Er riss seinen rechten Arm heraus und hat mir das Messer in den Rücken gerammt. In dem Moment versagten meine Beine. Das waren Bruchteile von Sekunden, ich sackte zu Boden und kam auf dem Rücken zu liegen. Er hat sich niedergekniet, war über mir und hat versucht, mir am Hals einen Schnitt zu versetzen. Zunächst dachte ich, er hätte eine Flasche in der Hand, ich habe kein Messer wahrgenommen. Instinktiv versuchte ich ihn mit Händen und Armen abzuwehren und schrie ihn an: ,Jo, schpinnsch du!‘.<BR /><BR /><b>Hat er darauf reagiert?</b><BR />Larch: In dem Moment schrie eine junge Frau, die ich nicht bemerkt hatte. Sie stand vor dem damaligen Restaurant Flora und hatte auf ihren Freund gewartet, der dort gearbeitet hat. Sie erzählte später, dass sie gesehen hätte, dass da zwei Leute sind. Sie sah den Moment, als ich am Boden lag und er versuchte, mir die Kehle durchzuschneiden. Sie verstand nicht, was da passiert und rief her: ,Was tut ihr da?‘. <BR /><BR /><b>Hat er daraufhin von Ihnen abgelassen?</b><BR />Larch: Ja, ob das der Auslöser war, weiß ich nicht. Jedenfalls ist er dann abgehauen.<BR /><BR /><b>Hat er Ihnen Schnitte am Hals zugefügt? </b><BR />Larch: Ja, ich hatte Schnitte am Hals. Man sieht noch die Narbe am Adamsapfel und Narben der Abwehrverletzungen an den Händen und Unterarmen. <BR /><BR /><b>Er rannte davon und Sie?</b><BR />Larch: Ich lag am Boden, Schmerzen habe ich keine gespürt. Damit schützt sich wohl der Körper selbst. Ich merkte schnell, dass ich mich nicht mehr rühren kann. Ich weiß noch gut, als wär’s gestern gewesen, wie ich versuchte mich zu bewegen. Es ging nicht. Ich griff zu meinen Beinen und es kam wir so vor, als würde ich einen heißen Luftballon angreifen. Da wusste ich, da ist etwas wirklich Schlimmes passiert, da fehlt es jetzt gröber.<BR /><BR /><b>Angst zu sterben?</b><BR />Larch: Eigentlich nicht. Ich glaube, dass sich in so einer Situation der Körper letztlich durch den Schock schützt. Ich war in dem Moment hellwach, du kriegst alles mit. Ich habe verstanden, dass etwas nicht in Ordnung ist, aber nein, Angst zu sterben hatte ich nicht – hätte natürlich sein können.<BR /><BR /><b>Bekamen Sie schnell Hilfe?</b><BR />Larch: Die Rettung ist schnell gekommen. Ich war immer bei Bewusstsein. Der Zufall wollte es, dass ein Volks- und Mittelschulkollege, der beim Weißen Kreuz war, mir zur Hilfe kam. Ich erkannte ihn an der Stimme. Im Meraner Spital wurde ich erstversorgt und dann nach Vicenza gebracht.<BR /><BR /><b>Wo hat er sie erwischt?</b><BR />Larch: Die schlimme Verletzung war jene am Rückenmark unter dem Schulterblatt. Aber er hat keine inneren Organe erwischt. Es war allerdings ganz knapp, dass es nicht die Lunge erwischt hat. So gesehen war es glimpflich. Schlimm war, dass die Rückenmarksnerven verletzt wurden. Dadurch hat sich ein Blutgerinnsel gebildet, das zusätzlich auf die Nerven gedrückt hat. Daher war die Lähmung anfänglich viel ausgeprägter.<BR /><BR /><b>Bereits kurze Zeit später wurden Sie von Vicenza ins Böhler verlegt.</b><BR />Larch: Ich war den ganzen Sommer dort. Es war ein extrem heißer Sommer, Klimaanlage gab es keine. Ich musste möglichst ruhig liegen und mich nicht bewegen. Damit sie mich umlagern konnten, hat man mir ein Mieder angelegt, um mich alle paar Stunden ein bisschen auf die Seite zu drehen. Eineinhalb Monate musste ich liegen, bevor ich im Herbst in die spezialisierte Rehaklinik nach Bad Häring verlegt worden bin. Dort wurde ich das erste Mal in den Rollstuhl gesetzt und habe so langsam gelernt mit dem Rollstuhl umzugehen – plus den ganzen Tag Trainingsprogramm und Physiotherapie. <BR /><BR /><b>Sie waren 23 Jahre jung. Was sagten die Ärzte?</b><BR />Larch: Keiner konnte mir sagen, wie das ausgeht, was aus mir wird. Niemand hat die Glaskugel. Sie wollten mir nicht falsche Hoffnungen machen oder mich demotivieren. Also ließen sie es ein wenig im Unklaren. Als ich im Böhler lag, war der große Zeh am rechten Fuß das einzige, was ich bewegen konnte. Dank Therapie, dem Blutgerinnsel, das sich aufgelöst hat, und die Wunde, die verheilt ist, wurden die Beine aktiviert. Ich machte selbst Übungen und Krafttraining. So hat man gesehen, dass das rechte Bein mehr anspricht als das linke.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1187919_image" /></div> <BR /><BR /><b>Wie lange waren Sie in Bad Härung?</b><BR />Larch: Rund ein halbes Jahr.<BR /><BR /><b>Was macht das mit einem jungen Menschen? Was trieb Sie an?</b><BR />Larch: Mein Gedanke war: Was wird jetzt aus mir? Ich stand vor dem Ungewissen. Was mich antrieb? Ich bin grundsätzlich jemand, der nach vorne schaut und positiv denkt.<BR /><BR /><b>Also eine Kämpfernatur?</b><BR />Larch: Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder du lässt dich hängen und gehst daran zugrunde oder kämpfst dich durch – psychisch und körperlich. Im Kopf war ich sicher stark. Ich wollte nicht Trübsal blasen, das war für mich keine Option.<BR /><BR /><b>Zurück von Bad Häring: Wie fanden Sie zurück ins normale Leben?</b><BR />Larch: Ich hab mich hauptsächlich im Rollstuhl fortbewegt. Für das rechte Bein wurde schon in Bad Häring eine Stützschiene angefertigt. So konnte ich angefangen mit zwei Krücken zu gehen. Dann bekam ich auch eine Stützschiene fürs linke Bein. Wärme- und Kälte- oder Schmerzempfinden ist bei beiden Beinen nicht das gleiche.<BR /><BR /><b>Zurück zur Tatnacht: Sie hatten den Mann noch nie zuvor gesehen?</b><BR />Larch: Die Ermittlungen haben noch in der Tatnacht begonnen. Die Polizei hat mich sofort im Meraner Spital befragt. Ich habe den Tathergang und auch den Täter beschrieben, der nie ein Wort gesagt hatte. Es wurde ein Zeichner zu mir geschickt und ein Phantombild gemacht. Er hatte einen Bart, es war ein magerer kräftiger Mann, wie ein Bauer oder ein Hirte, ,a bissl‘ verwildert. Ich hatte den Mann noch nie im Leben gesehen, nie mit dem zu tun gehabt. Ich hatte also keinen Anhaltspunkt, deswegen hat sich auch die Polizei schwer getan. <BR /><BR /><b>Hat Sie das beschäftigt, von einem völlig Unbekannten angegriffen worden zu sein?</b><BR />Larch: Ich war dermaßen mit mir selbst beschäftigt, um wieder aus dem Rollstuhl heraus und in ein normales Leben hineinzukommen, dass ich mich damit gar nicht beschäftigt habe. Ich wurde öfter von Polizei befragt und bin immer wieder informiert worden. Aber es gab keine Anhaltspunkte. Wie bei den klassischen Ermittlungen auch wurde mein Umfeld – Familie und Freunde – durchleuchtet. Irgendetwas, was mit einem selbst zu tun hat. In der Regel ist es ja meistens so, in meinem Fall nicht. Ich habe wieder mein Studium in Innsbruck fortgesetzt, und versucht mein Leben unter diesen neuen Umständen weiterzuleben.<BR /><BR /><b>Wurde weiterermittelt?</b><BR />Larch: Ja, die polizeilichen Ermittlungen gingen schon weiter. Zum Teil in Südtirol und auch außerhalb. Einmal mussten die junge Frau und ich nach Livorno zu einer Gegenüberstellung mit einem Sandler. Er war auch ein bärtiger Typ, aber wir beide haben ihn nicht wiedererkannt.<BR /><BR /><b>Als im Februar 1996 das Morden in Meran losging, dachten Sie damals an einen Zusammenhang?</b><BR />Larch: Anfangs nicht. Beim Doppelmord habe ich mir nichts gedacht. Sobald es das erste Phantombild nach dem Mord an Paolo Vecchiolini am Pfarrplatz gab, hat sich die Polizei wieder gemeldet. Es gab Übereinstimmungen, eine gewisse Ähnlichkeit. Das war eine ,antrische‘ Zeit in Meran, niemand ist nachts auf die Straße gegangen.<BR /><BR /><b>Hatten Sie da Hoffnung, dass das der Mann ist der Sie angegriffen hatte?</b><BR />Larch: Ich wusste nicht, ob es der gleiche ist. Ich habe die Mordfälle verfolgt wie die anderen Leute auch. Durch die Polizeibefragungen bzw. auch durch die Medien, die mich in dieser Zeit interviewen wollten, bin ich schon ,a bissl‘ mehr involviert worden als Otto Normalverbraucher. Die Polizei war ja am Anschlag. Sie hat jeden bärtigen Mann kontrolliert. Sie hatten keinen Anhaltspunkt.<BR /><BR /><b>Als Sie nach dem Showdown Fotos von Ferdinand Gamper vorgelegt bekamen, wurden Sie gefragt, ob Sie ihn wiedererkennen...</b><BR />Larch: Und ich sagte: Soweit ich es sagen konnte, war er es.<BR /><BR /><b>Half Ihnen das, dieses Kapitel abschließen zu können? </b><BR />Larch: Es war für mich rein gefühlsmäßig wichtig, dass ab dann klar gewesen ist, dass ich immer die Wahrheit gesagt habe. Die Ermittlungsansätze der Polizei waren natürlich andere. Sie glaubt, dass du etwas verheimlichst, sie verdächtigen dich und dein Umfeld. Das hat mich schon belastet, auch wenn ich mit mir selber immer im Reinen war, aber fein ist das nicht. Du sagst die Wahrheit, bist in allem offen, aber dir wird Misstrauen entgegen gebracht. Insofern war es eine Befreiung und ein Abschluss.<BR /><BR /><b>Sie waren reines Zufallsopfer? </b><BR />Larch: Offensichtlich. Ich war zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Natürlich habe ich mir oft gedacht, was wäre gewesen, wenn ich auf direktem Weg zum Auto gegangen wäre? Vielleicht wäre ich ihm nicht begegnet? Vielleicht wäre ich ihm aber oben in der Hallergasse begegnet, wo überhaupt niemand gewesen wäre? Vielleicht wäre es noch ,letzer‘ ausgegangen... Es bringt nichts Gedanken zu wälzen. Gedankenspiele und Spekulationen bringen dich nicht weiter.<BR /><BR /><b>Wie ist es, nachts unterwegs zu sein? Hat Sie das Erlebte misstrauisch gemacht?</b><BR />Larch: Im Krankenhaus und in der Reha lebte ich wie auf einem eigenen Planeten. Als ich anfangs im normalen Leben zurück war und allein unterwegs war, hat es ein, zwei Situationen gegeben, in denen ich ,a Momentl‘ instinktiv erschrocken bin, weil jemand eine ruckartige Bewegung gemacht hat. Einmal im Auto, einmal am Gehsteig. Da bin ich zusammengezuckt. Und nachts alleine war ich natürlich angespannter, habe zweimal hingeschaut, wenn mir jemand begegnet ist, die Straßenseite habe ich aber nicht gewechselt. Sagen wir so, ich wollte mich nicht so konditionieren lassen, ich wollte nicht, dass dieses Ereignis psychisch mein Leben bestimmt. <BR /><BR /><b>Sie sind Vater. Haben Sie Ihren Kindern davon erzählt?</b><BR />Larch: Natürlich wissen die Kinder davon. Sie sind mit mir und den Krücken aufgewachsen. Für sie ist das selbstverständlich. In einem gewissen Alter habe ich ihnen die Geschichte erzählt.<BR /><BR /><b>Wie erzählt man so etwas? </b><BR />Larch: Als sie klein waren, hab’ ich ihnen erzählt, dass mich ein böser Mann mit dem Messer verletzt hat, später habe ich ihnen die Geschichte ausführlicher erzählt. Aber ich habe diese Gewalttat nie zum lebensbestimmenden Thema gemacht. Die Realität ist so. Ich wollte ihnen auch nicht Angst machen, sondern nur erklären, warum ich Krücken brauche. Keine Angstgeschichte, sondern relativ nüchtern die Fakten erklärt. Ohne sie damit zu belasten.<BR /><BR /><b>Wenn Ihre Kinder dann ausgehen werden...?</b><BR />Larch: Mir macht die heutige Welt mehr Sorgen. Meran war damals heile Welt, solche Sachen wie mir geschahen in der Bronx. Für Jugendliche, die heute ausgehen, von dem was man so mitkriegt und hört, sind die Zustände bedenklicher als wir Meran damals erlebt haben. Auch zu unserer Zeit sind Reibereien passiert und Drogen kursiert, aber was man heute so mitkriegt, macht mir mehr Sorgen – normale Elternsorgen eines jeden Tata, einer jeden Mama. <h3> Hintergrund</h3><BR /><div class="img-embed"><embed id="1187922_image" /></div> <BR /><BR />Das Messerattentat auf den Studenten Alexander Larch sorgte im Juli 1994 für großes Aufsehen im Burggrafenamt und weit darüber hinaus – auch medial. Nach den Befragungen und Beschreibungen von Larch war von Paduaner Polizeiexperten ein Phantombild angefertigt worden.