Vor 2 Jahren trat in Italien der „Racheporno“- Paragraf in Kraft. Parallel dazu läuft ein Forschungsprojekt der Uni Bozen, das sich mit diesem virtuellen Sexualdelikt interdisziplinär auseinandersetzt. Zeit für eine Zwischenbilanz mit Leiterin Prof. Kolis Summerer. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="672959_image" /></div> <BR /><BR /><b>Kürzlich hat sich wieder das 2019 erfolgte Inkrafttreten des „Revenge Porn“-Paragrafen (Art. 612ter StGB) gejährt. Damit wurde ein eigener Straftatbestand geschaffen – losgelöst vom „Stalking-Gesetz“, das zuvor diese spezifische, virtuelle Form sexueller Gewalt kaum erfasste. Hat sich dieses neue Gesetz nun bewährt?</b><BR />Kolis Summerer: Das ist noch schwer zu sagen, denn aus prozessrechtlicher Sicht sind zwei Jahre ein kurzer Zeitraum. Das hat mit den langwierigen Verfahren zu tun, aber auch mit den wenigen, schlussendlich gefällten Urteilen. Denn – so wie bei allen Sexualdelikten – gelangt meist nur ein äußerst geringer Anteil zur Anzeige. Und bei den effektiv eingeleiteten Verfahren kommt es selten zur Beschlussfindung – also Verurteilung oder Freispruch. Manche Verfahren werden eingestellt, es mangelt an Beweisen oder es gibt eine Einigung der Prozessparteien. Insofern ist die Dunkelziffer der Betroffenen sehr hoch, und noch ist es schwierig, die Griffigkeit dieses neuen Gesetzes zu messen.<BR /><BR /><b>Dieses wurde damals von den Parlamentarierinnen in Rom parteienübergreifend erkämpft, nicht zuletzt, weil es zuvor mehrere Fälle gegeben hatte. Bis hin zum Suizid der Betroffenen reichte die persönliche Tragik. War/ist dies nur die Spitze des Eisbergs?</b><BR />Summerer: Die Scham der Betroffenen bleibt groß. Dieser „Blaming“-Effekt ist eine der Ursachen für die wenigen Anzeigen. Umso wichtiger ist Prävention, wie sie die Post- und Kommunikationspolizei und die Frauenhäuser betreiben oder wie sie über die Medien passiert. Denn es braucht noch mehr gesellschaftlichen Austausch, auch mit den Jugendlichen. Sie müssen lernen, was die unrechtmäßige Verwendung und Verbreitung von intimem Bildmaterial bedeutet – und was die Scham mit den Betroffenen macht. Es sollte also nicht um eine Moralisierung gehen, sondern um das Aufzeigen von Grenzen.<BR /><BR /><embed id="dtext86-50282985_quote" /><BR /><BR /><b>Damit beschäftigt sich das interdisziplinäre Forschungsprojekt an der Uni Bozen namens „Criminalizing Revenge Porn – CREEP“, bei dem Sie federführend sind. Mit an Bord sind Wissenschaftler der Universitäten Innsbruck und Cambridge (UK), die Flinders-Universität (Adelaide/Australien), der Frauenhaus-Verein GEA und die Post- und Kommunikationspolizei. Zum Start 2019 sprachen Sie von einer „Forschungslücke“. Konnte diese von den 11 Forschergruppen gefüllt werden?</b><BR />Summerer: Tatsächlich war es ein großer Zufall, dass just zum Start dieses Forschungsprojekts – das übrigens coronabedingt um ein Jahr bis 31. Dezember 2022 verlängert wurde – dieses Gesetz in Kraft trat. Wir wussten zwar um die parlamentarischen Bestrebungen, wurden aber selbst von der Geschwindigkeit der Umsetzung überrascht. So mussten wir den Forschungsansatz ändern: Statt um die Entwicklung eines Gesetzesvorschlages geht es nun darum, dieses neues Gesetz zu analysieren und dessen Leistungsfähigkeit zu messen. Womit wir wieder bei Ihrer Ausgangsfrage sind: Wir sind derzeit mitten in der Erfassungsphase, zumal Verfahren noch laufen bzw. es noch keine vor dem Kassationsgerichtshof abgeschlossenen „Revenge Porn“-Fälle gibt.<BR /><BR /><b>Also gilt es wohl eher die Frage zu stellen, wie Italien hier im internationalen Vergleich dasteht?</b><BR />Summerer: Gut, wie überhaupt in der Verfolgung von Sexualdelikten. Das mag nun manche vielleicht etwas überraschen, aber tatsächlich hat sich im italienischen Sexualstrafrecht viel getan – angefangen von der Reform in den 1990ern, über die Gesetze gegen Kinderpornografie oder Stalking wie auch weitere, ähnliche Internet-Delikte. Ja, man kann sagen, auch wenn wir erst am Anfang stehen: Das Gesetz ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, das zeigt der Rechtsvergleich. Tatsächlich gibt es weltweit nur wenige Länder, die „Rachepornografie“ als eigenen Straftatbestand erfassen – Großbritannien, Kanada und vor allem Australien sind federführend. In Deutschland und Österreich passiert nun auch etwas. Im EU-weiten Vergleich leistet Italien also Pionierarbeit – ebenso wie der genau darauf bezogene Forschungsansatz unseres Südtiroler Projekts. Die bislang dazu veröffentlichten, wissenschaftlichen Aufsätze jedenfalls sind staatsweit die allerersten. Das macht dann schon stolz, dass das „Brain“ dieser Forschung hier an der Uni Bozen ist. <BR /><BR /><b>Wobei aus Südtirol selbst kaum Fälle bekannt sind, nicht zuletzt zum Schutz der oft minderjährigen Betroffenen oder Täter. Auf einer „Insel des Seligen“ sind wir aber nicht, oder?</b><BR />Summerer: Keineswegs. Wir sehen hier nur die Spitze des Eisbergs, also nur wenige, gemeldete Fälle im Jahr. Daher ist die bereits erwähnte Präventionsarbeit ja so wichtig, weil das Strafrecht immer zu spät kommt – also, wenn schon etwas passiert ist. Das bestätigen auch unsere Gespräche mit Betroffenen etwa in den Frauenhäusern. Rachepornografie ist oft Ausdruck sexueller Gewalt in einer Beziehung. Wovon zwar meist Frauen betroffen sind, aber auch andere vulnerable Personen – also soziale Randgruppen, Menschen mit Beeinträchtigungen oder ältere Personen. Das kann „Revenge Porn“ sein, Cyberbullying, Sexting, Hassrede sowie Sextorsion via „Deep Fakes“ (Erpressung mit gefälschten Bildern; Anm. d. Red.). <BR /><BR /><b>Welche Rolle spielt da Corona? Denn dass zwischen Home-Schooling und Home-Working die virtuellen Gefahren steigen, zeigen aktuelle Zahlen: Das „Centro Nazionale per il Contrasto alla Pedopornografia Online“ (Cncpo) etwa verzeichnete 2020 eine Zunahme sexueller Übergriffe auf/bei Minderjährigen um 110 %. Und laut ISTAT gaben 32 % der weiblichen Minderjährigen und 6,7 % der männlichen Minderjährigen an, real wie virtuell sexuelle Gewalt erlebt zu haben ...</b><BR />Summerer: Genau diese Frage nach dem „Corona-Effekt“ stellen wir uns in den jeweiligen Forschungsgruppen. Jedenfalls erwarten wir uns entsprechende Daten, denn aus den Gesprächen mit Betroffenen ist die Zunahme solcher Fälle empirisch „spürbar“. Was aber am grundlegenden Forschungsansatz nichts ändert. Ganz im Gegensatz zur Arbeitsweise, denn aufgrund Covid-19 bzw. Lockdowns und Arbeit im Homeoffice mussten wir schlussendlich eine Verlängerung beantragen und haben jetzt noch gut eineinhalb Jahre Zeit für die Datenauswertung.<BR /><BR /><embed id="dtext86-50282987_quote" /><BR /><BR /><b>Wobei sich die Rahmenbedingungen ständig ändern. So arbeiten der „Garante della Privacy“ und Facebook offiziell zusammen, um das „Racheporno“-Phänomen zu bekämpfen. Am 8. März 2021 ging eine Plattform online, an die sich Betroffene wenden können. Wie ist das zu bewerten?</b><BR />Summerer: Als sehr positive Entwicklung. Unsere Projektpartner der Fakultät für Informatik beobachten intensiv, wie sich die Provider und Plattformen hier jeweils verhalten, nachdem sie bislang mit solchen Maßnahmen zurückhaltend waren. Insofern ist das ein wichtiges Signal, dass der Schutz der Nutzer in den Vordergrund rückt. Nun liegt es an den Gesetzgebern, den Betreibern klare Richtlinien zu geben. Denn man kann im Netz nicht alles verbieten, aber die Sicherheit für die Nutzer bestmöglich gestalten – und diesen vermitteln, dass das weltweite Web kein rechtsfreier Raum ist.<BR /><BR /><b>Wie glücklich sind Sie eigentlich mit den gängigen, aber doch leicht missverständlichen Begriffen „Revenge Porn“/„Racheporno“?</b><BR />Summerer: Da liegen Sie nicht falsch, die Begriffe sind tatsächlich etwas irreführend. Aber wenigstens sind die Suchalgorithmen nun so, dass man nicht mehr auf einschlägigen Seiten landet. Dennoch bräuchte es bei dieser Form der Sexualdelikte eine etwas neutralere Sprache. Im italienischen StGB kommt der Begriff auch gar nicht vor, sondern die Rede ist von „diffusione illecita“ – also „unrechtmäßiger Verbreitung“ von privatem Bildmaterial. Im Englischen ist zudem vermehrt die Rede von „image based sexual abuse“ und „non consensual pornography“ , womit der „nicht konsensuale, sexuelle Missbrauch mittels Bildern“ definiert wird. Denn das Wort „Pornografie“ stigmatisiert in gewisser Weise die Missbrauchsopfer, impliziert unterschwellig eine „Zustimmung“, die so nie gegeben war. Ebenso wie das Rache-Motiv eigentlich eher selten ist. Häufig gibt es auch Datendiebstahl und weitere Beweggründe wie sexuelle Befriedigung, Belästigung, finanziellen Gewinn, Drohung, Verhetzung, Hass und Erniedrigung. Daher sollten wir uns von „Revenge Porn“ allmählich verabschieden.<BR /><BR />