Es gebe nur wenige Vergleichsfälle dieser Art, berichtet der Gerichtspsychiater und Buchautor.<BR /><BR />„Meine These ist, dass es ein erweiterter Suizid war – wahrscheinlich aus Mitleid und Überforderung geplant“, meint Haller. Nach der Tötung des Vaters sei es dann wohl zu einem Bruch des inneren Staus an Frustrationen, Verzweiflung und Hilflosigkeit gekommen.<BR /><BR /><b>Was geht in einem Täter wie Ewald Kühbacher psychisch vor?</b><BR /><BR />Prof. Reinhard Haller: Ich habe ihn nicht untersucht, ich kann nur allgemein sagen, was in Frage kommt: Dass der Täter seinen pflegebedürftigen Vater getötet hat, war offenbar etwas Gezieltes, wahrscheinlich eine Mitleidstötung oder auch aus einer Situation der Überforderung heraus, um sich selbst dann auch das Leben zu nehmen. Man spricht da auch von einem Mitnahmesuizid. <BR />Davon unterscheiden muss man das Hinzukommen der Nachbarin und die Schüsse auf die Einsatzkräfte. Einen klassischen Amoklauf verüben meist psychisch kranke Menschen, die entweder unter einer Wahnerkrankung leiden, unter einer Schizophrenie oder dergleichen – oder auch manchmal unter einem pathologischen Rausch. <BR />Durch verschiedene Substanzen kann man auch einen Amoklauf auslösen: Da schießt man auf alles, was sich bewegt – auch auf Personen, zu denen man keinen Bezug hat. Der Amokläufer läuft oder fährt dann blind durch die Gegend und knallt alles ab, was sich irgendwo bewegt. Ein klassischer Amoklauf war es in diesem Fall aber nicht. Der Täter hat gezielt diese Tötung durchgeführt und ist dann offensichtlich in eine Art Endzeitstimmung gelangt, indem er auf alle, die ihn vielleicht an der Selbsttötung hindern wollten, geschossen hat – auf die Frau und die Einsatzkräfte.<BR /><BR /><b>Kühbacher war bis Samstag ein völlig unauffälliger Mann...</b><BR /><BR />Haller: Das sind diese grauen Mäuse – und ich sage das nicht entwertend - , unauffällig lebende Menschen, bei denen aber die Innenwelt dabei ganz anders ausschaut, in denen sich etwas zusammenbraut, oft sind es Depressionen. Aufgrund eines Anlasses kommt es dann zum Durchbruch. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1063677_image" /></div> <BR /><BR /><b>Zu welchem Schluss kommen Sie somit?</b><BR /><BR />Haller: Ich kann mir das nur erklären, dass sich da innerlich sehr viel angestaut hat, einerseits vielleicht eine Erschöpfung wegen des Vaters, andererseits vielleicht auch die scheinbar heile Welt, die ihn vielleicht zu wenig unterstützt hat und dass er so in diese Stimmung gekommen ist. Er war wahrscheinlich frustriert, erschöpft, letztlich depressiv, auch enttäuscht wahrscheinlich – und er hat sich dann zu diesem Schritt entschlossen, wobei ich schon glaube, dass er von vorne herein vorgehabt hat, sich selbst das Leben zu nehmen.<BR /><BR /><BR /><b>Wie ist es aber erklärbar, dass ein Täter so umschaltet – zuerst den Vater tötet und dann auch die Nachbarin und auf die Einsatzkräfte schießt – das hat dann ja alles keine Logik mehr...</b><BR /><BR />Haller: Ich kann es mir nur durch eine Endzeitstimmung des Täters erklären: Jetzt wird tabula rasa gemacht, jetzt ist mir alles wurscht, ich muss nicht dafür einstehen, ich mach jetzt alles nieder, was sich mir tatsächlich oder möglicherweise in den Weg stellt und da war halt die Nachbarin sozusagen zur falschen Zeit am falschen Ort. <BR /><BR /><embed id="dtext86-66204131_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Wäre so eine Tat überhaupt zu verhindern gewesen?</b><BR /><BR />Haller: Das Problem ist, dass er so unauffällig war, angepasst, sich nach außen nicht gewehrt hat und man dadurch das Ganze nicht erkennen konnte. <BR /><BR /><BR /><b>Kann da auch eine mögliche finanzielle Armut des arbeitslosen Täters eine Rolle gespielt haben?</b><BR /><BR />Haller: Ich kann mir vorstellen, dass er sich wenig unterstützt gefühlt hat in dieser Situation – wahrscheinlich auch finanziell. Dann entwickelt man halt eine Wut auf die scheinbar heile, gesunde Welt. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1063680_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><b>Könnten da auch die Kindheit und die Erziehung beim Täter eine Rolle gespielt haben? Könnte es auch eine Abrechnung mit dem Vater gewesen sein?</b><BR /><BR />Haller: Viele Menschen, die eine schwere Kindheit hatten, entwickeln sich gut und werden nicht zum Verbrecher. Und umgekehrt werden Menschen, die unter sehr guten familiären Verhältnissen aufwachsen, trotzdem zu Verbrechern. Es ist ein Risikofaktor, aber nicht ein direkter Grund für eine Tat. Das müsste man natürlich abklären, aber dafür kenne ich den Fall zu wenig.<BR /><BR /><BR /><b>Die Hausnachbarn und die Angehörigen der Toten waren 11 Stunden lang in einer Extremsituation. Wie ergeht es solchen Menschen psychisch? Das muss wohl auch aufgearbeitet werden, oder?</b><BR /><BR /> Haller: In der Regel wird dadurch eine posttraumatische Belastungsstörung ausgelöst. Diese Diagnose wird sehr häufig gestellt – wenn man selbst bedroht ist oder Zeuge einer solchen Katastrophe wird. Da sollte man dann schon professionelle Hilfe suchen. Manchmal braucht man am Anfang Schlafmedikamente oder Antidepressiva oder Ähnliches. Eine psychologische Aufarbeitung ist wichtig.