Laura Del Fabbros Beharrlichkeit spricht Bände. Mit ihren langen, gezöpften Haaren und den vielen Tattoos an den Unterschenkeln und Füßen war sie in diesem Jahr eine jener Teilnehmerinnen an der Miss-Südtirol-Wahl der „Zett“, die am stärksten auffielen. <BR /><BR /><BR />Bis ins Finale schaffte es die 24-jährige Laagerin (Gemeinde Neumarkt), kurz vor der Kür mit nur mehr sechs Kandidatinnen schied sie aus. „Ich bin nicht auf den Laufsteg gegangen, um zu gewinnen. Ich möchte Mut machen“, sagt Del Fabbro, deren Zöpfe eine 75 Stiche große Narbe am Kopf verdeckten.<h3> Schwarz vor Augen</h3>Rückblick: 22. Oktober 2022, der Miss-Südtirol-Finalabend im Meraner Kursaal beginnt. Laura Del Fabbros Startnummer ist die 14 (siehe Bild unten). Dass sie einen schweren Verkehrsunfall hatte, wusste an jenem Abend kaum jemand. „Ich habe den Unfall bewusst nicht angesprochen. Ich wollte nicht bemitleidet werden, schließlich hat jeder mit irgendetwas zu kämpfen“, sagt sie. <BR /><BR />Heute, fast auf den Tag genau einen Monat nach dem großen Finalabend, öffnet sie sich – und erzählt. Von jener Nacht, die sie zu der Frau gemacht hat, die sie heute ist, eine Frau, die ihre Narben nicht mehr verstecken will. <BR /><BR />Es war um halb zwei morgens, als Laura Del Fabbro am 24. März 2013 am Beifahrersitz ihres damaligen Kollegen eingeschlafen war. Dann, ein dumpfes Geräusch. Die damals 15-jährige Jugendliche erwachte abrupt, ihre gesamte rechte Körperhälfte schmerzte höllisch, dann wurde ihr wieder schwarz vor Augen. „Drei Wochen lag ich im künstlichen Koma. Mein Leben hing am seidenen Faden.“<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="836738_image" /></div> <BR /><BR />Del Fabbro wirkt gefestigt und ruhig, wenn sie von jener Nacht erzählt. Es sei das erste Mal, dass sie so reflektiert über das alles sprechen könne, sagt sie. Ein halbes Jahr nach dem Unfall hatte sie schon einmal ein kurzes Zeitungsinterview gegeben. „Da stand ich allerdings noch unter Schock, hatte das Geschehene noch gar nicht richtig verarbeitet“, wie sie erzählt. Was war geschehen? <h3> „An dem Tag lief alles schief“</h3>Wie die „Dolomiten“ einen Tag nach dem Unfall, am 25. März 2013, berichteten, war das Auto, in dem sich Laura Del Fabbro als Beifahrerin befand, von der Staatsstraße abgekommen. Das Fahrzeug war Richtung Neumarkt unterwegs, als es kurz vor der Ortseinfahrt Laag, nahe des Hotels „Dolomiten“, gegen einen Baum prallte. Während der Fahrzeuglenker, ein damals 20-Jähriger aus Kronmetz/Mezzocorona, nahezu unverletzt blieb – er hatte einen schweren Schock erlitten und musste medizinisch betreut werden –, sah die Lage für Laura Del Fabbro wesentlich kritischer aus. <BR /><BR />Durch die Wucht des Aufpralls war sie im Autowrack eingeklemmt worden. Laut Aussagen des Lenkers dürfte Sekundenschlaf der Grund für den Unfall gewesen sein. Die bittere Konsequenz für Del Fabbro: ein multiples Schädel-Hirn-Trauma, Lungenquetschung, Leberriss, ein gebrochener Brustkorb sowie die fast vollständige Zerstörung der rechten Kopf- und Gesichtshälfte. <BR /><BR />„An dem Tag lief sowieso schon alles schief“, berichtet die junge Frau heute. „Ich war Kunstturnerin und hatte an diesem Tag einen Wettkampf. Dann bin ich vom Schwebebalken gefallen.“ Kunstturnen zählte nicht nur zu ihren Lieblingsbeschäftigungen, sondern förderte auch den Kampfgeist der Laagerin. <BR /><BR />Fünf Tage lang lag Laura Del Fabbro nach dem schrecklichen Unfall im künstlichen Koma. Einen Tag, bevor die Ärzte die lebenserhaltenden Maschinen abschalten wollten, öffneten sich ihre Augen. <BR />Was sie als erstes sah? „Überall Schläuche.“ Sie zeigt auf ihren Bauch. „Vom Unterleib kamen Schläuche raus, unter der Brust waren welche angebracht. Links und rechts sah ich Monitore, im ganzen Raum hat es „getutet„. Und dann war da meine Mutter.“ <BR /><BR />Das einzige Wort, das Del Fabbro in diesem Moment hervorbrachte, war: „Mama“. Mehr konnte sie nicht sagen, sie litt unter einem posttraumatischen Mutismus – Ausdruck ihrer schweigenden Verzweiflung. Drei Monate verbrachte die heute 24-Jährige anschließend ohne Schädeldecke im Krankenhaus, ihre rechte Stirnhälfte war nach innen gebogen. „Irgendwann schrieb ich auf ein Blatt Papier, ob ich mich im Spiegel betrachten dürfe. Dann wurde ich im Rollstuhl ins Bad geschoben.“ <h3> „Bitte sag, dass das nicht ich bin“</h3>Laura blickte in den Spiegel. „Bitte nicht“, dachte sie. „Bitte sag, dass das nicht ich bin.“ Die damals 15-Jährige wollte es nicht wahrhaben. Ihr Kopf war kahl geschoren, ihr Gesicht von mehreren tiefen Kratzern gezeichnet. Ihr Körper war dünn, eingefallen, zusammengesackt. Sie hob ihre rechte Hand – und winkte sich selbst zu. „Ich wollte schauen, ob mir das Spiegelbild zurückwinkt“, sagt Laura Del Fabbro heute. „Und als es zurückgewunken hat, ist das wunderschöne Glashaus, das ich 15 Jahre lang aufgebaut hatte, in sich zusammengebrochen.“ <BR /><BR />Dann begann die Unterlandlerin zu kämpfen, um 15 Jahre ihres Leben zurückzuholen. Es folgte die Rekonstruktion ihrer rechten Gesichts- und Kopfhälfte. Im Kopf wurde ihr eine Titanplatte eingesetzt. Laura trainierte ihren unbeweglichen Körper, war mehrere Monate lang in Reha. Jeder Schritt, auch wenn es nur ein klitzekleiner war, war für sie und ihre Familie ein Fortschritt. Genau wie jedes einzelne Wort, das nach mehrwöchiger Sprachtherapie aus ihrem Mund drang. <BR />Im Herbst 2013 stieg Laura Del Fabbro nach halbjähriger „Zwangspause“ in die zweite Klasse des Neusprachlichen Lyzeums ein. <BR /><BR />Sie kämpfte sich zurück ins Leben, sammelte Stück für Stück alle Scherbenteile wieder auf und setzte ihr Puzzle zu einem neuen Bild zusammen. Ein neues Haus entstand. In ihr.<h3> Sichtbare und unsichtbare Narben, die bleiben</h3>Bei ihrer Teilnahme am diesjährigen Miss-Südtirol-Wettbewerb der „Zett“ wollte Laura Del Fabbro ihren Schicksalsschlag nicht in den Vordergrund stellen. Und trotzdem stieg sie mit einer ganz bestimmten, starken Botschaft auf den Laufsteg: „Lächle, wenn es dir gut geht, weine, wenn es dir nicht gut geht. Hauptsache, deine Gefühle und Emotionen sind echt!“ <BR /><BR />Dabei geht es ihr nicht nur um Narben, die man sieht, sondern auch um unsichtbare, innere Narben, die jemand mit sich trägt. „Narben unterstreichen den Charakter eines Menschen. Warum nicht jede einzelne davon annehmen? Erst dann spricht die Authentizität aus den Augen und dem Gesicht. Schäm dich für keine einzige davon.“<BR /><BR />Laura ist mit sich im Reinen, sie passe sich nicht mehr „irgendeinem Kanon an“, wie sie sagt. Das Kunstturnen musste die heute 24-jährige nach dem Unfall aufgeben. Dafür öffneten sich für sie auf persönlicher Ebene neue Wege. Derzeit studiert Laura Del Fabbro Bildungs- und Erziehungswissenschaften an der Uni Bozen. <BR /><BR />Später mal möchte sie mit Kindern arbeiten. Ihr Ziel: Den Kindern keine Anschauung, Denkrichtung oder gar Meinung aufzwingen. „Ich möchte die Kleinen ein Stück weit zu sich selbst und ihrem Gefühl hinführen.“ Denn: Niemand solle die Schuhe eines anderen tragen.<BR />