Madè Neumair erinnert sich an ihre ermordeten Eltern und schickt ihnen einen letzten Wunsch. <BR /><BR /><BR />Die Stellungnahmen von Madé Neumair in deutscher Übersetzung: <BR /><BR />„Es wäre einfach zu sagen, dass sich am Dienstag einfach nur ein Kreis geschlossen hat. Nach vier schier unendlich dauernden Monaten könnten wir langsam anfangen zu begreifen, was geschehen ist. Wir könnten die Möglichkeit bekommen, sie zu verabschieden, einen Ort, an dem wir sie beweinen können, beginnen, ein bisschen von der Spiritualität zu spüren, die unter der Gewalt, den Ermittlungen, den Unsicherheiten, der Angst begraben war. <BR /><BR />Dieser Weg hat gerade erst begonnen. Ich sehe meinen Vater, der mich ansieht und die Schultern hochzieht – so wie er es immer gemacht hat. Ich bin traurig, sagen seine Augen. Und dann: Ich kann es einfach nicht glauben. Und: Du fehlst uns. Ja, auch ihr fehlt mir. Ich kann nicht sprechen. Ich sehe seinen Arm unter jener Uhr, die Haut gerötet nach über 100 Tagen im Wasserwirbel. <BR /><BR />Ich sehe meinen Vater, frisch und fröhlich in meiner Wohnung in München bei einem seiner häufigen Besuche, während ich meinen Kaffee trinke bevor ich zur Arbeit gehe. Seine Augen sind fröhlich und neugierig, einfach nur, weil ein neuer Tag beginnt. Und ich sehe ihn, wie er mit einem Kratzer auf der Hand zu mir kommt und um ein Pflaster bittet – ich habe mich verletzt, sagt er voller Ernst.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="638006_image" /></div> <BR /><BR />Wer jetzt hinter Gittern sitzt scheint erleichtert darüber zu sein, dass eine seiner vielen Lügen und Halbwahrheiten jetzt, wo alles klar ist, wahr sind. Es ist wie die Fabel vom Wolf und den Schafen. Ich spüre immer noch Ungläubigkeit in mir hochkommen, wenn ich an das Video von Benno denke, in dem er seine Version vom Doppelmord erläutert – seine Distanz, seine Gleichgültigkeit, seine Langeweile. Kein Wort der Reue, kein Bedauern. Immer noch zu viele erfundene Worte. <BR /><BR />Ich habe gemerkt, dass wir nicht bereit dafür sind, wirklich zu erfassen, was ein Mord bedeutet. Ich schaffe es nicht, mir vorzustellen, wie zwei Seelen mitten im Leben plötzlich von ihrem eigenen Kind, das sie liebten, ausgelöscht werden können. Ich spüre ihren Atem, ihre Wünsche, ihre Ängste, ich sehe ihr Lieblingseis, ihren üblichen Platz auf der Terrasse, ich höre den Klang ihrer Stimmen und spüre ihre Lebenslust. Das alles wurde erstickt. <BR /><BR />Ich sehe Mami und Papi am Morgen im Wohnzimmer Walzer tanzen ohne es wirklich zu können – Lachen und Zärtlichkeit kommen in mir hoch. Und dann sehe ich sie auf einem ihrer unendlichen Spaziergänge am Strand. Der Wind weht in ihren Haaren, die Sonne scheint – ich spüre den Widerhall ihres inneren Friedens. Ihr fehlt in einer zerstörerischen Welt. Ruhet in Frieden. “<BR /><BR />Hier der italienische Brief von Madè Neumair im Original. <BR /><div class="img-inline inline-file"><hr><a target="_blank" href="https://s3-images.stol.it/pdf/2021/04/lettera-made.pdf"><img class="uk-img-preserve" src="https://s3-images.stol.it/pdf/2021/04/lettera-made.jpg" /></a><br><a target="_blank" href="https://s3-images.stol.it/pdf/2021/04/lettera-made.pdf" title="Lettera Madè"><span class="uk-icon" uk-icon="icon: cloud-download;"></span> Lettera Madè <small>(pdf)</small></a><hr></div>